Die Tante Emma Heuchelei

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Am Ausbluten unserer Dörfer sind nur wir selbst schuld

Eine Meinung von Stephan Gilliar

Ach wie schön könnte das Dorfleben doch sein. Mit dem Einkaufskorb am Morgen seine kleine Runde durch die Gassen unternehmen, beim Metzger und beim Bäcker ein Schwätzchen halten, ein paar Lebensmittel im Gemischtwarenladen erstehen und ein paar Überweisungen in der Bank erledigen. Anschließend auf einen Latte und ein Stück Kuchen im pittoresken Café am Dorfplatz einkehren und am Abend schließlich die Qual der Wahl, welche Kneipe es denn heute sein darf. Ja, früher gab es das vielleicht alles einmal. Da gab es auch noch einen Fernsehtechniker, einen Schneider, einen Schuster und eine Reinigung im Dorf… den weißbekittelten Verkäufer an der Kasse im Spar-Märktle und natürlich den Postler in Staatsanstellung.

Wer heute durch ein Dorf im Kraichgau flaniert, findet vielleicht in manchen Fällen noch die Filiale eines Bäckers oder eine Metzgerei – wenn überhaupt… die Tante Emma Läden aber wurden längst verrammelt, Bankfilialen haben geschlossen und von einstmals neun Wirtschaften ist mit etwas Glück noch eine übrig. Glücklich ist über diese Umstände niemand, allerorten wird darüber gemeckert, geschimpft und gebruddelt. Jeder wünscht sich diese heile Welt, dieses intakte Stück Kindheit zurück und jeder ist schnell mit einem Urteil zur Stelle, wenn es darum geht die Schuldigen für diesen Schwund ausfindig zu machen. Es sind die untätige Stadtverwaltung, der unmotivierte Bürgermeister oder der gierige Konzern, die das Ausbluten unsere Dörfer zu verantworten haben. Und weil wir ja alle Altruisten sind, führen wir als Killerargument noch die armen Alten an, die dieser Kahlschlag existenziell bis ins Mark trifft.

Doch wenn wir uns ganz nackig, ganz ehrlich machen, wissen wir ganz genau, wer für die Tristesse in Hintertupfingen und Kleindörflingen verantwortlich ist: Wir selbst und sonst niemand. Wo waren wir denn, als die vielen Tante Emmas ums Überleben kämpften, als in den Geschäften die Kunden und der Umsatz wegbrachen? Wir saßen zu Hause, kauften unsere Produkte billigst möglich im Internet, erledigten unsere Bankgeschäfte online oder erledigten den Großeinkauf am Wochenende im riesigen Discounter am Stadtrand.

Im Grunde wünschen wir uns doch dieses romantische Dorfbild nur als Kulisse einer Welt, für deren Tod wir selbst Verantwortung tragen. Statt Selbsterkenntnis flüchten wir uns aber oftmals nur in wackelige Hasstiraden. Die böse Bank, die die Filiale geschlossen hat, hat kein Herz für Oma und Opa. Der Bauer, der im Ort einen Verkaufsautomaten aufstellt, sollte lieber einen Laden eröffnen, in dem die Menschen sich austauschen können… Das ist einfach armselig und mit einfachster Logik zu widerlegen: Würden sich genug Kunden finden, die regelmäßig in einem Dorfladen einkaufen oder ihre Geschäfte in einer Bankfiliale erledigen, würden diese Instanzen in den Dörfern auch boomen…. Follow the money, was sich rentiert, wird gemacht – vermutlich die älteste Prämisse der Wirtschaft.

Der Zustand der Welt um uns herum ist die direkte Konsequenz aus der Summe unseres kollektiven Handelns. Würde jeder Amazon und Co links liegen lassen und stattdessen das Geld in den Geschäften vor Ort ausgeben, wäre Jeff Bezos vermutlich heute nicht der reichste Mann auf dieser Erde. Wir wünschen uns lebendige Dörfer, vitale Innenstädte… verraten aber Tag für Tag all jene, die dafür einstehen könnten.

Wenn man dies alles bewusst macht, bewusst online einkauft und bewusst den Großeinkauf im XXL-Einkaufszentrum abwickelt, geht das auch in Ordnung. Man muss sich dann eben aber auch klar machen, dass man sich ganz bewusst gegen diese kleine, heile Dorf-Welt und für die Umgestaltung dieser Welt entscheidet… eine Umgestaltung die nicht nur voran geschritten, sondern im Grunde fast abgeschlossen ist.

Wer allerdings die Errungenschaften dieser neuen Welt für sich in Anspruch nimmt, gleichzeitig aber auf den Abgesang der alten Welt schimpft, tut im Grunde nur eines: Sich selbst nach Strich und Faden belügen.

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3 Gedanken zu „Die Tante Emma Heuchelei“

  1. Der Bericht Tante Emma Laden ganz toll geschrieben. Wir sind alle selbst schuld. Da wurde im Aldi der Große Einkauf gemacht. Daheim festgestellt, hab die Hefe vergessen. Schnell zum Tante Emma Laden und ein Würfel Hefe gekauft. Das wars, also braucht man sich nicht wundern. Das reichte nicht zum Überleben.

  2. So viel Wahrheit…und wenn der Bäcker nicht schließt wegen wenig Kundschaft, dann schließt er mittags wegen Personalmangel.
    So geschehen jetzt in Menzingen.
    Vor Jahren noch einen sehr sehr guten Metzger am Bahnhof gehabt ,leider,auch nix mehr.
    Das ist der Preis den die Menschen bezahlen. Den selbstproduzierten wahn immer billig.

  3. Deshalb habe ich auch heute meinen Läppi hier am Ort gekauft und NICHT beim Media Markt, wo er naturlich billiger gewesen wäre. Aber ich möchte auch mal das Fing in Falle eines Falles repariert haben und der gute Mann kann das. Nicht wegwerfen. Ich hätte auch einen gebrauchten Läppi genommen.Mit einem 1 Jahr Gewährleistung. Aber leider hatte er mein Wunschmodell schon verkauft. Jeder möchte nur billig bilig billg und wenn es geht am besten geschenkt.

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