Die Bahn kommt… so oder so

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Je deutlicher sich der finale Streckenverlauf der geplanten Güterverkehrstrasse durch die Region herauskristallisiert, desto mehr Widerstand regt sich in manchen Rathäusern dagegen.

Fangen wir einfach und plakativ an. Um die Verkehrswende zu schaffen, muss man den Verkehr – nun ja – wenden oder sagen wir besser wandeln, das klingt etwas runder. Um den Kollaps in unseren Innenstädten und auf unseren Straßen zu vermeiden, gilt es alternative Strategien zu entwickeln, z.B. den ÖPNV zu modernisieren und auszubauen sowie die Güterlogistik neu aufzustellen. Einig sind sich die meisten Experten darin, den Verkehr auf der Straße zu reduzieren und teilweise auf Alternativen, wie eben die gute alte Schiene zu bringen.

Um das zu schaffen, braucht es einen Ausbau des Schienennetzes. Neue, bessere und effizientere Gütertrassen sind das Gebot der Stunde um in Sachen Logistik eine echte Alternative zum LKW-Verkehr zu schaffen. Solche Anstrengungen und Projekte laufen längst, eines davon tangiert uns in Nordbaden aktuell ganz besonders. Das Bahnprojekt Karlsruhe-Mannheim als Teil der europäischen Verkehrsachse Rotterdam – Genua, sieht den Bau einer Gütertrasse zwischen diesen beiden Städten vor, die im Badnerlied jeweils eine Strophe für sich beanspruchen.

An dieser Stelle würde es sich nun empfehlen eine Online-Karte zu öffnen oder die gute alte Straßenkarte hervorzuholen- schauen wir uns das ganze gemeinsam an. 60 bis 70 Kilometer liegen zwischen Karlsruhe und Mannheim und egal wo man innerhalb dieses Korridors auch hinsieht, überall finden sich menschliche Ansiedlungen. Die Region ist sehr dicht bebaut, viele der Kommunen sind in den vergangenen Jahren derart gewachsen, dass ihre jeweiligen Ausläufer sich hier und da schon berühren. Die Bahn hat derzeit also die durch und durch unangenehme Aufgabe, durch diesen sämigen Quark eine Linie zu ziehen, auf der künftig die Güterzüge in beide Richtungen rollen sollen. Nicht nur gelegentlich, sondern in dichtem Takt, schließlich gilt es die neue Trasse gut auszulasten.

Sie können sich ferner sicher leicht vorstellen, dass überall wo ein möglicher Trassenverlauf skizziert wird, die Rückmeldungen aus der betroffenen Region nicht zwangsläufig immer nur frenetisches Jubeln sind. Zwar haben die Deutschen in den vergangenen Jahren in mehreren Umfragen immer wieder klargestellt, dass sie grundsätzlich für eine Verkehrswende sind, wenn diese dann aber bildlich gesprochen durch den eigenen Vorgarten führt, trübt sich die Euphorie hier und da doch deutlich ein. Ganz nach dem Motto “Wasch mich, aber mach mich nicht nass”, wächst in manchen betroffenen Kommunen der Widerstand gegen die vorgestellten Optionen der Bahn.

Das ist auch ein Stück weit nur zu verständlich, schließlich haben die Rheintal-Bewohner bereits in den letzten Jahrzehnten jede Menge Land verloren. Durch die räumliche Nähe zu Karlsruhe oder auch zu Heidelberg haben sich selbst kleinste Dörfer zu großen Trabantensiedlungen der Städte aufgebläht, die Grundstückspreise explodierten, der Verkehr wuchs immer weiter an, Industrie und Gewerbe siedelten durch die günstige Nähe zur Autobahn direkt neben Wohngebieten, aus Grün wurde viel zu oft Grau. Kein Wunder also dass viele Menschen in diesem Dickicht aus Stromtrassen, Schienen und Schnellstraßen nicht auch noch eine zusätzliche Güterbahntrasse wollen.

Kurzum: Die Kommunen haben derzeit einen schweren Stand. Die Rathauschefs müssen einen Spagat zwischen dem eigenen Bekenntnis zur Verkehrswende und der Verantwortung für die eigenen Bürgerinnen und Bürger aufs Parkett legen… wenn da mal nicht die eine oder andere Hüfte kracht.

Wichtig ist dabei aber die Habenseite nicht aus dem Blick zu verlieren, das Projekt selbst erhält nämlich durchaus Rückendeckung aus den Kommunen. Einig ist man sich durchaus bei der Notwendigkeit dieses Projektes und auch was dessen Realisierung angeht. Ebenso verständlich ist auch der Wunsch aus den Rathäusern, die finale Trasse unter möglichst minimaler Belastung der Menschen und auch der Natur zu planen und umzusetzen.

Verständlich ist der Wunsch aus Forst, nicht durch Bundesstraße, Autobahn und Schienen in die Zange genommen zu werden, verständlich ist der Wunsch aus Karlsdorf-Neuthard dass eine Gütertrasse nicht nach jahrelangem, mühevollem Zusammenwachsen die beiden Ortsteile einfach zerschneiden kann und verständlich ist auch der Wunsch aus Hambrücken, nicht hektarweise Waldbestände für die Bahn opfern zu müssen.

Die Herangehensweise der einzelnen Städte und Gemeinden ist – trotz des gemeinsamen, übergeordneten Zieles – nicht immer gleich. Halbwegs einig ist man sich aber in der Ansicht, dass der Kommunikationsprozess der Deutschen Bahn hier und da noch Verbesserungspotenzial enthält. Immer wieder kommen neue bevorzugte Trassenvarianten ins Gespräch, die selbstredend bei Bekanntwerden zu Irritationen und auch Ängsten in der Bevölkerung führen, in den Rathäusern zu nervöser Habachtstellung. Dabei ist die finale Streckenführung noch nicht einmal Tango, diese soll voraussichtlich erst im Sommer bekannt gegeben werden. Wie viel Einfluss die Rathäuser darauf überhaupt haben, darüber gehen die Meinungen auseinander, doch davon später mehr.

Schauen wir uns ein paar der Befindlichkeiten genauer an. Alle Alarmglocken schellen beispielsweise derzeit in Graben-Neudorf. Wie Bürgermeister Christian Eheim mitteilt, hält er nach den jüngsten Gesprächen mit der Bahn eine komplette Zerschneidung des Wohnraums in Graben-Neudorf für eine realistische Option und befürchtet: „Dies hätte umfassende Auswirkungen auf unsere Gemeinde. Neben der Enteignung von privatem und öffentlichem Eigentum ist von meterhohen Bauwerken in direkter Nachbarschaft zur bestehenden Wohnbebauung auszugehen“. Sollte sich dieser Trassenverlauf als finaler Kandidat herauskristallisieren, erwägt die Gemeinde auch einen Rechtsstreit, so Christian Eheim in den BNN.

Nicht minder angespannt ist die Stimmung derzeit im Rathaus Karlsdorf-Neuthard. Bereits im Oktober tauchte erstmals das Schreckgespenst einer ortsdurchschneidenden Trasse zwischen den beiden Ortsteilen Karlsdorf und Neuthard auf. Die Gemeinde forderte bereits im Herbst vergangenen Jahres die Aussortierung dieser Option, hätte sie doch äußerst ungünstige Auswirkungen auf die Gesamtgemeinde und den Naturraum zwischen den beiden Ortsteilen. Das sich besagte Variante Monate später immer noch im Rennen befindet, ist für Bürgermeister Sven Weigt, dessen aktuelle Amtszeit nächstes Jahr ausläuft, nicht akzeptabel. Er habe auf ein sachliches und nachvollziehbares Auswahlverfahren gesetzt. “…Sollte sich nun aber herausstellen, dass diese vereinbarte Vorgehensweise von der Bahn selbst nicht eingehalten wird, dann steht das gesamte bisherige Procedere, einschließlich der vorgestellten Grobkorridore, in Frage“, so Sven Weigt in einer Stellungnahme noch Mitte Oktober. Rund läuft es für den Bürgermeister auch fünf Monate später noch nicht wirklich. Im Nachgang einer seiner Meinung nach zu kurz geratenen Online-Konferenz mit der Bahn gibt Sven Weigt bekannt: „Es gibt im aktuellen Projektstadium mit den derzeit diskutierten Linienvarianten und der Segmentvergleiche viele davon betroffene, hohe kommunale Interessen. Deshalb haben sich die Gemeindevertreter entsprechend viel Zeit dafür freigehalten. Zu erleben, dass einmal mehr nicht genügend Zeit für den Dialog bleibt, zeugt nicht gerade von professioneller Vorbereitung und ist keine zielführende Art für eine offene, vertrauensvolle und von gegenseitiger Wertschätzung getragene Konfliktlösung“. Die Bahn hatte übrigens zwischenzeitlich einen entsprechenden Ersatztermin organisiert.

Enttäuscht vom Dialogprozess mit der Bahn zeigt man sich auch im Rathaus Hambrücken. Die sich nun schneller als gedacht als heiße Favoriten herausgestellten Trassenvarianten, sehen mitunter die Durchschneidung des Waldgebietes rund um Hambrücken vor. Für Bürgermeister Dr. Marc Wagner eine rote Linie. Nur Nachteile und keinerlei Vorteile durch ein solches Projekt hinnehmen zu müssen, kommt für ihn nicht infrage. Er verweist dabei auf den Bau der Schnellbahnstrecke Mannheim-Stuttgart in den 80er und 90er Jahren, die für die Waldgemeinde nur eine jahrelange Dauerbaustelle mit sich brachte und dabei keinerlei Vorteile. Bis heute ist Hambrücken nicht an das Schienennetz angebunden, anders als viele Nachbargemeinden. Eine Schneise durch das Waldgebiet ohne jedweden Nutzen seiner Bürgerinnen und Bürger, will der Bürgermeister keinesfalls hinnehmen und sagt im Redaktionsgespräch unmissverständlich: Hambrücken inmitten herrlicher Wälder darf nicht zu einem Ort inmitten von Schienen werden. Im Falle eines Falles wird er auch den Rechtsweg in dieser Sache beschreiten, eine Ankündigung die eingedenk seiner Eigenschaft als ehemaliger Richter und promovierter Jurist auch die Bahn nicht kalt lassen dürfte.

Weitaus moderatere Töne kommen aus dem benachbarten Forst. Für Bürgermeister Bernd Killinger ist der Rechtsweg derzeit keine unmittelbare Option, er setzt in der aktuellen Diskussion weiter auf die Eckpfeiler Besonnenheit und bilateralen Austausch – Seite an Seite mit dem Regionalverband und im Sinne der Karlsruher Erklärung, wonach bei der Entwicklung einer Vorzugstrasse in dicht bevölkertem Raum Eingriffe in den Siedlungsbestand und die gewachsenen Ortsstrukturen soweit wie möglich vermieden werden müssen. Auch wenn er mit einigen der favorisierten Trassenverläufe nicht einverstanden ist, will er die Bahn nicht pauschal für deren Kommunikation und Herangehensweise kritisieren. “Ich bin mit manchem inhaltlich nicht glücklich, formell kann ich da nichts kritisieren” so Bernd Killinger im Redaktionsgespräch. Dass die potentiell betroffenen Kommunen in dieser Sache nicht Seite an Seite an einem Strang ziehen, findet der Forster Bürgermeister unglücklich, ein solches gemeinsames Agieren hätte er sich gewünscht. “Wir haben uns als Region verpflichtet und erkennen an, dass es eine Gütertrasse geben muss” stellt Bernd Killinger die ursprünglich vereinbarte, gemeinsame Linie noch mal klar. “Wir brauchen am Ende Lösungen und Optionen, wie kann so etwas möglich werden”. Ein “Überall nur nicht hier” aus einzelnen Gemeinden darf es für Bernd Killinger dabei nicht geben. Eine Durchführung der Schienentrasse über die eigene Gemarkung sollte schon akzeptiert werden, wenngleich natürlich auch unter der Bedingung maximaler Verträglichkeit für die Menschen vor Ort. Dabei gilt es durchaus groß zu denken. Auch deutlich kostenintensive Tunnel-Lösungen dürften dabei keinerlei Tabu sein, andernorts sei dies schließlich auch möglich, führt der Rathauschef weiter aus.
“Ich bin sicher dass wir dadurch auch zu einer Gestaltung kommen würden, die viele für sich auch als verträglich betrachten würden” so Bernd Killinger zu einer möglichen durchgängigen Untertunnelung dicht besiedelter Gebiete.

Die Gemengelage bleibt also vorerst unübersichtlich. Säbelrasseln, Handreichungen, Forderungen, Kompromissbereitschaft und rote Linien prägen das Bild der derzeitigen Diskussion. Ein Zustand der an Intensität gewinnen dürfte, je mehr Varianten final aus dem Rennen fallen und je näher sich die finale Variante herauskristallisiert. Und dann stellt sich noch die eigentliche Gretchenfrage, inwieweit die Kommunen überhaupt auf den Gestaltungsprozess einwirken können, ob die die Diskussion möglicherweise unterm Strich nur einen Placebo-Effekt entfaltet. Eine nicht ganz unbegründete Annahme. “Das Ding heißt Dialogforum. Wenn man ehrlich ist, dann reden wir da, aber nicht in einer dialogischen Art und Weise, wo Argumente gemeinsam entwickelt werden….” beschreibt Bürgermeister Killinger die derzeitigen Gespräche. Das klingt bitter, ist in aller Konsequenz aber vermutlich alternativlos. Würde eine bedingungslose Abwägung der Interessen der vielen beteiligten Kommunen erfolgen, würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit besagte Gütertrasse niemals gebaut werden.

Ob also am Ende Widerstände aus den Rathäusern oder von diesen angestoßene Gerichtsprozesse etwas am Endergebnis zu ändern vermögen, kann derzeit nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Entwicklungen der finalen Trasse seitens der Bahn im Vorfeld mit allen übergeordneten Stellen abgeklärt und juristisch wasserdicht verpackt wird. Wie die Kräfteverhältnisse bei einem möglichen Tauziehen am Ende aussehen, lässt sich daher nur schwer skizzieren. Mit gewisser Wahrscheinlichkeit wird sich aber auch in diesem Fall der Slogan des rot-weißen Riesen bewahrheiten: Die Bahn kommt.

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