Ein Satz mit 900.000 X

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Das letztjährige Schlossfestival zum 300. Geburtstag des Bruchsaler Schlosses war groß, opulent, spektakulär und vor allem: Sauteuer

Über eine große Sause, ein großes Minus und erstaunlich wenig Selbstreflexion

Ein Kommentar von Stephan Gilliar

Wenn die Reichen und der Adel in den goldenen Tagen des Barock gefeiert haben, dann wurde selten gekleckert, sondern stets geklotzt. Prunkvolle Empfänge, üppige Bälle und erlesene Darbietungen und Köstlichkeiten aus aller Herren Länder inmitten von Stuck, Prunk und Protz. Nicht ohne Grund haben sich viele Künstler dieser Epoche dem damals allgegenwärtigen menschlichen Laster gewidmet. Lieber groß als klein, müssen sich auch die Macher des letztjährigen Schlossfestivals anlässlich des 300. Geburtstages des Bruchsaler Barockschlosses gedacht haben, als sie die Planungen für die mehrtägige XXL-Sause auf die Beine gestellt haben. Opernstars, Startrompeter, Showgrößen aus Übersee und ganze Ensembles und Orchester wurden für die spektakuläre Seebühne im Schlossgarten verpflichtet. Die Ticketpreise, die dafür aufgerufen wurden, waren ähnlich groß dimensioniert. Bis in den dreistelligen Bereich gingen diese teilweise problemlos, je nach Veranstaltung und Position in den Zuschauerrängen.

Nach Angaben der Bruchsaler Tourismus, Marketing & Veranstaltungs-GmbH BTMV wollten 18.000 Menschen dabei sein und leisteten sich eine Karte für eines der insgesamt neun Konzerte des Festivals. Zu wenig, wie sich nun herausstellen sollte und wie man eingedenk mancher kursierende Bilder von teilweise äußerst lückenhaften Rängen schon hätte vermuten können. Die Folge: Das Schlossfestival fährt ein 900.000 Euro-Defizit ein. Diese Zahl kommuniziert die BTMV nun ein knappes Jahr danach per Presseerklärung. An Erklärungsversuchen mangelt es dabei nicht, so heißt es in besagter Erklärung unter anderem, die Umstände bei der Durchführung der Veranstaltung hätten erheblichen Gegenwind erhalten und weiter “…So konnten teils günstige Einkaufsbedingungen nicht gehalten werden, zugesagte Lieferkapazitäten nicht abgerufen werden. Auch die Nachwirkungen der COVID 19-Pandemie forderten durch rechtliche und tatsächliche Erschwernisse die Entschlossenheit der Beteiligten. Zuletzt konnte wegen der hochsommerlichen Temperaturen nicht jeder potenzielle Besucher gewonnen und gehalten werden, sodass die Ticketverkäufe an der Abendkasse und vor Ort hinter den Prognosen zurückgeblieben sind…” Auswirkungen der Pandemie in ihrem dritten Jahr und heißes Wetter im Sommer… wer hätte damit schon rechnen können?

Da diese 900.000 € nicht durch Sponsorengelder zu kompensieren seien, müsse diese Summe nun durch die Rücklagen der BTMV – ein kommunales Unternehmen der Stadt Bruchsal – aufgefangen werden, so die Mitteilung weiter. Unmittelbar durch Steuergelder wird diese Summe nicht kompensiert werden, ein Ausgleich dieser Art sei nicht zulässig, führt die BTMV weiter aus. Das Defizit müsse nun durch Überschüsse unter anderem im Veranstaltungsbereich ausgeglichen werden. Soweit so gut, man darf gespannt sein, welche Art von Veranstaltung notwendig sein wird, um eine annähernde Millionen Euro Miese wieder wettzumachen.

Was die Pressemitteilung jedoch vermissen lässt, ist jede Art von kritischer Selbstreflexion. Anstatt sich die Frage zu stellen, ob ein Teil dieser 900.000 Probleme vielleicht auch hausgemacht sind, verortet man die zugrunde liegenden Ursachen lieber bei der Pandemie, bei Dritten oder gar dem Wetter. Sicherlich alles veritable Gründe, aber vielleicht sollte man sich zudem die Frage stellen, ob man versäumt hat, die Bruchsaler dort abzuholen, wo sie stehen… auf dem Boden der Tatsachen. Ob wirklich eine breite Mehrheit in der Lage war, auch gebeutelt durch die Einbußen der Pandemie, sich ein oder gar mehrere Tickets á 250 Euro für Giacomo Puccinis Tosca samt “kulinarischen Feinspeisen vom Buffet vor der Veranstaltung, VIP-Empfang, Drinks und Co.” zu gönnen? Wohl eher nicht. Ganz klar ein plakatives Extrembeispiel, es gab auch deutlich günstigere Karten. Dennoch drängt sich der Verdacht auf, dass an die Normalverdiener, die den absoluten Löwenanteil der Bruchsaler Bevölkerung stellen, nicht ausreichend gedacht wurde. Klar, es gab die Veranstaltung im Schlosshof, mit lokalen Bands, die kostenfrei besucht werden konnte, doch auf mich wirkte das eher wie ein Trostpflaster oder die kleine Schultüte für Geschwisterkinder, wenn Brüderchen oder Schwesterchen als Schulanfänger die große Variante bekommen. Veranstaltet sogar in räumlicher Trennung vom eigentlichen Geschehen des Festivals im Schlossgarten, aber das nur am Rande.

Vielleicht ist es auch an der Zeit, sich die Frage zu stellen, ob das Schloss in seiner äußeren Darstellung bei den oft hochtrabenden Narrativen des Barock verharren muss? Kann das Schloss nicht ein Schloss für alle Menschen in der Stadt sein, muss es seinen Geburtstag wirklich zu großen Teilen mit klassischer Musik und Sektkelchen in der Hand feiern? Kann denn ein Teil dieser irrsinnig groß kalkulierten Gelder nicht lieber in Vereine investiert werden, damit diese sich auch weiter die Teilnahme am jüngst verendeten Schlossfest – ursprünglich tatsächlich angedacht für Otto Normalverbraucher – auch weiterhin leisten können? Natürlich gibt es auch Raum und Zeit, sowie eine Daseinsberechtigung für all diese Formate, doch das Gleichgewicht gefällt mir zunehmend immer weniger.

Dies alles sind Fragen, denen man sich bei der BTMV ganz offensichtlich derzeit nicht wirklich widmet, zumindest wird keine davon in der nun versandten Erklärung thematisiert. Stattdessen wirkt deren Epilog wie ein Rechtfertigungsversuch, wieso das Schlossfestival am Ende doch eine gute Idee war. So hätte man überdurchschnittlich positive Rückmeldungen aus Besucherkreisen erhalten, ein Marktforschungsinstitut hätte den “PR-Wert” für die Stadt mit einer guten halben Millionen Euro beziffert, hinzu kämen Steuereinnahmen und hohe Auslastungen der Hotels während der Veranstaltung.

BTMV-Chef Frank Kowalski will daher an dem Konzept festhalten und es durch die nun gemachten Erfahrungen optimieren:”… Das bestehende Konzept werden wir ausführlich mit unseren Partnern und den Beteiligten weiter erörtern. Die so erkannten Risiken werden wir mit unserer Erfahrung senken und die Veranstaltung zu einer erfolgreichen Institution in den Reihen der Veranstaltungen der Stadt Bruchsal ausbauen. Wir sind überzeugt, dass das ein innovatives und zukunftsfähiges Konzept ist, das die kulturelle Identität der Stadt Bruchsal hervorragend unterstreicht…”

Es wird also vermutlich weiter gefeiert werden am Schloss Bruchsal, auch wenn augenfällig 900.000 Gründe dagegen sprechen. Als dann: Hoch die Tassen, Prost ihr Lieben.

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9 Gedanken zu „Ein Satz mit 900.000 X“

  1. Vom finanziellen Defizit ganz abgesehen:
    Damals konnte man sich als normaler, arbeitender Mensch (das Fest ging schließlich durch die Woche) nur entscheiden zwischen „bei offenem Fenster schlafen – und keinen Schlaf bekommen da bis weit über 2 Uhr laute Musik dröhnte“, oder „bei geschlossenem Fenster schlafen – und keinen Schlaf bekommen da die Temperaturen hochsommerlich waren“. Nichts was einen am WE stören würde aber der Trubel ging viele Tage ohne Pause, was auch vielen, die weiter weg wohnen, deutlich zu schaffen machte.
    Die Stadt gab auf vielerlei Beschwerden lediglich an, man „prüfe das intern“ und „gäbe es in der nächsten Feedback Versammlung zur Sprache“.
    Empfanden wir als maximale Rücksichtslosigkeit gegenüber den Bürgern, gelernt hat man, wie die letzten Feste zeigen, scheinbar immerhin etwas draus.

  2. Das Eventvolk und die handelenden Personen fahren das Ding gegen die Wand ! Und dann werden Gebühren und Beiträge wieder teurer , Service gestrichen und der Bürger ist der Dumme !! Wieviel Kinder davon eine gute Bildung bekommen hätten ??

  3. Man muß sich auch mal was gönnen können .
    Also nicht immer alles negativ sehen und locker bleiben .
    Wir haben es genossen und werden von den schönen Events noch lange zehren.

    • So lange Vielfalt und Nachhaltigkeit eine schöne Lachnummer ist im Grundgesetz ist und der Konsummichl seinen einzigen Lebensgrundlage im Konsum sieht passt es doch ! Schade für alle die anderen wo gerne 900 000€ für sinnvolle Dinge gebraucht hätten !! Denken soll man halt nicht , eher seinen nicht vorhanden Sinn im Konsum suchen 🤞. Dann stellt man sich halt in Brusl am Schloss an ! Frei gewählt ../

  4. LOL Sommerwetter im Sommer und dann noch bei einer Open Air Veranstaltung, kann ja nur schief gehen. Naja, jetzt wird man wenigstens die blöden Rücklagen los, wer braucht die schon?

  5. Ich denke man hätte den Feiernden bzw auch dem Kulturkreis auch mit einheimischen Künstlern eine Freude gemacht.
    Es gibt auch bei uns gute Künstler. Da brauch man keine aus Übersee einfliegen.
    Oftmals kann der Laie die Qualität eh nicht unterscheiden.
    Die Eintrittsgelder wären günstiger gewesen es wären mehr Leute gekommen. Der Spass wäre derselbe gewesen.
    Der Tribünenaufbau hätte auch eine Nr kleiner ausfallen können. Da wurde schon ordentlich hingeklotzt .

  6. Die 900.000 € Defizit bei der BMTV sind ja nur die halbe Wahrheit. Die für diese Veranstaltung im Haushalt eingestellten Gelder müssen ja noch dazu gerechnet werden. Ich habe zwei der Konzerte zwar genossen, aber da war alles so unprofessionell organisiert, dass ich mir den dritten Termin gespart habe. Ich bin selbst Messeveranstalter.

  7. Interessante Meldung, die aber sehr gut ins Bild der Stadt Bruchsal passt: unreflektierter Größenwahn auf dem Rücken der Bürger.

    Das „Barockschloss“ ist letztendlich ein badisches Pseudo-Disneyland mit ungefähr genauso echten Bauten. Gut dass da auch ähnliche Eintrittspreise für die Feste verlangt werden. Noch besser wäre es, wenn man damit Gewinne wie Disney machen würde. Die könnte man dann in die tolle, neue, immer weiter wachsende Innenstadt stecken, welche mittlerweile aussieht und auch den Charme von Ludwigshafen versprüht.

    Als nächstes wird wohl in Bruchsal eine Universität eröffnet ! wieder…

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