Die Könige des Löwen

| ,

Ein Dorf rückt zusammen

Gemeinsam haben die Rheinsheimer im alten Löwen, einen Dorfladen, eine Gaststätte, Tagungsräume und ein kleines Hotel eingerichtet.

Den alten Löwen kennt in Rheinsheim jeder. Direkt gegenüber der Kirche St. Vitus, die die Rheinsheimer liebevoll als Ihren Dom bezeichnen, liegt das alte Gasthaus mitten im Herzen der 3000-Seelen-Gemeinde. Gebaut wurde das markante Gebäude, mit dem schmiedeeisernen Tor und seinen goldenen Löwenköpfen, bereits Ende des 19 Jahrhunderts. Nur der Keller und eben dieses Tor blieben bestehen, als der Gasthof in den 30er-Jahren bei einem verheerenden Feuer bis auf die Grundmauern niederbrannte. Doch der Löwe wurde wieder aufgebaut und öffnete erneut als Rheinsheimer Gastwirtschaft.

Früher hat sich bei Elfriede, der Löwen-Wirtin, Gott und die Welt getroffen. Die Großen am Abend auf ein Bier, die Kinder am Sonntagmorgen auf einen von Elfriedes legendären und selbstgemachten Eisbechern. Jahrzehntelang war der Löwe ein lebendiges Stück Rheinsheim, bis er Ende der 80er-Jahre durch den Ruhestand der Wirtin allmählich in einen tiefen Schlaf glitt. Danach wurde hier noch gelegentlich Musikunterricht erteilt, darüber hinaus wartete der alte Löwe auf einen neuen Morgen.

Dessen Dämmerung begann vor etwa fünf Jahren, als die Erbengemeinschaft nach dem Tod der Löwenwirtin Elfriede einen neuen Käufer für den Gasthof suchte. Um ihren alten Löwen zu bewahren, ließen sich die Rheinsheimer auf ein gewagtes Experiment ein, dessen Ausgang zu jenem Zeitpunkt niemand vorhersagen konnte. Eine Handvoll engagierter Bürger, darunter Ortsvorsteherin Jasmin Kirschner und Projektplaner Manfred Brecht, riefen eine Bürgergenossenschaft ins Leben, deren Ziel die Erhaltung, der Ausbau und der Betrieb des alten Löwen in völlig neuer Form war. Gemeinsam wollten sie den Gasthof sanieren und hier nicht nur eine Wirtschaft, sondern auch einen Dorfladen, ein Tagungszentrum und ein Hotel ins Leben rufen. Dass sie sich anschickten am Ende ein 1,2 Millionen Euro – Projekt zu stemmen, ahnte die junge Bürgergenossenschaft bei ihrer Gründung anno 2017 noch nicht. Zuerst galt es die Finanzierung für den Kauf des Löwen zu sichern und die Rheinsheimer davon zu überzeugen, ihr Geld in diese Visionen zu investieren. Elfriedes Erben waren von der Idee angetan und boten der Genossenschaft das Gebäude für einen äußerst fairen Kaufpreis an.

Zwar waren nicht alle Rheinsheimer vom Erfolg des Vorhabens überzeugt, unterstützten die Genossenschaft aber dennoch. “I glaub zwar net das es gelingt, will aber trotzdem dabei sein”, diesen Satz habe sie oft gehört, lacht Jasmin Kirschner, die in den letzten fünf Jahren mindestens genauso viel Zeit im Löwen wie zu Hause verbracht hat. Zwischenzeitlich hat die Genossenschaft fast 450 Mitglieder, die jeweils zwischen 250 und 10.000 Euro in das Projekt investiert haben. Bei diesen Geldern handelt es sich nicht um Spenden, sondern um Einlagen. Das Dorf ist quasi an seinem Gasthaus beteiligt, eventuelle Gewinne werden unter allen Genossenschaftsmitgliedern fair aufgeteilt. Dass es solche Gewinne geben wird, davon ist Jasmin Kirschner überzeugt.

Wer den neuen, alten Löwen aus der Nähe sieht, wird ihr hierbei auch nicht widersprechen können. Was die Mitglieder des Bürgervereins Bürgerhaus Löwen hier gemeinsam auf die Beine gestellt haben, ist einfach nur beeindruckend. In Eigenregie und mit einem Grad an Professionalität, der seinesgleichen sucht, wurde der Löwe in jeglicher Hinsicht neugeboren. Es gibt 14 herrlich, gemütliche Hotelzimmer, ein Trauzimmer für außergewöhnliche Hochzeiten mit Blick auf den Dom, modern ausgestattete Tagungsräume, eine professionelle Gastroküche, einen lichtdurchfluteten Gastraum mit moderner Theke, sowie selbstredend den nagelneuen Rheinsheimer Dorfladen. Bei dessen Eröffnung am Freitag, standen trotz Dauerregen, die Menschen bereits Schlange vor der Ladentür. Im Minutentakt klingelte die historische Türglocke und immer mehr Kunden strömten nach und nach in den einzigen Laden, der in Rheinsheim derzeit Dinge des täglichen Bedarfs feilbietet. Frisches Gemüse, Obst, vakuumierte Fleisch und Wurstwaren, Milchprodukte, Tees und vieles, vieles mehr. Nur Backwaren sucht man vergeblich, dafür gibt es schließlich die direkt nebenan gelegene Bäckerei Pagel- auch ein Stück Rheinsheimer Fairness.

Noch laufen im Löwen die letzten Bauarbeiten, doch spätestens im Februar wird – nach über 10.000 ehrenamtlich investierten Arbeitsstunden – das Projekt Bürgerhaus Löwen fertig gestellt sein. Gar nicht erwarten können die Rheinsheimer das Ende von Lockdown und Kontaktbeschränkungen, um dann auch endlich den Löwen als Gastwirtschaft einzuweihen und wiederzubeleben. Dann können Sie endlich wieder zusammenkommen, gemeinsam feiern und miteinander anstoßen. Das haben sie sich auch redlich verdient, denn mit der Wiederbelebung des alten Löwen ist ihnen nicht weniger als eine ehrfurchtgebietende Meisterleistung geglückt. Gemeinsam haben sie angepackt und gezeigt, dass auch in Zeiten des allmächtigen “Ich”, nichts, aber auch gar nichts, über ein echtes und starkes “Wir” geht.

Vorheriger Beitrag

Wenn das Kinderzimmer zum Klassenzimmer wird

…dann muss de Fasching halt zu de Leit kumme

Nächster Beitrag