Der Tod des Wortes

|

Von 90 Jahren verbrannten die Nationalsozialisten unliebsame Literatur auf dem Scheiterhaufen. Ein Akt der Barbarei der nie vergessen werden darf

Am Abend des 10. Mai 1933 fanden sich zahlreiche Studenten, allesamt Mitglieder des nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes, auf dem Berliner Opernplatz ein um dort lautstark und unter Jubel unzählige Bücher dem Feuer zu übergeben, die nach ihrer Meinung dem “deutschen Geist” zuwider waren. Seite an Seite mit der NSDAP, der SA und der Hitlerjugend waren es nicht nur gesichtslose Handlanger, sondern Vertreter der Studentenschaft, des Lehrkörpers – darunter auch zahlreiche Professoren – die auf diese Art und Weise Geschichte, Kunst und Literatur nach ihrer Facon und unter Einsatz brachialer Mittel umzudeuten versuchten.

Erwin Grab

Unter den Autoren, die auf der Liste dieses zynischen “Feuerindex” standen, waren auch Größen wie Bertolt Brecht, Albert Einstein, Sigmund Freud, Heinrich Heine, Karl Liebknecht, Josef Roth, Nelly Sachs, Bertha von Suttner, Kurt Tucholsky, Joachim Ringelnatz oder auch Erich Kästner, der der Vernichtung seines literarischen Lebenswerkes an besagtem Abend des 10. Mai selbst aus der Menge heraus beiwohnen musste. Mit sich überschlagender Stimme sprach Reichspropagandaminister Joseph Goebbels im Flammenschein zu der erregten Menge drumherum: “….Das Alte liegt in den Flammen, das Neue wird aus der Flamme unseres eigenen Herzens wieder emporsteigen. Wo wir zusammenstehen, und wo wir zusammengehen, da wollen wir uns dem Reich und seiner Zukunft verpflichten. Wenn Ihr Studenten Euch das Recht nehmt, den geistigen Unflat in die Flammen hineinzuwerfen, dann müsst Ihr auch die Pflicht auf Euch nehmen, an die Stelle dieses Unrates einem wirklichen deutschen Geist die Gasse freizumachen.“

Nun, die Geschichte hat Gott sei Dank andere Wege eingeschlagen. Das NS-Regime scheiterte mit seinen Plänen, die verbrannten Werke sind heute wieder frei erhältlich, erfreuen sich auch nach all den Jahrzehnten teilweise noch großer Beliebtheit in Deutschland. “Ende gut, alles gut” könnte man nun sagen? Nein, das wäre vermessen, denn nach wie vor gibt es auf dieser Welt Strömungen und Geisteshaltungen, die selbige gerne nach ihrem Bild formen – die Geschichte in ihrem Sinne zu prägen gedenken. Es ist daher von großer Wichtigkeit, die Ereignisse des Jahres 1933 und selbstredend auch die der dunklen, folgenden Jahre, niemals zu vergessen und sie sich als Warnung für kommende Generationen vor Augen zu führen. „Wer die Vergangenheit vergisst, ist verdammt, sie zu wiederholen“, hat der spanische Philosoph George Santayana einmal gesagt und damit ein ewig gültiges Wort gesprochen.

Nicht und niemals vergessen, mit diesem Anliegen hat sich der Schriftsteller Erwin Grab schon vor drei Jahren an die Gemeindeverwaltung seiner Wahlheimat Gondelsheim gewandt, mit der Bitte anlässlich des Jahrestages der Bücherverbrennung eine öffentliche Lesung veranstalten zu können. Die Gemeinde signalisierte uneingeschränkte Unterstützung, doch die Pandemie machte die Durchführung zunächst unmöglich. Am gestrigen Donnerstagabend war es nun aber endlich soweit. Vor einem bis auf den letzten Platz belegten Auditorium im Ratssaal des Gondelsheimer Rathauses, las nicht nur Erwin Grab aus Werken der damals indizierten Schriftstellerinnen und Schriftsteller, sondern auch drei weitere Persönlichkeiten aus Gondelsheim.

Karl Vollmer

Der evangelische Pfarrer Stefan Kammerer, der katholische Diakon Robert Austen und der – wie er sich selbst zwinkernd bezeichnet – weltliche Künstler Karl Vollmer entsprachen der Bitte Grabs und steuerten ihren Teil zur Lesung bei. Der vollständigen Aufmerksamkeit der Zuhörerschaft sicher, lasen Sie Texte von Bertolt Brecht, Joachim Ringelnatz, Erich Kästner, Tucholsky und Roth – manche davon mit ernstem, geschichtsbezogenen Kontext, manche einfach nur leicht und unterhaltsam. Alle jedoch brilliant geschrieben und formuliert, Literatur einer solchen Güte, dass man sich auch 90 Jahre später dafür schämen möchte, dass solche Glanzstücke von der selbsternannten intellektuellen Elite dieses Landes in verblendeter Selbstherrlichkeit dem Feuer übereignet wurden.

Bürgermeister Markus Rupp hob in seinen Grußworten der von musikalischen Beiträgen der Jugendmusikschule Unterer Kraichgau untermalten Veranstaltung, die Bedeutung einer solchen hervor, insbesondere die ausdrückliche Aufgabe aller nachfolgenden Generationen, die damaligen Ereignisse als Warnung für alles Kommende niemals aus den Augen zu verlieren.

Vorheriger Beitrag

Ein “schauriger” Mai

Ubstadt-Weiher: Vier Verletzte nach Verkehrsunfall

Nächster Beitrag