Für viele bedeutet Fasching einfach nur ein paar Tage sorglosen Spaß im Jahr, für den Reihener Carnevals Verein ist er dagegen Herzblut, Berufung und wirklich harte Arbeit
Mit weißen Taschentüchern tupfen sie ihre Tränen weg, schluchzen dabei herzzerreißend, während sie durch das allmählich in dunkler Nacht versinkende Reihen schreiten. Vorne weg zwei einsame Trommler, dahinter das Prinzenpaar und als langer Tross die Tanzgarde – von den Kuckuckskindern bis zu den Silbergirls. Es ist eine eindrückliche Szene, ich gebe zu, spätestens als die langsamen Trommelschläge einsetzen und die Fackeln angezündet werden, läuft mir ein Schauer den Rücken herunter. Man fühlt es und spürt es sofort: Was sich hier im kleinen Sinsheimer Stadtteil Reihen ereignet, hat eine lange Tradition im Dorf – der Fasching wird verabschiedet und die Narren klagen.
Die Trauer, die Prinz Robin, Prinzessin Janina, die stellvertretende Vorstandsvorsitzende Kathrin und all die anderen aktiven Fastnachter aus Reihen heute Abend lautstark schniefend zur Schau stellen, mag bewusst etwas übertrieben sein, aber… nicht nur. Es sind ambivalente Gefühle, die diesen Zug begleiten. Einerseits tatsächlich etwas Trauer über das Ende der närrischen Saison und den Ausklang der bunten Tage, andererseits aber auch unendlich viel Erleichterung darüber, dass alles geklappt hat, die fünfte Jahreszeit ohne schwerwiegende Zwischenfälle zu Ende gegangen ist. Denn Fasching ist nicht nur Spaß und unbeschwerte Gaudi, sondern für die, die ihn ermöglichen, auch handfeste und fordernde Arbeit.
Während die Fasnacht in der Sinsheimer Kernstadt schon vor Jahren in einen langen Dornröschenschlaf gesunken ist, halten lediglich die Stadtteile Hoffenheim, Hilsbach und eben Reihen des närrische Zepter noch hoch. Kaum jemand macht sich eine Vorstellung davon, wie viel Zeit, Geduld und Nerven das kosten kann. Irgendjemand muss die vielen Abteilungen der Tanzgarde trainieren, für die aufwändigen Kostüme sorgen, Räumlichkeiten organisieren, das Programm für eine Prunksitzung auf die Beine stellen, mit Stadt und Behörden die Rahmenbedingungen und das Sicherheitskonzept für einen Umzug abstimmen, Gelder für GEMA, Security, Mieten, Versicherungen und Co. auftreiben, Mitglieder, Satzung und Kasse betreuen und noch vieles vieles mehr.
Diese ehrenamtliche Arbeit wird selbstredend ausschließlich in der Freizeit der Fasnachter gestemmt. “Während der närrischen Tage muss jeder von uns schon mal pauschal eine Woche Urlaub nehmen, die ausschließlich dafür draufgeht“, erzählt die stellvertretende Vorsitzende Kathrin und lacht dabei. “Im Grunde fangen wir schon im September mit der Arbeit an”, ergänzt der mit über zwei Meter hünenhaft große Prinz Robin, demgegenüber sogar ich mich klein fühle, obwohl ich mit meinen 1,95 Metern auch nicht gerade prädestiniert für eine Komparsenrolle als Hobbit in “Herr der Ringe” wäre. Robin ist nicht nur Prinz der Kampagne 23/24 sondern auch Vorstandsvorsitzender der Reihener Narren, die mit ihrem Traditionsverein in großen Schritten ihrem 50. Jubiläum entgegen gehen. Los ging alles 1976, in jenem Jahr als Erich Honecker Staatschef der DDR wurde und der Terror der RAF mit einem Paukenschlag in Stammheim endete. In Reihen bildete sich zu jener Zeit nach etwas Stammtischgeplänkel im Vorfeld der erste Elferrat und der damalige Ortsvorsitzende Uhler wurde gefesselt zum Schlumpelplatz geführt, wo er den Narren den Rathausschlüssel übergeben musste.
Das ist 48 Jahre her, doch die Tradition wird immer noch hochgehalten. An diesem Dienstagabend, dem Abend vor Aschermittwoch, wird diese Okkupation im Grunde rückabgewickelt. Die Narren ziehen von ihrer letzten Festivität der Saison – dem Senioren- und Kinderfasching in der Lindenbaumhalle – in einem Trauerzug vor den alten Löwen, um dort besagten Schlüssel an Ortsvorsteher Willibald Hönig zurückzugeben. Der rüstige Dorfpolitiker ist sichtlich stolz auf seine Fastnachter, wie auch auf alle anderen Vereine in seinem Reihen. “Ich hoffe und wünsche mir so, dass es alles so weitergeht.” sagt er selig, während die Narren den Schlumpel abhängen und gemeinsam mit ihren Fackeln vor dem Tor des Löwen, das wie man sagt sagt, das alte Portal der einstigen Burg Reihen ist, andächtig in Brand stecken. “Ich bin einfach stolz und und als Reihemer muss ich sagen, ich fühl mich so wohl, dass ich in Reihen wohne”, freut sich Willi und die Flammen der brennenden Puppe spiegeln sich in seinen leicht tränenschwimmenden Augen.
Es ist tatsächlich ein sehr schöner, ein andächtiger und friedlicher Moment. Die Narren stehen schweigend um den brennenden Schlumpel, die Kinder werfen vorsichtig die Laternen, die sie auf dem Umzug mitgeführt haben, in die Flammen und jeder hängt seinen eigenen Gedanken zum Ausklang dieser Saison nach. In den kommenden Wochen ist etwas Zeit für all das andere… alles, was während der närrischen Tage und ihrem langen, vorausgehenden Atem liegen geblieben ist. Doch spätestens dann, wenn sich der Sommer dem Ende entgegen neigt, beginnt bereits wieder die Arbeit für die nächste Kampagne. Dann wird wieder organisiert, beraten, getüftelt und gesponnen, zusammengerückt und losgelegt. Dann bieten Sie all den Chaoten, Störenfrieden, den schwierigen Auflagen, den steigenden Kosten und sonstigen Widrigkeiten erneut die Stirn, um ein weiteres Mal laut rufen zu dürfen: Reihen Helau! Schön, dass es das noch gibt!
Vielen Dank für den sehr sehr tollen Bericht, hat uns sehr gefreut und wir hoffen natürlich auf ein Wiedersehen:)
3 donnernde Reihen Helau !