Die Kraichgauer Fleischwolf-Straße – Irgendwann holt sie auch dich

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Nahtoderfahrungen auf der L618 zwischen Gochsheim und Heidelsheim

Eine Kolumne von Thomas Gerstner

Die Landesstraße 618 – Klingt recht langweilig und unbedeutend, oder? Ich habe dem schrumpeligen, hubbeligen, zerfurchten, engen und gewundenen Asphaltband, allerdings längst einen etwas griffigeren Namen verpasst: Highway to hell oder auch die Fleischwolf- Straße. Wer auf die L618 einfährt, sollte sicher sein dass er sein Testament gemacht, seine Angelegenheiten geregelt und eine gültige Patientenverfügung aufgesetzt hat. Stecken Sie sich Ihren Organspendeausweis am besten oben in die Brusttasche, dann haben die Rettungskräfte 10 Minuten später nicht so viel Arbeit vor Ort. Wenn all diese Kleinigkeiten erledigt sind, kann der Spaß auch schon losgehen. Ich empfehle als Startpunkt für das „Abenteuer Landesstraße 618“ das malerische Gochsheim. Verlassen Sie die Hauptstraße und beschleunigen Sie auf die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 Stundenkilometern. Schon nach kurzer Zeit werden Sie erstaunt auf ihren Tacho starren und sich fragen warum sich die 70 anfühlen, als ob sie gerade mit 190 kmh über den Nürburgring brettern. Diese Straße ist derart eng geschnitten und verfügt über solch scharfe Kurven, dass ein Mensch dessen Selbsterhaltungstrieb noch leidlich funktioniert, deutlich langsamer als empfohlen unterwegs ist.

Der „Fleischwolf“ bei Oberacker

Wenn Sie diese serpentinenartigen Kurven entlang des Waldrandes hinter sich gebracht haben, wartet kurz vor dem Kreisverkehr bei Oberacker schon das erste Highlight der Strecke. Die Einfahrt von Gochsheim kommend in den Kreisverkehr, habe ich “den Fleischwolf” getauft, denn hier verengt sich das kleine Sträßchen auf gefühlte 25 Zentimeter Breite. Sobald Sie diese Passage erreicht haben und Ihnen hier vom Kreisverkehr aus einer der zahlreichen LKW entgegenkommt, beginnen sie unwillkürlich damit ihr bisheriges Leben vor ihren Augen Revue passieren zu lassen. Zwei breitere Fahrzeuge passen an dieser Stelle unmöglich aneinander vorbei, ausweichen oder kneifen gilt aber nicht – das lässt die steile Böschung an beiden Seiten nicht zu. Ein Bonus-Feature dieser Stelle ist auch, dass sie für den nachfolgenden Verkehr überhaupt nicht einsehbar ist. Klemmt es hier besteht auch eine gute Chance dass die Nachzügler ungebremst in das Heck der eingekesselten Fleischwolf-Absolventen rasen.

Wenn Sie diese Stelle überlebt haben sollten, passieren sie den Kreisverkehr und haben auf dem weiteren Verlauf der L618 kurz die Möglichkeit ihren Puls von 230 auf 80 Schläge in der Minute zu normalisieren. Ihre Finger werden vermutlich mehrere Zentimeter tiefe Löcher in Ihr Lenkrad gebohrt haben – lassen Sie sie dort, den Grip werden sie in jedem Fall noch brauchen, denn jetzt beginnt jener Abschnitt der Strecke, den ich die Achterbahn nenne. Vor ihnen liegen jetzt mehrere herrliche Kilometer bis Heidelsheim, auf denen jegliche Mittelstreifen-Markierung fehlt, es keine Möglichkeit zum Ausweichen auf einen nicht vorhandenen Randstreifen gibt und die Abschüssigkeit der Strecke viele Fahrer zu raserischen Höchstleistungen animiert. Als ich das erste Mal hier entlang gefahren bin, habe ich die ganze Strecke über wie am Spieß geschrien, das Lenkrad umklammert und nach der Ankunft in Heidelsheim sofort in den Straßengraben gereihert.

Besonderes Highlight sind hier die absolut uneinsehbarem Kuppen, über die Autos manchmal mit so hoher Geschwindigkeit schanzen, dass sie tatsächlich kurzzeitig abheben. Wer mit dem Auto vom Parkplatz des Heidelsheimer Waldspielplatzes aus in die Landesstraße einscheren möchte, der hat meiner Meinung nach eine 50 prozentige Überlebenschance.

Sollten Sie diese Horror Strecke überlebt haben, keine Sorge es gibt spätestens in Heidelsheim eine 15-minütige slow down Phase wenn sie am immer geschlossenen Bahnübergang zum stehen kommen. Hier denken sie dann darüber nach was sie im Leben noch alles erledigen wollen und beschließen direkt nach der Ankunft zu Hause ihre Familie in den Arm zu nehmen und dem Herrn zu danken dass sie immer noch auf Gottes grüner Erde wandeln.

Ja, so ist sie unsere Landesstraße 618. Ein originales, unverfälschtes Stück Kraichgau jenseits aller neuzeitlichen Modernisierungs-Fantasien. Wer „L618“ und „Unfall“ bei Google eingibt, bekommt nicht weniger als über 6900 Suchergebnisse angezeigt und dazu Bilder und Videosequenzen der gängigen Blaulicht-Aasgeier in Hülle und Fülle. Wer diese Strecke auf seinem täglichen Arbeitsweg weiß, der kann sich bei einem schönen Sonntagsspaziergang schon mal die schönste Stelle für das kleine Holzkreuz mit seinem Namen darauf aussuchen. Im Grunde wissen wir doch alle, die wir die L618 bisher überlebt haben – Heute mag ich dich geschlagen haben altes Haus, doch schon morgen könntest du mich durch den Fleischwolf drehen und dann werde auch ich ihn entlang wandeln: Den Highway to hell – Die Höllenstraße zwischen Gochsheim und Heidelsheim.

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