Die verlorene Stadt

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Vor fünfzig Jahren verlor Gochsheim sein uraltes Stadtrecht

Die Gochsheimer sind ein eigensinniger Haufen, stolz und ein wenig eigenbrödlerisch. Auch 50 Jahre später gibt es noch Stimmen, die die Eingemeindung in die 1971 neu gegründete Stadt Kraichtal kritisch bewerten. Ansagen aus der neuen “Hauptstadt” Münzesheim werden seither traditionell mit etwas Argwohn betrachtet, hin und wieder entzündet sich auch die Volksseele daran. Bestes Beispiel war die hitzige Debatte um die Erhärtung des heimischen Trinkwassers um wenige Grade, bei einer Bürgerdiskussion flogen damals regelrecht die Fetzen.

Die Gochsheimer deshalb als das abzutun, was die Bayern “Grantler” nennen, wird Ihnen aber nicht gerecht. Keine andere Gemeinde hatte bei der Reform und Zusammenlegung 1971 eine derart hohe Fallhöhe zu verkraften, wie dereinst Gochsheim. Anders als die meisten Nachbargemeinden war Gochsheim nämlich nicht irgendein Dörfchen, sondern eine waschechte Stadt, mit Stadtrechten die Ihnen vor über 800 Jahren von niemand geringerem als Kaiser Friedrich dem Zweiten verliehen wurden. Die damit einhergehenden Privilegien, wie zum Beispiel das Recht Märkte abzuhalten, Zölle und Steuern einzutreiben, eine Stadtmauer zu errichten, oder Bier zu brauen, ließen Gochsheim im Mittelalter zu einem wichtigen Dreh- und Angelpunkt der ganzen Region aufsteigen

Im 16. Jahrhundert, zu etwa der Zeit als das noch heute im Herzen der Stadt aufragende Graf-Eberstein-Schloss neu errichtet wurde, avancierte Gochsheim sogar zum Brennpunkt deutscher Geschichte. Von hier aus erhob sich der Kraichgauer Bauernhaufen rund um Anton Eisenhut im deutschen Bauernkrieg um gegen die verhassten Lehnsherren zu Felde zu ziehen.

Eine ihrer dunkelsten Phasen ihrer über tausendjährigen Geschichte, erlebte die Stadt Gochsheim während des Dreißigjährigen Krieges zwischen 1618 und 1648. Zwar suchten viele Menschen aus dem Umland Schutz hinter den dicken Gochsheimer Mauern, doch überwanden schließlich Krankheiten und Seuchen das stattliche Bollwerk. Große Teile der Bevölkerung Gochsheim fanden damals den Tod, so das Ende des 17. Jahrhunderts nur etwas mehr als 100 Bürgerinnen und Bürger übrig blieben. 1689 brannten schließlich französische Truppen Gochsheim nieder. Auch das 18. Jahrhundert begann für die Stadt tragisch. 1739 brannten erneut große Teile Gochsheims bis auf die Grundmauern nieder.

1806 fiel Gochsheim vom Herzogtum Württemberg an das Großherzogtum Baden, wurde ein Jahr später gar Amtssitz des großherzoglichen Oberamtes. Doch die kurze Phase des Aufschwungs endete bereits sechs Jahre später, als das Oberamt aufgelöst und Gochsheim dem Bezirksamt Bretten unterstellt wurde. Dieser Prestige-Verlust setzte der Stadt schwer zu, die Einnahmen brachen dramatisch ein und Gochsheim versank in Schulden und zunehmend auch in Bedeutungslosigkeit.

Morgenluft atmete die Stadt dann erst wieder zum folgenden Jahrhundertwechsel. 1896 wurde Gochsheim an das Schienennetz angeschlossen, ein neues Schulhaus wurde errichtet und das Schloss in der heute bekannten Form neu aufgebaut. 1935 entzog das NS-Regime Gochsheim den Stadtstatus – erstmals seit über 700 Jahren. Erst 21 Jahre später, sollte diese Entscheidung schließlich unter der Regierung Adenauers zurückgenommen werden.

Dieser Status Quo hielt jedoch nur anderthalb Jahrzehnte an. Als durch die Gemeindegebietsreform in Baden-Württemberg Gochsheim der neu gegründeten Stadt Kraichtal beitrat, wurde die Bezeichnung “Stadt” quasi an dieses neue Konstrukt übertragen. Neben Gochsheim verfügte übrigens auch Unteröwisheim bis zu diesem Zeitpunkt über eigenständige Stadtrechte – wenngleich auch erst seit Ende des 18. Jahrhunderts.

Ohne die Stadtrechte Gochsheims und Unteröwisheims wäre Kraichtal also nur eine Gemeinde und keine Stadt geworden. Das sollte man also im Hinterkopf behalten, wenn man das nächste Mal über den liebenswerten Gochsheimer Stolz witzelt. Kein anderer Stadtteil in Kraichtal pflegt seine Traditionen und seine Geschichte derart beflissen wie die Menschen hier. Beim Altstadtfest wird regelmäßig die bewegte Historie der Altenstadt inszeniert und zum Leben erweckt.

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1 Gedanke zu „Die verlorene Stadt“

  1. Mit dieser Kunststadt aus 9 Gemeinden stehe ich bis zum heutigen Tag noch auf Kriegsfuß und deshalb ist es gut, dass ich ich jetzt ein Städtle weiter wohne, in der freien Reichsstadt Heidolfsheym. Andere Varianten hätte es sehr wohl gegeben. So sind die Einwohner von Flehingen nicht gerade glücklich mit ihrer Zwangsheirat ins schwäbische Oberderdingen. Aber vor 50 jahren hatte die damalige „Staatspartei“ mit dem C im Namen schon immer Recht und daran hat sich nicht viel geändert – außer den Prozentzahlen.

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