Fresst meinen Frust

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Wie Sport-Bruddler und Nörgler-Nulpen im Netz alle anderen in die Flucht schlagen

Eine Kolumne von Tommy Gerstner

Freunde, stellt euch bitte einfach mal folgendes Szenario vor. Ihr sitzt gemütlich in einer Kneipe, trinkt euer Bier und quatscht ganz entspannt mit euren Kumpels. Plötzlich kommt einer rein, mit zornesrotem Kopf, angepissten, entgleisten Gesichtszügen, stellt sich auf einen Tisch und schreit Dinge wie: “Ich könnte gerade nur kotzen, irgendwelche dummen Jugendlichen haben gestern wieder die Aussichtsstelle mit ihrem Abfall zugemüllt”. Wahlweise geht natürlich auch: “Ich habe gerade so einen Hals, weil irgendwelche asozialen Penner Ihre Mülltonnen soweit auf den Gehweg schieben, dass man mit dem Kinderwagen nicht mehr drumherum kommt” oder natürlich “Das Gras auf dem Spielplatz ist schon wieder 10 Zentimeter hoch, welche Deppen sitzen da eigentlich im Rathaus?”

Was glaubt ihr, was dann wohl passieren würde? Würden vielleicht alle Gäste ihr Gespräch unterbrechen, dem Kerl zustimmend auf die Schulter klopfen und sagen: “Gut dass es mal einer ausspricht, toller Typ – Lokalrunde auf mich”? Nein, es würde das passieren, was mit Querulanten in jeder Kneipe rund um diesen Planeten seit Jahrzehnten passiert. Alle würden ihn komplett ignorieren und am Ende des Abends würde er seinen kleingeistigen Frust in sein Bierglas am Ende der Theke murmeln.

Dauerfrustration vergiftet jede Diskussion

Nörgler, Besserwisser, Motzer, Blender, Aufschneider…. Jedes Dorf hatte zu jeder Zeit solche Spezialisten, die zwar immer irgendwo am Rande dabei waren, aber nie wirklich dazu gehörten. Heute, in den göttlichen 2000ern, ist der “Schnack of Town” vom Tresen ins Internet diffundiert und wird seither in den örtlichen Gruppen der sozialen Netzwerke verbreitet. Diese Gruppen sind eine echte Goldader an Gerüchten, Halbwahrheiten, Klatsch und Tratsch – ein Traum für alle Flurfunker und – ganz ohne Scheiß – eine ergiebige Quelle für uns Lokaljournalisten, wohnt doch jeder Halbwahrheit eben auch eine Wahrheit inne.

Diese Gruppen können, sofern sie gut moderiert werden, wirklich Spaß machen. Tante Berta findet darüber ihre vor 25 Sekunden ausgebüxte Katze wieder, Rainer wird nach der Sanierung seiner Auffahrt schnell und easy die alten Waschbetonplatten los und der FC Pillermann akquiriert eine erkleckliche Gästeliste für sein bevorstehendes Mega-Event “Apres-Ski-Komasaufen” in der Mehrzweckhalle. Leider treiben sich in diesen Gruppen, wie im echten Leben auch, besagte Kneipen-Trolle herum. Kann man in Klausis Pils-Stube diese Burschen noch mit einem kollektiven Brüller vom Stammtisch zur Raison bringen, haben sie im Netz aber eine Stimme die genauso laut ist, wie jene aller anderen. Im philosophisch-demokratischen Sinne eigentlich eine schöne Sache, würde jeder seine Stimme tatsächlich nur dann erheben, wenn er etwas Konstruktives zum Weltgeschehen beizutragen hätte. Die Motz-Möhren und Bruddel-Bimser säen aber nichts als Frust, Vorurteile und Zwietracht.

Selber machen, Klappe halten, Frieden finden

Klar ist es ärgerlich, wenn auf der Parkbank aufgerissene Fastfood-Schachteln liegen und daneben zerdepperte Bierflaschen… sich darüber aber mit 30 Wut-Smileys und 40 Kotz-Emojis vor mehreren tausend Menschen zu echauffieren, ist einfach nur kleingeistig, peinlich und lächerlich. Meist kommt dazu noch eine pauschale, völlig unbelegte Behauptung, die meist irgendeine Zielgruppe diffamiert und in den Dreck zieht. Für so ein Gelage können natürlich nur Jugendliche verantwortlich sein, auf Beweise ist hier doch geschissen. Sofort springen dann reflexhaft die anderen, wenigen Motzer auf diesen Zug auf und nutzen die Gunst der Stunde um z.B. gegen die verhassten Friday for future Kids zu wettern, schließlich sind das doch alles erbärmliche Heuchler. Klar, schließlich haben wir Oldies damals alle nur nach den Regeln gespielt, uns mit unseren sauber gebügelten Gabardine-Hosen anständig im Park die Frisbees zugeworfen, niemals einen über den Durst getrunken (geht ja auch mit Kamillen-Tee und Limonade nicht) und schon gar nicht die Hand gegen den anderen erhoben.

Diese Heuchelei ist derart unerträglich, dass es mir beim erzwungenen Lesen den Magen von innen nach außen stülpt. Als unverbindlichen Handlungsvorschlag empfehle ich allen chronisch Frustrierten sich wie Erwachsene zu benehmen und A.) den Unrat einfach schnell selbst aufzusammeln und ihn in den Mülleimer zu schaufeln, oder B.) das Handy zu packen und dem Ordnungsamt der Gemeinde Bescheid zu geben. Stattdessen wird das Handy verwendet um einen Schnappschuss anzufertigen und mehrere tausend Menschen damit zu terrorisieren und zu belästigen. Die einzige Folge dieses dämlichen Handelns und die dahinter verborgene Intention ist den eigenen Frust und die eigene Kleingeistigkeit auf andere abzuwälzen. Etwas anderes ist hier kaum vorstellbar, oder erwartet man tatsächlich durch besagte Postings die Übeltäter in Reue und Nachdenklichkeit zu zwingen? Wohl kaum.

Um abschließend die hier von mir geöffnete Packung komplett aufzureißen, könnte man das ganze auch problemlos auf die Makroebene lupfen. Weil die Mehrheit der gemäßigten und rationalen Foristen in diesen Netzwerken mittlerweile resigniert schweigt um die Trolle nicht noch weiter mit Futter zu versorgen, muss sich zwangsläufig der Eindruck ergeben, diese kleine Randgruppe würde eine Art Mehrheit im Netz repräsentieren. Freunde, ihr könnt euch sicher sein, dem ist nicht so. Wie im echten Leben auch, gibt es vielmehr gute Seelen, als verdorbene, das ist im Netz nicht anders.

Das Gegenmittel liegt dabei so nah und besteht im Grunde aus entschiedenen und durchdachten Gegenargumenten. Bruddler, Motzer, Hetzer und Hasser haben Argumenten oft kaum etwas entgegenzusetzen, ihnen geht es nur um das Öffnen Ihres Überdruckventils für schwarze, dickflüssige Negativität. Egal ob es über Vorurteile und Frust in Sachen vermüllter Spielplätze oder um die gute alte Xenophobie geht, die gewählten Waffen und Stilmittel sind immer dieselben. Doch Freunde, Gegenrede hilft. Gerade erst hat eine Studie das erstmals am beispiel der Trollarmeen von Reconquista Germanica und ihrer Gegenbewegung Reconquista Internet eindrucksvoll belegt.

Selbstredend liegt es mir fern Manfred Motzmüller aus Klein-Frustbach mit organisierten Hetzern auf eine Stufe zu stellen, doch der Grundgedanke bleibt: Gestattet den Giftspritzern, den ewig Frustrierten und Kleingeistigen nicht den öffentlichen Diskurs zu kapern und an sich zu reißen. Glaubt nicht einen Moment lang, die Welt würde mehrheitlich aus solchen Menschen bestehen. In Wahrheit besteht sie aus sehr vielen guten und gemäßigten Seelen, die sich angesichts des lauten, keifenden und geifernden Geschreis einiger weniger, in eine fatale Passivität zurückgezogen haben.

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