Der leise Tod des freien Wortes

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Bild von Dean Moriarty auf Pixabay

Wenn Einzelne den Ton angeben und die Mehrheit der Stimmen schweigt…

Ein Essay von Philipp Martin

Wer schon einmal das Konzert eines wahrhaft guten Chores besucht hat, der weiß zu welchen Harmonien die menschliche Stimme befähigt ist. Damit ein Chor aber Großes leisten kann, braucht es zum einen ausgewogen gemischte Stimmen jeder Tonart – vom hohen Sopran bis hin zu den tiefen Bässen. Zum anderen – und das unterscheidet einen guten Chor von einem schlechten – müssen diese Stimmen aufeinander hören, sich gegenseitig akzeptieren und entfalten lassen – erst dann entsteht eine Harmonie.

Würde man unsere heutige Gesellschaft im Jahr 2019 mit einem solchen Chor vergleichen, so vernähme man zunehmend nur einzelne, schrille Stimmen, dissonant herausragend und dominierend über ein Meer schweigender Münder. 

Ja, die Harmonie der freien Stimmen ist uns längst abhanden gekommen – still und unbemerkt starb das freie Wort in den zurückliegenden Jahren einen leisen Tod. Wir bezeichnen uns als freie Gesellschaft, halten unsere demokratischen Grundwerte stolz und stoisch der Welt als höchste zivilisatorische Errungenschaft entgegen und haben es doch zugelassen, dass einer ihrer Grundpfeiler rissig wurde und in sich zusammenzubrechen droht. Es ist das im Artikel 5 unseres Grundgesetzes garantierte Recht auf freie Meinung fernab von jeder Zensur, das mit jedem Tag ein Stück weiter in die Knie geht. 

Jeder von uns spürt doch im Grunde seines Herzens längst, wie der Horizont des Sagbaren Stunde um Stunde schmaler und die gemäßigten und ausgewogenen Stimmen leiser werden. Doch sind es keine Soldaten, keine Diktatoren oder Autokraten die uns in diesem fundamentalen Recht beschneiden, sondern tatsächlich wir selbst, die die Erosion dieser Errungenschaft einer freien Gesellschaft stillschweigend hinnehmen. 

Wir gestatten es zunehmend einzelnen schrillen Stimmen und Minderheiten uns die Dimensionen des Sag- und Denkbaren zu diktieren. Rationalität und Ausgewogenheit sind längst nicht mehr Maßstab des gesellschaftlichen Diskurses, sondern die von Wenigen definierte und willkürlich gezogene Linie moralischer Überlegenheit. So hören wir dieser Tage nur jene gellenden Stimmen, die sich selbst im göttlichen Licht vermutend, mit erhobenem Zeigefinger über alles andere erheben und dazu das dissonante, vergiftete Geifern Anderer, die aus Angst geborenen Hass, verpackt in leeren und wenigen Worten mit der Freiheit des Wortes verwechseln. Jene aber, die die Fähigkeit zur Abstraktion besitzen und das Diktat der absoluten Ideologie ablehnen, verstummen Stück um Stück und überlassen dort anderen die Bühne, wo es ihre Stimmen doch so dringend brauchen würde.

Wenn an demokratischen Keimzellen wie unseren Universitäten kritische Stimmen nicht mehr angehört sondern diskreditiert und erniedrigt werden, wenn rationale Meinungen herabgewürdigt werden weil sie sich weigern sich an der eigenen Güte und Herrlichkeit zu berauschen und das was nicht sein darf nicht mehr länger nur geleugnet, sondern gleich gar seine Existenz abgesprochen wird, dann ist die Gesellschaft ihrer Ausgewogenheit und der Chor seiner Harmonie beraubt. 

Dabei brauchen wir doch all diese Stimmen – die hohen und die tiefen, die jungen und die alten, die konservativen und die liberalen, die linken und die rechten. Wir müssen ihnen erlauben sich zu entfalten und gleichzeitig andere Stimmen zu achten. Lautstärke allein hat mit Schönheit nichts gemein und doch erlauben wir es den Schrillen und Schäumenden zunehmend Klang, Kurs und Takt unseres Chores zu diktieren. Wir ducken uns unter der Schärfe und des Grellen ihrer Worte hinweg und haben längst begonnen die Herrschaft von Moral und Meinung Einzelner als fortan gegeben hinzunehmen. 

Wir haben vergessen dass wir nur unsere Münder öffnen, auf unseren Lippen unseren höchst eigenen Ton formen und in die Welt entlassen können.  Wir haben vergessen dass sich diese Töne der Vielen zu einer mächtigen Harmonie vereinen und ohne Zweifel die Herrschaft des Schrillen und Grellen brechen können.

Erinnern wir uns wieder – es ist Zeit dafür.

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