Die Gesegneten

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Während manche Dörfer im Kraichgau auf eine gute und breit aufgestellte Infrastruktur zurückgreifen können, sieht es in anderen dagegen eher Mau aus.

von Stephan Gilliar

Dass früher alles besser war, ist bekanntermaßen eine Binsenweisheit. Man muss die eigenen Brillengläser schon in einem sehr schrillen Rosa einfärben, um diese Prämisse auf alles und jeden anwenden zu können. Was die Aufstellung unserer Dörfer angeht, so fällt es aber wirklich schwer zu widersprechen, hier war früher tatsächlich vieles anders, oder gar besser – zumindest was die Infrastruktur angeht. Zehn Gaststätten in einem klitzekleinen Dorf? Völlig normal. Metzger, Bäcker, Krämerladen – alles gerne in Mehrfachausführung ebenso. Doch seit jeder Haushalt im Schnitt ein bis zwei Autos hat, seit der öffentliche Nahverkehr die große weite Welt plötzlich in Reichweite gerückt hat, ist vieles aus den Fugen geraten. Mit der Möglichkeit, den Samstagabend in der großen Stadt zu verbringen, brachen den Dorfgaststätten die Gäste weg, der Wochenend-Einkauf mit dem Familienvan im Discounter war der Todesstoß für den Tante-Emma-Laden. So gut ein Dorf auch aufgestellt war, mit dem Angebot der plötzlich erreichbaren Ballungsräume konnte es einfach nicht mithalten. So begann das große Ausbluten, das mitunter bis heute anhält. Die Verschiebung vom Dörflichen ins Städtische.

Doch längst nicht alle Kommunen im Hügelland sind davon gleichermaßen betroffen, manchen gelang in den vergangenen Jahrzehnten eine regelrechte Trendwende. Gondelsheim beispielsweise zählt etwas über 4000 Einwohner, ein rasanter Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren – 2008 lebten hier noch 800 Menschen weniger. Im Wesentlichen sind es junge Familien, die das Kraichgau-Dorf als neues Zuhause gewählt haben, mit ihnen kam die Nachfrage und mit dieser das Angebot. So findet man hier mittlerweile wieder acht Gaststätten, also nahezu den Stand der goldenen alten Zeiten. Dazu gibt es einen Supermarkt, einen Bäcker, einen Metzger, ein Café, zwei Allgemeinärzte, eine Apotheke und vieles mehr. Für die Gemeinde ist diese gut aufgestellte Infrastruktur natürlich ein Segen, doch gilt es immer am Ball zu bleiben, um weiterhin attraktiv aufgestellt zu sein. Obwohl Gondelsheim beispielsweise gleich mehrere gut aufgestellte Kindergärten und Kitas hat, überwiegt nach wie vor die Nachfrage dem Angebot. Händeringend ist man im Rathaus daher darum bemüht, die für junge Familien nicht nur wichtigen, sondern notwendigen Plätze in der Kinderbetreuung zu schaffen. Aber wie sagt man so schön im Kraichgau: Von nix kummt nix!

Gondelsheim

Das Gondelsheim zu den Gesegneten gehört, ist nicht nur ausschließlich dem guten Management geschuldet, sondern auch ein harter Standortfaktor – hier hat die Gemeinde schlicht und einfach Glück. Gelegen direkt zwischen den Mittelzentren Bruchsal und Bretten, gut angebunden an die B35 und die Bahn, bringt Gondelsheim alleine schon daher eine gewisse Attraktivität mit, auf die sich gut aufbauen lässt.

Nehmen wir als Vergleich beispielsweise Zaisenhausen. Das knapp 2000-Seelen starke Dorf bei Eppingen hat in den letzten Jahren in Sachen Infrastruktur leider reichlich Federn lassen müssen. Wer durch die Hauptstraße fährt, passiert eine leerstehende Bäckerei, schräg gegenüber eine verwaiste Metzgerei und was die Dorfgaststätten angeht, so sieht es in Zaisenhausen ebenfalls nicht gerade rosig aus. Nur einen einzigen Treffer spuckt die Google-Suche aus, ein griechisches Lokal am Ortsrand. Im Dorfkern gibt es nur noch eine Bäckerei, die ein paar Gemischtwaren ins Angebot aufgenommen hat, um zumindest den groben Bedarf abzudecken. Doch die Gemeinde steuert gegen die Unterversorgung, wo sie nur kann, teilweise auch mit kreativen Ideen. So gibt es an der zentralen Bushaltestelle direkt vor dem Rathaus eine Art Automatenmarkt, wo sich neben Wurst und Fleisch auch ein paar Produkte des täglichen Bedarfs rund um die Uhr ziehen lassen. Was die medizinische Versorgung angeht, so sind in Zaisenhausen in den letzten Wochen vermutlich einige Steine von so manchen Herzen gefallen, als sich für die Praxis von Jaroslav Urbanec eine Nachfolgerin vorstellte – mit Michaela Metz ist damit weiterhin ein Hausärztin direkt im Dorf zu finden. “Es geht aber nur mit andauerndem Einsatz, man muss kämpfen” weiß Bürgermeisterin Cathrin Wörle, und auch “man muss Neues ausprobieren, einfach mal etwas wagen”. Beides beherrscht das vor zehn Jahren ins Amt gewählte Gemeindeoberhaupt, kann auf beeindruckende Erfolge zurückblicken. Die Neugestaltung und Wiederbelebung der Ortsmitte beispielsweise, wo das fehlende gastronomische Angebot im Sommer an jedem Wochenende mit einem kleinen Aufgebot an Food Trucks und einer Art Freitagabend-Party aufgefangen wird. “Da steppt richtig der Bär so dass man sich die Frage stellen muss, wieso kein Gastronom dieses Potential mit einer festen Location für sich entdeckt?“ fragt sich Cathrin Wöhrle. Was die Nahversorgung angeht, gelang ihr aber nun ein echter Coup. In Kürze wird sich ein neuer Netto Markt im Gewerbegebiet ansiedeln. “Von alleine sind sie aber nicht auf uns zugekommen, ohne Überzeugungsarbeit wäre das nicht gegangen”. Genau so sieht das auch Gondelsheims Bürgermeister Markus Rupp. “Man muss immer am Ball bleiben, immer nachjustieren, von alleine passiert da überhaupt nichts”.

Automatisiert einkaufen in der Zaisenhausener Ortsmitte

Gondelsheim und Zaisenhausen sind dabei nur zwei mögliche Beispiele, doch große Unterschiede finden sich überall im Kraichgau. Nehmen Sie zum Beispiel die beiden Kraichtaler Stadtteile Münzesheim und Menzingen. Münzesheim hat etwa 2800 Einwohner, Menzingen immerhin etwa auch gut 2000, dennoch trennen die beiden Welten, wenn man sich die Infrastruktur anschaut. Während Münzesheim über mehrere große Supermärkte, Modemärkte, einen Drogeriemarkt und mehr verfügt, hat Menzingen vergleichsweise wenig Infrastruktur. Es gibt noch einen verbleibenden Bäcker, einen Metzger jedoch leider schon länger nicht mehr. Dennoch ist im Dorf eine erfreuliche Trendwende zu erkennen: Letztes Jahr öffnete in der leer stehenden Filiale der einzigen Sparkasse ein automatisierter, kleiner Lebensmittelladen, doch nach mehreren Fällen von Vandalismus und Diebstahl zittert man im Dorf, wie lange sich der Betreiber das noch anschauen wird. Dazu hat Menzingen eine Apotheke, zwei gut gehende Restaurants und eine Kneipe. Hinzukommt je nach Jahreszeit der Biergarten auf dem Metterlinghof, zudem schlägt einmal in der Woche ein kleiner Markt seine Zelte in der Ortsmitte auf. Die Konzentration der Kraichtaler Infrastruktur auf Münzesheim ist kein neues Phänomen, schon vor Jahren haben wir dazu die Stadtverwaltung noch unter Bürgermeister Ulrich Hintermayer befragt. So sei es trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen Handelsketten für die kleineren Ortsteile zu begeistern, da hier schlicht keine ausreichende Frequenz zu erwarten gewesen wäre, so der Tenor damals. Doch auch wenn natürlich immer die Nachfrage das Angebot regelt, bemüht sich die Stadt in der Fläche kleine und große Impulse zu setzen. Dazu gehören die Aufstellung von Bücherschränken, ein rollender Supermarkt und große Lichtblicke wie beispielsweise die Ansiedlung einer neuen Schule im Ortsteil Landshausen.

Der vollautomatisierte Laden der Kette Tante M in Menzingen

All diese Betrachtungen sind nur Momentaufnahmen. Attraktivität und Popularität einer Gemeinde sind flüchtig, insbesondere dann, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Ziehen zu viele Menschen in ein Dorf, staut sich der Verkehr dort jeden Tag, gibt es nicht genügend Kita-Plätze oder nimmt der örtliche Mediziner keine neuen Patienten mehr an, kann das Pendel auch leicht wieder in die andere Richtung ausschlagen. Insgesamt lässt sich jedoch feststellen, dass das Ländliche eher in einer Aufwärtsbewegung als in einer Abwärtsbewegung verhaftet ist. Deutsche Großstädte haben zuletzt reichlich Federn lassen müssen, 2021 sogar den stärksten Bevölkerungsverlust seit fast 30 Jahren erlebt. Viele Menschen treibt es wieder aufs Land, für den Kraichgau kann das eine Chance, aber auch eine Herausforderung sein. Doch auch hier ist es, wie überall sonst im Leben – die Dosis macht das Gift. Das Gemächliche, das Gemütliche, der Wesenskern unseres Hügellandes ist eben auch durch seine Überschaubarkeit geprägt.

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7 Gedanken zu „Die Gesegneten“

  1. Wer neben so einem Automaten wohnt, darf sich dann Sonntagnachts über die Rummsbumms-Autos freuen, die mit laufendem Motor und entsprechender Musikanlage noch ein paar Redbull abziehen. Und die Muttis halten auf dem Weg zum Kiga um für die Sprösslinge das Frühstück mit Fastfood aufzupeppen. Lecker auf’s Land !
    Alles hat zwei Seiten…Esskultur stell ich mir so nicht vor. Mahlzeit !

    • Das ist auch der Hammer!
      Ich bin es auch leid, dass mir jene, die ihr Leben nicht auf die Reihe kriegen und ihr Seelenheil in den Rummsbummsautos sehen, den letzten Nerv töten!
      Und niemand macht was dagegen!

  2. Zeutern, über 3000 Einwohner. Wenn man da in die Ortsteile außenrum schaut fühlt man sich auch nicht gerade gesegnet…Hoffen wir auf baldige Verbesserungen.

  3. Wie sagte die Zaisenhausener Bürgermeisterin: „Von alleine kommt nichts – dranbleiben ist wichtig“ – Für Menzingen hat sich noch kein Bürgermeister interessiert – da ist niemand dran geblieben – Landshausen und Bahnbrücken wären sicherlich mitgezogen – damit es etwas zum Einkaufen gibt …. es ist mehr als traurig, wie man auf das Abstellgleis gestellt wird – aber ja, dafür gibt es ja dann ein Alters- und Pflegeheim – direkt am Friedhof – nett….Sorry für den Sarkasmus – aber anders kann man in Menzingen nicht wohnen

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