Heilbronns graues Sorgenkind – 170 Jahre Wollhaus

|

Der sterbende Betonriese in der Heilbronner Innenstadt feiert Geburtstag

Für die Hügelländer aus dem Kraichgauer Osten ist Heilbronn ein mehr als vertrauter Ort. Für Eppinger beispielsweise war die Neckar-Metropole immer erste Wahl wenn es ums Einkaufen, ums ausgehen oder um einen echten Großstadt-Bummel ging. Karlsruhe war damals noch keine echte Option, die Stadtbahn fuhr erst ab Gölshausen, Heilbronn lag einfach näher. Doch egal ob man an der Allee ins Kino wollte oder durch die Fleiner Straße oder die Sülmer City flanieren wollte, an einer Heilbronner Landmarke kam man nie vorbei. Der massive, wuchtige Monolith des Wollhauses war immer sichtbar, an ihm kam niemand vorbei. Wer hier in der Tiefgarage parkte betrat durch das Heizgebläse an den Eingängen die labyrinthartigen Gänge der Einkaufspassage, sah sich im Kaufhaus um oder aß etwas in den Schnellrestaurants entlang seiner Peripherie. Das Wollhaus war die in Beton gegossenen 80er-Jahre…nicht wirklich schön, aber doch irgendwie faszinierend und anziehend.

Dass man dem grauen Klotz den Namen “Wollhaus” nicht aufgrund seiner flauschig-weichen Fluffigkeit verliehen hat, dürfte auf der Hand liegen. Doch woher kommt eigentlich der name des in die Jahre gekommenen Einkaufszentrums? Dafür muss man in der Heilbronner Geschichte ein ganzes Stück weit in die Vergangenheit reisen, noch lange vor jene Zeit, in der Heilbronn durch verheerende Luftangriffe sein einstiges Gesicht fast vollständig verloren hat. Vor etwa 200 Jahren wurde der Staat das Recht verlieren mit Wolle zu handeln, einem für damalige Verhältnisse wichtigen Handelsgut. In den goldenen Tagen dieser Ära wechselte die Ware zahlreicher Spinnereien hier den Besitzer, Kaufleute von überall her strömten in die Stadt um der wertvollen Ware habhaft zu werden. Als Zentrum für diese Geschäfte wurde um 1852 beim Fleinertor das erste Wollhaus erbaut, das als Umschlagplatz aber auch als Lager für die Wolle genutzt wurde.

Jahrzehnte später war durch wirtschaftlichen Wandel und Fortschritte der Industrialisierung der Handel mit Wolle weit weniger interessant geworden und die Nutzungen des Wollhauses rangierte an der Grenze zur Bedeutungslosigkeit. Statt Wolle wurde nun auf dem Freigelände mit Pferden gehandelt und auf dem Gelände entstand Ende des 19 Jahrhunderts das Heilbronner Stadtbad. Wie auch weite Teile der Heilbronner Innenstadt viel selbiges 1944 dem Bombenhagel zum Opfer. Das Bombardement der Royal Air Force am 4. Dezember zerstörte insgesamt rund 60 Prozent der Stadtfläche.

Beim Wiederaufbau in den Nachkriegsjahren ging es vielmehr um Funktionalität, als um Ästhetik und Design. Heilbronn wurde zweckmäßig wieder aufgebaut, die Restaurierung zahlreicher, historische Gebäude war entweder unmöglich oder schlichtweg nicht finanzierbar. Schon Ende der 40er Jahre wurde über den Bau eines Einkaufszentrums am alten Wollmarkt nachgedacht, die Idee aber vorübergehend wieder verworfen. Erst Anfang der 70er Jahre wurde das Projekt wieder in Angriff genommen, nicht zuletzt, weil andere Einkaufszentren im Umkreis einen entsprechenden Druck auf die Stadt aufbauten.

So erfolgte 1973, also vor knapp 50 Jahren, der erste Spatenstich für das heutige Heilbronner Wollhaus. Ob man es glauben mag oder nicht, anfangs war das Wollhaus eine echte Erfolgsgeschichte. Sowohl das Design des im Stile des Brutalismus erbauten Gebäudekomplexes sorgten für bundesweites Interesse, als auch konnten sich die Zahlen sehen lassen. 100 Millionen D-Mark Umsatz gleich im ersten Jahr, das Wollhaus kam bei den Heilbronner/innen an. Bis weit in die 90er Jahre hinein boomte das Einkaufszentrum, das in der Ladenpassage zahlreiche Einzelhändler sowie das große Kaufhaus Galeria Kaufhof umfasste. Anfang der 2000 wurde der Sanierungsstau immer größer und die optische Erscheinung des brutalen Betonriesen passte immer weniger ins Bild einer modernen Innenstadt. Fassadenteile stürzten herab und schließlich wurde die Wollhaus-Brücke nahe der Allee wegen Baufälligkeit für die Öffentlichkeit gesperrt. Als sich vor etwa zehn Jahren mit dem Kaufhof der größte Mieter des Wollhauses zurückzog, sah die Zukunft des Heilbronner Wahrzeichens eher düster aus. Seither gibt es immer wieder Überlegungen, was mit dem Komplex oder dem Areal auf dem es steht geschehen könnte, doch bis heute ragt das alte Wollhaus noch in den Heilbronner Himmel. Wie lange der steinerne Riese noch mit seinen grauen Augen über die Stadt blicken wird, ist derzeit völlig ungewiss.

Vorheriger Beitrag

„visual art’n sound“ – Der Wettbewerb, der Künste vereint

B293: Neubau von Lärmschutzwänden bei Leingarten beginnt

Nächster Beitrag

1 Gedanke zu „Heilbronns graues Sorgenkind – 170 Jahre Wollhaus“

  1. Vielen Dank für diese interessanten Informationen, dass das Wollhaus so alt ist hätte ich wirklich nicht gedacht. Ich lebte lange Zeit in Sulzfeld/Baden und da fuhr man eben nach Heilbronn zum Einkaufen. Und dabei führte auch mal der Weg ins Wollhaus. Neben einem Möbelhaus gab es ein Bekleidungs-geschäft, das auch heute noch existiert. Angebot und Beratung waren sehr gut.

Kommentare sind geschlossen.