Der Landrat

| ,

Nächste Woche wird Dr. Christoph Schnaudigel vermutlich das dritte Mal in Folge zum Landrat des Landkreises Karlsruhe gewählt werden. Doch wer ist dieser Mann eigentlich?

von Stephan Gilliar

Er ist in die Jahre gekommen, der alte Turm an der Karlsruher Kriegsstraße. Matt und stumpf schimmern die Fenster der 20 Stockwerke in der Juli-Sonne, manche davon wurden schon provisorisch durch Sperrholzplatten ersetzt. Die Eleganz, die das Gebäude – erbaut im internationalen Stil, wie das Hauptgebäude der UNO in New York – einmal ausgestrahlt haben muss, lässt sich nur noch vage erahnen. Früher war hier einmal das Badenwerk zu Hause, seit Mitte der 90er dann das Landratsamt. Doch auch die Verwalter befinden sich bereits auf geordnetem Rückzug, viele Abteilungen und Behörden sind bereits umgezogen – der Rest wird in den kommenden Wochen folgen. Nicht mehr zu retten sei das alte Haus, die Sanierung viel zu teuer, so das Fazit von Experten und Kreistag, daher muss der Anfang der 60er Jahre errichtete Komplex fallen. Der Langbau ist bereits Geschichte und auch das Hochhaus wird in Bälde folgen.

Ich bin heute mit dem Hausherren verabredet, Landrat Dr. Christoph Schnaudigel wird, wie der Kapitän eines Schiffes, als einer der letzten das todgeweihte Hochhaus verlassen. Im 18. Stockwerk, dort wo der Landrat sein Büro hat, bemerkt man noch nichts vom nahenden Fall der Beiertheimer Allee Nummer 2. Es herrscht die übliche Atmosphäre routinierter Betriebsamkeit einer Behörde.. Telefone klingeln, Tastaturen klappern, leises Stimmengemurmel. Martin Zawichowski, der brummig-ruhige Büroleiter und Pressesprecher begleitet mich in Christoph Schnaudigels Büro. Er und seine Kollegin Janina Keller lassen sich in die schwarz-ledernden Polster der Sitzgruppe fallen, ganz so intim wie erhofft, wird mein Interview also nicht werden. Ich lasse meine Blicke noch einen Moment durch das geräumige Büro gleiten, minimalistisch eingerichtet durch und durch, kaum Deko oder Schnickschnack… Zuhause würden wir sagen “koi Ferz”. Spektakulär, wenngleich durch die große Höhe vielleicht etwas steril, wirkt der Ausblick aus den riesigen Panoramafenstern. Wie Bauklötze ergießen sich die Fächer Karlsruhes unter den eigenen Blicken. Später werden wir an dieser Stelle noch ein kleines Fotoshooting improvisieren.. der Landrat mit Blick über die Stadt, ein echter Klassiker.

Der Junggebliebene

Dann ist er auch schon da. Dr. Christoph Schnaudigel. Ein hochgewachsener Mann, immer unterwegs in seinem unverwechselbar federnden Schritt, der eine Schätzung seines Alters wirklich schwierig macht. Die Haare – bei Amtsantritt vor ziemlich genau 16 Jahren noch grau – sind mittlerweile komplett weiß, doch älter sieht er deswegen keineswegs aus. Tatsächlich strahlt er etwas Jugendhaftes aus, das sich kaum mit seinem tatsächlichen Alter – Christoph Schnaudigel ist dieses Jahr 60 geworden – vereinbaren lässt. Eine große Hornbrille sitzt inmitten eines Gesichtes, welches von so vielen Lachfalten gezeichnet ist, dass es unzweifelhaft auf einen gutmütigen Charakter schließen lässt.

Ich kenne Christoph Schnaudigel schon seit seinem ersten Tag als Landrat, war als Journalist bei seiner Wahl in Bruchsal 2007 dabei. Wobei “kennen” eigentlich zu viel des Guten ist. Zwar haben wir uns zwischenzeitlich beruflich unzählige Male bei unzähligen Gelegenheiten gesehen, doch heute ist tatsächlich das erste Mal, dass er mir einen Blick “unter die Haube” gestattet – zumindest erhoffe ich mir das von unserem Gespräch. In jedem Fall, das ist mir klar, kein einfaches Unterfangen. Christoph Schnaudigel hat sein Erscheinungsbild, sein Wirken und sein Auftreten zwischenzeitlich perfekt austariert. Es ist gleichermaßen herzlich wie auch formal und immer auf die Sache fokussiert. Emotionale Peaks sucht man bei ihm vergeblich, es ist ein Grad an Selbstbeherrschung, der beeindruckt, für die Erstellung eines Porträts aber – sagen wir – herausfordernd ist.

Landrat Dr. Christoph Schnaudigel im Gespräch mit Bad Schönborns Bürgermeister Klaus-Detlev Huge (Archivbild)

Christoph Schnaudigel kommt aus dem südlichen Landesteil unserer badischen Heimat. geboren und aufgewachsen ist er in Singen. Sein Vater arbeitete als Beamter bei der Stadt Singen. Über mehrere Generationen betrieb die Familie mütterlicherseits dort ein Fotoatelier. 150 Jahre lang wurden hier Menschen für die unterschiedlichsten Anlässe abgelichtet. Passbilder, Hochzeiten, Ehrungen, Geburtstage und eben all die Situationen, in denen ein Lichtbild von Nöten war. In den ersten Jahren bestimmt noch auf Glas oder Kollodium, mit entsprechend alptraumhaft langen Belichtungszeiten. Der junge Christoph hat daher ein eher gespaltenes Verhältnis zur Fotografie entwickelt, denn er und seine Schwestern mussten damals ganz regelmäßig und nicht selten wider Lust und Willen als Fotomodelle herhalten. Regelmäßig hing sein Konterfei zur Bewerbung der elterlichen Fähigkeiten im Schaufenster, nachvollziehbarerweise und eingedenk flanierender Klassenkameraden nicht gerade ein fieberhafter Jungentraum.

“Ich war ein schlechter Schüler”

Später bauten seine Eltern ein Haus im ländlich gelegenen Hilzingen, einer kleinen Gemeinde, die es damals nur auf wenige tausend Einwohner brachte, heute sind es nur unwesentlich mehr. Hier verbrachte Christoph den Großteil seiner Jugend. Er besuchte die Schule, musizierte mit Klarinette und Trompete im Musikverein, widmete sich der Leichtathletik. Nach den typischen Eskapaden der Dorfjugend befragt, schüttelt er nachdenklich mit geschürzten Lippen den Kopf.. nein, nichts dergleichen. Das mag zwar langweilig klingen, ein Streber war er aber definitiv auch nicht. “Ich war schlecht in der Schule” gibt er unumwunden zu, seine Mutter sei mehr als einmal verzweifelt zu einem Elternabend gegangen, mehrfach stand sogar die Versetzung in Frage. Es sei keine Frage des Könnens, sondern eine Frage des Wollens gewesen und überdies auch eher eine Episode als ein persistentes Problem. Denn irgendwann war diese Phase zu Ende und Christoph gab in der Schule Gas, legte ohne Schwierigkeiten sein Abitur ab.

Danach packte ihn, wer kennt es nicht aus den eigenen jungen Jahren, das Fernweh. “Ich wollte Freiheit, ich wollte raus“, erzählt er und grinst. So begann er das Studium der Rechtswissenschaften, zuerst in Mainz, später in Tübingen. Letzteres ist zwar Luftlinie nur 85 Kilometer von der alten Heimat entfernt, doch Baden-Württemberg war einfach von jeher Christoph Schnaudigels Heimat und ist es bis heute immer noch. Während dem Studium lernte er seine heutige Frau kennen, die wie er Jura studierte und heute als Anwältin in Stuttgart praktiziert. Beide treffen sich mal in der Karlsruher, mal in der Stuttgarter Wohnung, Christoph Schnaudigel fühlt sich überall zu Hause. Nach Singen kommt er auch regelmäßig, nachdem seine Eltern hochbetagt sind noch häufiger als zuletzt. Wenn er von Singen erzählt, dann wenn der Blick auf der A8 von der Geislinger Steige kommend auf den Hohentwiel fällt, wird seine Stimme eine Spur wärmer.

1993 promoviert Christoph Schnaudigel, arbeitet danach zunächst als Referent beim Regierungspräsidium in Stuttgart. Im Anschluss wechselt er als Justitiar für Umweltrecht ans Landratsamt Ludwigsburg und absolviert schließlich die Führungsakademie des Landes Baden-Württemberg. Danach tritt er eine Stelle als Kommunalreferent beim Innenministerium an und wird kurze Zeit später zum ersten Landesbeamten des Landkreises Ludwigsburg berufen.

Der Start in Karlsruhe steht unter einem fahlen Stern

2007 wird Christoph Schnaudigel schließlich Landrat des Landkreises Karlsruhe, ein Posten, der damals unter schwerem Seegang neu vergeben werden musste. Sein Vorgänger, Landrat Claus Kretz, hatte sich nur Wochen zuvor – vermutlich aufgrund des Drucks einer damals kontrovers diskutierten Mietaffäre – am Bahnhof Rot-Malsch das Leben genommen. Christoph Schnaudigel hatte damals im Landratsamt in Folge natürlich einiges aufzuräumen, einiges abzuwickeln. Für die Mitarbeitenden sei das aber nach seiner Erinnerung kein Problem gewesen, man wäre eher neugierig auf “den Neuen” gewesen.

Es folgte der Alltag und die tagtägliche Arbeit eines Landrats. Entgegen der in Hinblick auf den jüngsten thüringischen “Sündenfall” verbreiteten Befürchtungen, eigentlich eine eher unspektakuläre Arbeit. Wikipedia bringt das recht nüchtern auf den Punkt: “Der Landrat leitet – soweit von der Landkreisordnung so vorgesehen – die Sitzungen des Kreistages, nimmt die Vertretung des Kreises bzw. Landkreises wahr, führt die Beschlüsse des Kreistages aus und erledigt die Geschäfte der laufenden Verwaltung.” Christoph Schnaudigel erledigt diese Arbeit leise und routiniert, bis auf die schwierige Neuorganisation der Kliniken im Landkreis schlagen die politischen Wogen auf Kreisebene selten über Deck zusammen.

Landrat Dr. Christoph Schnaudigel

2015 änderte sich die Arbeit mit dem Aufkommen der damaligen Flüchtlingskrise aber nachhaltig. Seither operiert das Landratsamt mehr im Krisenmodus, als es jedermann lieb sein dürfte. Quasi über Nacht galt es tausende Menschen unterzubringen, eine echte Herkulesaufgabe, die am Ende aber glückte. An Krisen mangelt es seither nicht. Energiepolitik, Umweltthemen und nicht zuletzt die Pandemie haben die Behörde in den vergangenen Jahren oft über Gebühr beschäftigt. Gerade letzteres war für das Landratsamt eine Bewährungsprobe ohne Gleichen, teilweise musste das Gesundheitsamt sogar auf die Unterstützung der Bundeswehr zurückgreifen um die Sisyphos-Aufgabe der Kontaktnachverfolgung überhaupt im Ansatz stemmen zu können. “Wir wussten nie, was auch nur die nächste Stunde bringt“, erinnert sich der Landrat, „außerdem hat Corona uns ja auch selbst betroffen, uns und unsere Familien”.

Dass es in naher Zukunft wieder deutlich ruhiger zugehen wird, das sieht Christoph Schnaudigel derzeit noch nicht. “Da gibt es manche Dinge, die wir so noch gar nicht vorausahnen“, ist er sich sicher. Gerade der lange Atem des Ukraine-Konflikts und dessen Auswirkungen lassen sich schließlich kaum abschätzen. Für ihn aber kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. Ganz im Gegenteil, der Landrat will es nochmal wissen und tritt nach 2007 und 2015 nochmals zur Wahl an. Am 13. Juli, also in wenigen Tagen, wird der Kreistag darüber abstimmen, ob ihm Christoph Schnaudigel weiterhin als Landrat vorstehen wird. Ohne Gegenkandidaten ein Akt mit absehbarem Ausgang. Kein Wunder, Christoph Schnaudigel wird von sehr vielen seiner Mitstreiter als durch und durch angenehmer Zeitgenosse wahrgenommen. Markus Rupp, Bürgermeister in Gondelsheim und stellvertretender Landrat sieht in ihm trotz hin und wieder gegenläufiger, politischer Ansichten, einen echten Freund: “Auch wenn wir in der Sache immer mal wieder unterschiedlicher Meinung sind, Schätze ich Christoph für seine geradlinige und aufrichtige Art und Weise. Nicht zuletzt deswegen sind wir schon seit vielen Jahren gute Freunde“, so Rupp.

Landrat Dr. Christoph Schnaudigel mit seinem Stellvertreter, Bürgermeister Markus Rupp aus Gondelsheim

Tatsächlich ist der berufliche Kontakt mit dem Landrat immer angenehm. Auch wenn die oben beschriebenen Attribute der Selbstbeherrschung und der Formwahrung dazu verleiten könnten, den Landrat als selbstgenerierte Kunstfigur zu betrachten, ist doch das Gegenteil der Fall. Christoph Schnaudigel ist herzlich, freundlich und durch und durch authentisch. What You Get Is What You See. Wenn er beispielsweise etwas lustig findet, kommt nicht das altbekannte, zweckschuldige Politikerlächeln zum Tragen, sondern ganzer Körpereinsatz. Dann lehnt er sich mit dem Oberkörper zurück, wirft den Kopf in den Nacken und lacht schallend und herzhaft. Konfrontiert man ihn mit ernsteren Anliegen, hält er hingegen den Blick offen und direkt, baut Verbindlichkeit auf und gibt seinem Gegenüber das keineswegs gestellte Gefühl, sein Anliegen abzuwägen und vor allem ernst zu nehmen. Ihn als Philanthropen zu bezeichnen, würde vielleicht zu weit gehen, wohl aber als Urtypus des Gentlemen, definiert durch das Bemühen, andere sich in der eigenen Gegenwart wohlfühlen zu lassen.

Acht Jahre wird Christoph Schnaudigel aller Wahrscheinlichkeit nach weiterhin der Landrat des Landkreises Karlsruhe sein, bevor er seinen Stuhl im dann hoffentlich fertiggestellten Neubau des Landratsamtes an seinen Nachfolger bzw seine Nachfolgerin übergibt. Wehmütig macht ihn das nicht. „Ich definiere mich nicht über meinen Job“, sagte er und ist sich absolut sicher, das durch den Ruhestand entstehende Loch mit seinen vielfältigen Hobbys und Leidenschaften problemlos stopfen zu können. Lesen, Theater, Oper, Konzerte… oder gerne auch Hausaufgabenhilfe oder Ausfahrten für die Tafel. Langweilig wird ihm sicher nicht, lacht der Landrat und ergänzt: “Fragen Sie mich, aber bitte noch mal in acht Jahren”.

Vorheriger Beitrag

“Wir sind immer noch da”

SEW-Benefizradler sind „reif für die Insel“

Nächster Beitrag