„Gott bewahre mich, ich fahre jetzt los“

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Harte Schale – Weicher Kern – Zu Gast auf einem Gottesdienst für Biker

Ein Beitrag von Stephan Gilliar

Liebe Leser*innen, es ist doch so: In der Regel entschließt man sich nicht willentlich und bewusst dazu, Vorurteile im eigenen Leben zuzulassen. Manche bekommt man durch die Familie vermittelt, manche durch den Freundeskreis und wiederum andere durch beispielsweise Fernsehsendungen oder Filme. Verwerflich dabei ist es im Grunde auch nicht Vorteile zu empfinden – dies ist schließlich ein menschlicher Makel, nicht gerade eine Zierde unseres Wesens… verwerflich ist es, diese Vorurteile nicht zu hinterfragen, sie einfach als gegeben hinzunehmen, sie aufrechtzuerhalten und sich auf diese Art und Weise guter Kontakte und schöner Momente zu berauben.

Ich gehe einfach mal frei vorweg und gestehe bislang reichlich Vorurteile gegen die Szene der Biker empfunden zu haben. Zahlreiche Berichte in den Nachrichten über die organisierte Kriminalität mancher großer Motorrad- und Rockervereinigungen haben dazu geführt, dass ich den Ledernacken mit reichlich Chrom unterm Hintern mit maximaler Skepsis und teilweise auch Abneigung begegnet bin.

Aber natürlich sind pauschale Urteile, wie überall im Leben, auch hier völlig fehl am Platz. Nach vielen Kontakten und Gesprächen, ohne übrigens je selbst auf einem Motorrad gesessen zu haben, bin ich vielmehr zu der Überzeugung gelangt, dass die meisten Biker friedliche, gesellige und vielleicht ein klein wenig verrückte Zeitgenossen sind. Sie sind mir über meine Jahre als Reporter auf zahlreichen Messen, Veranstaltungen, Treffen und Feiern begegnet, immer freundlich, immer aufgeschlossen und ohne jedwede Kapriolen, dafür menschlich und ehrlich.

Für mich kam Motorradfahren schon immer deswegen nicht infrage, weil es mir ganz einfach als viel zu gefährlich erscheint. Mit weit über 100 km/h über den Asphalt zu brettern, von selbigem nur mit einem Sturzhelm und etwas Leder getrennt, kam mir immer wie der pure Wahnsinn vor. Ich denke diesen subjektiven Eindruck kann man auch mit reichlich objektiven Fakten belegen, die Sterblichkeit unter Motorradfahrern ist schließlich traditionell vergleichsweise hoch.

Es hat mich daher schon immer brennend interessiert, mit welcher Lebenseinstellung Motorradfahrer auf die Piste gehen, welchen Glauben sie an das Universum und an den Schöpfer mit an Bord ihrer Maschinen nehmen. Ich kann mir eingedenk der statistischen Gefahr kaum vorstellen, dass jemand ohne ein gewisses Gottvertrauen den Anlasser betätigt und auf Tour geht.

Insofern war das vergangene Wochenende für mich eine echte Erleuchtung, konnte ich doch genau diesen Fragen an ihrer Quelle näher kommen. Zum 30-jährigen Jubiläum der Moonlight Ranch in Eppingen haben deren beiden Rancher Sabine und Günther die Biker-Community zu einem großen Motorradgottesdienst in ihren Biergarten eingeladen. Günther ist seit vielen Jahren begeisterter Western-Reiter, früher ist aber auch er auf schwere Maschinen durch die Landschaft gebraust und fühlt die Sehnsucht noch heute. „Ich habe heute noch brennende Hände, wenn ich diese Dinger sehe“ sagt er verträumt, als er den unzähligen Motorradfahrern einen Parkplatz zuweißt.

Dutzende von Ihnen rollen an diesem sonnigen Sonntag auf das Weideland der Moonlight Ranch, steigen trotz bereits ordentlicher Temperaturen in schwerer, schwarzer Lederkluft von den Sätteln. Aus der Gegend um Mosbach, Billigheim, Obrigheim und Schefflenz kommen zum Beispiel Patty, Gerald, Max und Ellie mit ihren glänzen Trikes. Sie sind Freunde seit ewigen Zeiten, im Sommer immer gemeinsam auf ihren Maschinen unterwegs. Als streng religiös würden sie sich nicht bezeichnen, doch auf jeden Fall als Gläubige im weiten Sinne. Denn ohne Glauben steigt niemand auf das Motorrad, der Schutzengel muss immer dabei sein, erzählen Sie lachend und nippen an ihren Bechern.

Auch Günther von der Moonlight Ranch hat es nicht so mit den großen Kirchen, nennt aber durchaus eine gewisse Spiritualität sein eigen – weiß für sich genau: „Zusammenkommen ist in meinen Augen auch Religiosität“ und blickt sich zufrieden unter seinen nicht minder zufriedenen Gästen um. Recht hat er, wo man auch hinblickt losgelöste, entspannte Gesichter und viel Gelächter. Auch seine Sabine hatte am Anfang etwas Gänsehaut, bei den großen und schweren Jungs. Als einmal eine Gruppe in die Ranch kam, tätowiert bis ins Gesicht, schwere Lederkleidung, kernige Staturen, wurde es ihr auch erst mal ganz anders. Doch im direkten Umgang zeigten sich die Jungs zuckersüß und regelrecht goldig. „Die haben gefragt ob sie helfen können, ihre Teller sauber zusammen gestapelt, war nett und rücksichtsvoll…“ erinnert sich Sabine lachend zurück. Von da an, war auch bei ihr das Eis gebrochen.

Der Pastor für den Gottesdienst an diesem Morgen, sieht ebenfalls aus wie einer, den man sich durchaus auf einem Motorrad vorstellen könnte. Eine Figur wie ein Bär, ein buschiger Bart und eine glänzende Glatze über dem markanten Gesicht.. Tatsächlich ist auch Christoph Kullen früher über die Straßen gebrettert.. in einer umgebauten Enduro mit reichlich Kraft unter dem Hintern.

Mittlerweile ist die Wildheit ein Stückweit der Sanftheit der Vaterschaft gewichen. Zusammen mit seiner Frau Amélie hat er drei Söhne: Joshua, Noah und Joel… den Kleinsten wiegt er an diesem Morgen sanft in seinen starken Armen. Schon mit jungen Jahren hat der studierte Sozialpädagoge zum Glauben gefunden, denn er ist überzeugt, dass es ein Herzensanliegen der Menschen ist von Gott zu erzählen. So hat er seine Heimat, die schwäbische Alb bei Bad Urach verlassen um, wie er sagt Gottes Ruf folgend, Missionsarbeit in Brasilien zu übernehmen. Vor einiger Zeit kehrte er jedoch wieder in die Heimat zurück und engagiert sich nun als Pastor im Gospel-Forum Stuttgart, einer Freikirche in Feuerbach.

Auf den Gottesdienst heute Morgen unter freiem Himmel hat er sich sehr gefreut, weiß er doch, dass sich hinter dem dicken Leder der Biker keineswegs irgendwelche Klischees, sondern Menschen wie du und ich finden. Auch Amelie ergänzt: „Gott ist doch nicht nur in der Kirche versteckt“

Christoph weiß, wie viele Fragen und Platz das Thema „Tod“ in der Gedankenwelt der Biker einnimmt, schließlich hat er selbst schon einschlägige Erfahrungen gesammelt. Als er zum Beispiel eines Morgens mit dem Motorrad zur Arbeit fahren wollte, beschlich ihn plötzlich ein seltsames Gefühl, eine Art Vorahnung. Also nahm er stattdessen das Auto. Auf der Fahrt rannte ein Reh auf die Fahrbahn, Christoph rammte es frontal. Wäre dies mit dem Motorrad geschehen, so wäre er jetzt nicht mehr da, davon ist überzeugt. Es sollte nicht die letzte Situation bleiben, in welcher er dem Tod sprichwörtlich ins Auge blickte.

Garantien gibt es keine, die gibt es niemals im Leben. Wer sich auf ein Motorrad setzt, den Anlasser drückt und sich anschickt die Fahrt zu beginnen, der sollte und darf demütig Gottvertrauen finden. Christoph sagt es auf einfache aber auf eindrücklich Art und Weise: „Gott bewahre mich..ich fahre jetzt los“

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