„Ich war einfach immer zu früh dran“

| ,

Ein Gespräch mit einem Pionier der digitalen Bildbearbeitung

Ein Porträt über den Brettener Ausnahmekünstler Thomas Rebel

von Stephan Gilliar

Es ist ein seltsames Gefühl Thomas Rebel zu fotografieren. Irgendwie komme ich mir unzulänglich vor, als ich ihn mit meiner kleinen Knipse ablichte. Gerade ihn, der für mich wie kein zweiter für das Handwerk der Fotografie steht. Thomas Rebel versteht sich nicht nur auf die Kunst des digitalen Bildes, er war auch einer ihrer Wegbereiter – damals als computergenerierte Bilder für die meisten Menschen noch reine Fiktion waren – doch dazu später mehr.

Das Posieren für mein Foto fällt Tom nicht schwer, wohl aber das Stillsitzen. Noch bevor das Vorschaubild auf dem Display meiner Kamera erscheint, springt er bereits wieder auf, läuft durch seine helle Wohnung am Brettener Marktplatz, die ihm zugleich als Atelier und Ausstellungsraum dient. So kennt man ihn, so kennt ihn Bretten… immer auf den Beinen, immer aktiv, mit seinem wilden, wachen Blick unter den nicht minder wilden, weißen Haaren. Ich will seine Geschichte kennenlernen, dafür bin ich heute bei ihm zu Gast und Tom freut sich sichtlich darüber. Er hat etwas zu erzählen, er brennt darauf. Immer wieder will er in die Küche um mir einen Kaffee zu machen, bleibt dann stehen, kommt zurück, weil ihm immer noch etwas einfällt, das er vorher noch schnell sagen möchte. Ich sitze auf seinem ledernen Sofa und versuche die Flut der Worte zu ordnen um sie später – genau hier, genau an dieser Stelle – auch richtig wiedergeben zu können.

Tom zu seiner Studienzeit in den 80er Jahren

Tom wurde im Winter 1959 geboren, jenes Jahr in dem Fidel Castro auf Kuba erfolgreich revoltierte, Buddy Holly, Ritchie Valens und the Big Bopper bei einem Flugzeugunglück starben und Alaska sowie Hawaii amerikanische Bundesstaaten wurden. Im alten Brettener Krankenhaus, dort wo heute das Kino steht, kommt Thomas Rebel als jüngstes von zwei Geschwistern auf die Welt. Seine Eltern sind beide Schneider, seine Wiege war eine Kiste voller Stoffreste, erzählt mir Tom. Nach seiner Schulzeit am Melanchthon-Gymnasium und später – weil ein Sohn eines Schneiders am Gymnasium nach Meinung der damaligen Schulleitung nichts zu suchen hatte -, auch an der Max-Planck-Realschule, ergatterte Tom einen Studienplatz an der Hochschule für Gestaltung in Pforzheim. Dort studierte er Produktdesign, wurde diplomierter Industriedesigner. Als einer der wenigen Auserwählten schaffte er es im Anschluss sich auch an der renommierten Kunstakademie in Karlsruhe einzuschreiben, studierte dort unter anderem bei Georg Baselitz.

Nach knapp drei Jahren jedoch musste Tom das Studium in Karlsruhe abbrechen. Nicht weil er dafür nicht gut genug gewesen wäre, sondern schlicht, weil ihm das Geld ausging. Obwohl er in Bretten allabendlich im legendären Zack am Brettener Hundlesbrunnen jobbte, reichten die Mittel für das Studium und die teuren Materialien zur Gestaltung seiner Kunstwerke einfach nicht aus. Es folgte noch eine dreimonatige Ausbildung bei einem Korbmacher in Odenheim, danach war Tom wieder auf der Suche, doch wonach genau?

Die Antwort kam an einem Kneipenabend. Ein früherer Schulkamerad, damals auch Spieler beim KSC, vermittelte den Kontakt zu einer Agentur, die sich mit Computergrafiken beschäftigte, denen aber schlicht die künstlerische Expertise fehlte. Um die Bedeutsamkeit dieses Augenblicks zu verstehen, muss man sich bewusst machen, auf welchem Stand die Computertechnik in den 80er Jahren war. EDV-Systeme waren noch weit von jener Bedeutung entfernt, die Ihnen heute zukommt. Der meistverkaufte Heimcomputer war der Commodore 64, dessen Videochip gerade einmal 16 Farben darstellen konnte. Die fortschrittlichste Video-Hardware die damals erhältlich war, kam von Silicon Graphics aus den USA. Die legendären Workstations des Unternehmens mit für damalige Verhältnisse riesigen Festplatten von bis zu 300 Megabyte Kapazität waren schon damals in der Lage 3D-Grafiken zu erstellen und ermöglichten sogar deren Animation. Die Maschine mit der Tom in den folgenden Jahren arbeitete, dürfte in der Anschaffung problemlos mit einer viertel Million D-Mark zu Buche geschlagen haben. Tom entwickelte Grafiken, Logos, Diagramme und sogar einen kompletten detailreichen Querschnitt des damaligen Reaktors des Kernforschungszentrums Karlsruhe. Man kann es nicht oft genug sagen, es war ein revolutionärer Quantensprung in der Grafikbearbeitung – Tom und seine Arbeit der damaligen Zeit weit voraus.

Für deutsche Verhältnisse, sogar zu weit voraus. Für die Produkte und mit den Mitteln mit denen Tom damals arbeitete, gab es in der alten Bundesrepublik kaum einen Markt. Das Wissen um die Möglichkeit und damit auch das Wissen um den Nutzen dieser Optionen, war damals wenn überhaupt nur in Nischen bekannt. Dennoch holte Tom heraus, was nur herauszuholen war. CAD-Visualisierungen, animierte Grafiken für das noch junge Privatfernsehen. Er wechselte von Karlsruhe nach Stuttgart, von Stuttgart nach Murnau, arbeitete an computergenerierten Musikvideos und komplexen Simulationen. Er dürfte vermutlich der erste Europäer gewesen sein, der in Silicon Valley eine 3D Brille ausprobieren durfte, wurde vom Land Baden-Württemberg für das Erreichte Anfang der 90er zum Nachwuchswissenschaftler für digitale Bildbearbeitung ernannt.

Wäre Tom zu jener Zeit nicht nur sporadisch im Silicon Valley zu Gast gewesen, sondern hätte eines der Angebote zur Arbeit in der digitalen Goldgräber-Ära der USA angenommen, so wäre er mit hoher Wahrscheinlichkeit dort zu ungeahnter Größe aufgestiegen. “Ich habe es mich nicht getraut, in die Staaten zu gehen” erzählt er, vielleicht mit ein wenig Schwermut und einer Prise Bedauern in der Stimme. “Aber ich wollte nicht weg aus der Heimat, wollte den Kontakt zu meinem Kind nicht verlieren”. 1994 kommt Thomas Tochter Luna auf die Welt, die Verbindung zu ihr und ihrer Mutter besteht heute noch auf enger freundschaftlicher Ebene, doch für eine klassische Ehe konnte sich Tom nie begeistern. Ein Nine-to-Five-Job, ein Haus abbezahlen, das war seine Sache nie… Die eigene Freiheit war für Tom stets das höchste Gut.

So blieb er Bretten treu, erstellte digitale Projekte für den IT-Konzern Seeburger, designte digitale Assets z.B. für die Verpackungen des damaligen Süßwarenherstellers Hirsch in Flehingen. 2004 lernte er auf diese Art und Weise den inneren Kern der Vereinigung Alt Brettheim kennen, designte das heute noch gebräuchliche Logo des Peter-und-Paul-Festes. Seither ist Tom auf dem Fest nicht mehr wegzudenken, fotografiert in bunter Gewandung mit den unterschiedlich gestreiften Hosenbeinen die Szenen der kultigsten vier Tage eines jeden Jahres des Brettener Kalenders.

Wie jeder Künstler veränderte sich auch Tom mit den Jahren, die Fotografie und deren digitale Bearbeitung wurde immer mehr zu seiner Leidenschaft. Mit großen Projekten machte er in den folgenden Jahren auf sich aufmerksam, beispielsweise durch die gigantischen Installationen überall auf den markanten Fassaden der Brettener Skyline und zuletzt mit seiner 50 Quadratmeter großen Interpretation Martin Luthers in Solingen. “Heute bin ich Künstler und Fotograf” sagt Thomas Rebel von sich. Was er morgen sein wird? Wer weiß das schon. Er lässt sich treiben mit dem kreativen Strom, der ihn nährt und der durch ihn genährt wird.

Dieser Beitrag erschien erstmals im Winter 2021

Vorheriger Beitrag

Bretten: „Qualitätsoffensive Innenstadt“ geht weiter

Ortseingang Stettfeld bekommt Querungshilfe

Nächster Beitrag

1 Gedanke zu „„Ich war einfach immer zu früh dran““

Kommentare sind geschlossen.