Gewachsen, Gereift, Verdorben

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Trotz hoher Obstpreise vergammeln im Kraichgau tonnenweise Früchte direkt an den Bäumen. Mit einem gelben Band könnte dies verhindert werden, doch es gibt einen Haken, der es in sich hat.

Hätte man ihnen im Supermarkt vor ein paar Jahren die aktuellen Preise für Grundnahrungsmittel, wie beispielsweise Milchprodukte, Obst oder Gemüse genannt, wären sie wahrscheinlich von einem schlechten Witz ausgegangen. Teilweise haben sich die Kosten für den Lebensmitteleinkauf vervielfacht, auch im Sommer 2023 sind die Verbraucherpreise immer noch schmerzlich hoch angesiedelt.

Einen bizarren Kontrast bilden dabei das horrend teure Obst in den Märkten und unsere heimischen Früchte, die oft auf den Bäumen heranreifen und ungepflückt verderben. Längst nicht alle Obstbäume im Hügelland werden von ihren Besitzern bewirtschaftet, aus welchen Gründen auch immer, verdirbt so Jahr für Jahr tonnenweise Obst ungenutzt. Obwohl es also zweifelsohne sowohl eine Nachfrage als auch ein Angebot nach frischem und gesundem Obst aus der Region gibt, finden diese beiden jedoch nicht zueinander.

Eine Lösung für dieses Dilemma gibt es im Grunde schon, sie nennt sich “Ernteaktion Gelbes Band“ und soll der Lebensmittelverschwendung in Deutschland etwas Eigeninitiative entgegensetzen. Der Hintergrund ist durchaus beachtlich, jedes Jahr landen unglaubliche elf Millionen Tonnen Lebensmittel einfach so im Abfall… Ein durch und durch marodes System, an dessen gegenüberliegendem Ufer immer mehr Menschen auf Hilfsangebote wie beispielsweise die Tafel angewiesen sind.

Warum aber findet man in unserer Region beim Spaziergang durch die grüne Natur kaum gelbe Bänder an den Obstbäumen, beispielsweise an den unzähligen Kirschenbäumen, die derzeit überreife Früchte tragen? Ein möglicher Erklärungsversuch unsererseits könnte das “Kleingedruckte” sein, das sich auf der Website des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft findet. Auch ohne auf eine juristische Ausbildung zurückgreifen zu können, liest sich der Abschnitt “Rechtliche Hinweise” auf der Infoseite des Ministeriums zur “Ernteaktion Gelbes Band” ernüchternd. Dort steht unter anderem: “

…Als Verfügungsberechtigte obliegen Ihnen Verkehrssicherungspflichten. Das bedeutet, Sie müssen Gefahrenquellen ausschließen, die durch Astbruch, Stolperfallen o.ä. entstehen könnten, um Schäden anderer zu verhindern. Ihre Haftung können Sie nicht durch einen Hinweis wie „Ernten auf eigene Gefahr“ o.ä. ausschließen.” Es wird vor dem Anbringen gelber Bänder auf dem eigenen Grundstück dazu geraten, die eigene Haftpflichtversicherung zu konsultieren, ob ein ausreichender Versicherungsschutz besteht….

Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft

Ferner heißt es abschließend: “Die Teilnahme an der Aktion erfolgt auf eigene Verantwortung der Obstbaumbesitzerinnen und -besitzer.”

Das mag zwar alles juristisch seine Ordnung haben, ist aber sicher für nicht wenige Obstbaum-Eigner eine zu große Hürde, um einfach darüber hinwegzusehen. Wer möchte schon Obst zum Nulltarif anbieten und dafür auch noch finanziell im Falle eines Falles gerade stehen? Im Zweifelsfall lässt man dann doch lieber das Obst am Zweig verrotten, als sich einem solchen Haftungsrisiko auszusetzen. Zwar finden sich in diversen Fachpublikationen auch Juristen die die Meinung vertreten, dass eine Haftung des Grundstückseigners im Regelfall eher selten greifen dürfte, auszuschließen ist eine solche aber nicht.

Das gelbe Band ist bei weitem nicht die einzige Initiative, die der Verschwendung ungenutzter Früchte entgegentritt. Auf der Webseite mundraub.org kann jeder verwaiste Obstbäume eintragen, eine Prüfung, ob der besagte Baum tatsächlich “herrenlos” ist, obliegt allerdings der Nutzerbasis selbst. Auch im Kraichgau bieten manche Kommunen das Obst der eigenen Bäume zur kostenfreien Ernte an, beispielsweise Ubstadt-Weiher im Zuge seiner Aktion “Artenreich”, die für mehr Artenvielfalt in der Gemeinde sorgen soll. In allen vier Ortsteilen finden sich an zahlreichen Bäumen entsprechende Plaketten, die mit der simplen Aufforderung “Pflück mich” jeden zur Ernte der Früchte einladen. Dabei werden nach Rückfrage bei der Gemeinde nur Bäume ausgewählt, die keine erkennbaren Schäden oder Mängel aufweisen oder in schwer zugänglichem Terrain stehen. Bei regelmäßigen Baumbegehungen werden die Bestände stichprobenartig geprüft, eine 100-prozentige Sicherheit kann es aber selbstverständlich niemals geben.

So kann das Fazit nur lauten, dass obwohl die Haftungsrisiken für Grundstückseigentümer sich in sehr engen Grenzen halten, eine glasklare Regelung zu begrüßen wäre, mit der Obstbaumbesitzer klar und verlässlich arbeiten und planen können. Jede Unterstützung die das Öffnen der Schere aus Armut und Verschwendung in Schach halten könnte, wäre in jedem Fall wärmstens zu begrüßen.

Wer sich näher für die Thematik interessiert findet in der Baumzeitung einen hervorragenden Beitrag mit der Einschätzung eines Fachjuristen. Wir verlinken den Beitrag an dieser Stelle.

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7 Gedanken zu „Gewachsen, Gereift, Verdorben“

  1. Man kann doch alles mit irgendwelchen Risiken bleiben lassen.
    Dies scheint hier guter „Brauch“ zu sein.

    • Na ja, aber man muss auch nicht ein Risiko auf sich nehmen, das man im Zweifelsfall nicht ganz allein selbst zu tragen hat, sondern von anderen abhängt. Ich verstehe, wenn man das nicht mitmacht.

  2. Über unsere Gesetze kann ich nur noch den Kopf schütteln. Wie wäre es mit „auf eigene Gefahr“!Vielen hilfsbedürftigen Menschen wäre damit geholfen,und auch jenen,die sowieso noch vom alten Schlag sind,und nichts verkommen lassen.

    • …und wir lachen hämisch über Schadensersatzklage für die Katze in der Mikrowelle (die es im übrigen nie gab), dabei können wir dies viel besser.

  3. Null Risiko Gesellschaft, zerlegt sich selbst. Zum heulen dass der Staat heute jedem begünstigten die damit verbundene Eigenverantwortung abnehmen will🙄

  4. Es heist im übrigen auch nicht Baum sondern raumübergreifendes Großgrün welches von spontan Vegetation umgeben ist sollte man eigentlich wissen.
    Aber genug wir brauchen echte Lösungen und keine Debatten. Ich wäre für einen Baum TÜV. Kann ja nicht sein, dass irgendwo ein Baum ungeprüft rumsteht und die Allgemeinenheit gefährdet zusätzlich sollte es eine Haftpflicht für jeden Baum geben um Menschen vor verantwortungslosen Bäumen zu schützen.

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