Der Fluss ist stärker als ich – Immer!

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Ein Kerl, ein Kajak und das wilde, weiße Wasser.

Da sitzt er im Haus von Oma und Opa, im weißen T-Shirt und Tennissocken, hinter sich dutzende von Fotos, die ihn, seinen Papa.. die ganze Familie zeigen, während die kleine Kaffeemaschine hustend und polternd einen Schwarzen in den Becher rieseln lässt. Irgendwie passt er nicht in diese Szene, dieser bärige, junge Kerl, mit den wachen Augen, die vor Selbstvertrauen und Lebenshunger regelrecht strahlen. Ein Teil von ihm ist schon längst wieder da draußen, auf irgendeinem wilden Fluss, in irgendeinem wilden Winkel dieser Welt, während das weiße Wasser ihn beharrlich zum nächsten Wasserfall im schäumenden Getöse vorantreibt.

Adrian Mattern hat sich in seinem jungen Leben nie mit Mittelmaß oder Durchschnitt zufrieden gegeben, wandelt stattdessen immer an der Grenze des aktuell Machbaren und in den Augen mancher vielleicht auch auf der süßen, dünnen Linie des Wahnsinns. Als Extremsportler befährt er mit seinem Kajak die wildesten, die ungezähmtesten Gewässer dieses Planeten. In Kanada, in Kirgistan, in Kenia, in den entlegensten Winkeln der Erde… In seinem kleinen Gefährt schießt er mit äußerster Präzision durch das unbändig schäumende Wildwasser, vorbei an Felsen, Untiefen, Strudeln und am Ende haushohe Wasserfälle hinab. In diesem Frühjahr zum Beispiel die knapp 30 Meter des Saut du Doubs in Frankreich, der nur an wenigen Tagen im Jahr genug Wasser führt um mit dem Kajak befahren zu werden. Adrian hat sich auf diesen Moment wochenlang vorbereitet, die Begebenheiten und die Eigenschaften des Flusses genau unter die Lupe genommen. Als er sich schließlich ins Kajak setzt, donnern gemeinsam mit ihm pro Sekunde bis zu 90 Tonnen Wasser den Wasserfall hinunter.

Manche seiner Touren führen ihn in weit entlegene Gebiete im Hochgebirge, die kein Fahrzeug je erreichen könnte. Tagelange Märsche mit schwerem Gepäck sind dann erforderlich um Adrians jeweilige Traumlocation für ein weiteres Kapitel in seiner Karriere im Whitewater Kayaking zu erreichen. Was für Außenstehende dann wie blanker Wahnsinn und ein Himmelfahrtskommando aussieht, ist für Adrian alles. Die Essenz seines Daseins, Momente in denen er so klar und lebendig ist, wie niemals zuvor. Dann geht es um Präzision, um Hingabe, darum mit dem Fluss und seiner höchst eigenen Dynamik zu verschmelzen. Und es geht um Demut, denn der Fluss ist immer stärker als du selbst, immer! Diese Lektion des Lebens hätte Adrian um Haaresbreite einmal fast mit selbigem bezahlt. 2013 gerät er im österreichischen Ötztal in den Sog eines Siphons, einer Stelle in der das wilde Wasser eines Flusses unter einem Felsen, anstatt darüber hinweg fließt. Weil er damit rechnen musste, sich mit seinem Kajak in diesem Nadelöhr zu verkeilen, stieg Adrian aus dem kleinen Boot aus, geriet in den Sog des Siphons und tauchte ab in die Schwärze. Nach Sekunden auf dem schmalen Grat zwischen Sein und Nichtsein, entschließt sich der Fluss Adrian freizugeben und er schießt neugeboren auf der anderen Seite wieder an die Wasseroberfläche. “Neugeboren” mag pathetisch klingen, doch genau dies ist in jenem Moment geschehen. Das Leben, der Tod, das Universum, oder wie auch immer Sie es nennen wollen, hat Adrian am Kragen gepackt und ihm unmissverständlich klar gemacht: Das hier geht nur “All-In”, mach dir dabei keine Illusionen Junge! Adrian akzeptierte und seither prangt das Credo und seine höchstpersönliche Lebens-Leitlinie auch auf seinem Körper: Play the game – accept the rules. Spiel das Spiel – akzeptiere die Regeln.

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Adrian ist kein Hans-Guck-in-die-Luft, kein kopfloser Draufgänger. Er hat sich bewusst für dieses Leben entschieden, will kein anderes führen. Angesprochen auf eine Familie, das obligatorische Haus mit dem weißen Gartenzaun, winkt er ab und verdreht die Augen. Darauf würde er sich mit ganzem Herzen einlassen wollen und sein Herz ist derzeit einfach nicht frei. Es schlägt für das Wasser, für die Freiheit und das nächste große Abenteuer. Daran bastelt er gerade, schreibt für seinen langjährigen Sponsor Red Bull einen Pitch in Form einer Präsentation auf seinem Laptop. In Zentralasien will er einen wilden Gebirgsfluss befahren, organisiert akribisch und autodidaktisch in Gedanken die Tour. Es geht um Visa und Genehmigungen, um Kontakte mit den lokalen Behörden, um das Team, die Ausrüstung, die Fahrzeuge… alleine für den Helikopter-Treibstoff stehen eine Viertelmillion Euro in seiner Kalkulation.

Früher hat Adrian seine Trips alleine organisiert und auch finanziert. Auf der Baustelle oder als Türsteher hat er sich das nötige Geld für die nächste Exkursion verdient, alles akribisch geplant, tausende Male in Gedanken durchgespielt. Seit einigen Jahren hat er seinen Traum zum Beruf gemacht, lebt nun wirklich und wahrhaftig vom Whitewater Kayaking. Durch Sponsoren wie Red Bull oder Adidas kann er sich vollständig auf seine Projekte konzentrieren und auch auf den Aufbau der Marke “Adrian Mattern”. Denn gerade in einer Randsportart wie dieser, gehört das Klappern essentiell mit zum Geschäft. Es geht darum eine Community aufzubauen, diese zu pflegen und mit immer neuen Eindrücken und Material von seinen Reisen zu versorgen. Die Eindrücke dieses bildstarken Sports, hält Adrian mit einer eigenen Crew für die Bild- und Filmproduktion fest. Mit Kameras, Actioncams und Drohnen werden die rasanten Momente im Wildwasser in Szene gesetzt, was dabei herauskommt, ist mehr als beeindruckend und fesselt auf YouTube und Co. abertausende Fans.

Wenn er nicht gerade auf Reisen ist – und das ist er die meiste Zeit des Jahres über – lebt Adrian im österreichischen Innsbruck. Eine pragmatische und praktische Wohnortwahl, denn in Österreich gibt es einige der besten Wildwasser-Hotspots Europas. Aufgewachsen ist er in Heidelberg, die Wurzeln der Familie liegen allerdings im Kraichgau, im Bad Schönborner Ortsteil Mingolsheim. Wenn er kann, besucht er hier seine Großeltern und so sitzen wir gemeinsam mit Opa Karl-Heinz am Küchentisch und reden den ganzen Nachmittag über. Immer wieder nickt der Großvater eifrig und ergänzt ein paar von Adrians Geschichten. Karl-Heinz ist sichtlich stolz auf seine Enkel, hat sich mit dessen Leidenschaft und auch mit denen damit einhergehenden Gefahren arrangiert. Ein Zustand, in den die ganze Familie erst einmal hineinwachsen musste, den keine von Adrians Leidenschaften ging bisher auch nur ansatzweise in Richtung Schachclub. Kampfsport, Rugby, Sportmotorräder und Wildwasserkajak – alle hier mitlesenden Eltern werden bei dieser Palette erst einmal trocken schlucken.

Doch am Ende ist es sein Leben, seine Entscheidung was er damit anfangen möchte. Adrian hat sich entschlossen sein Leben auszukosten, es zu spüren, es zu fühlen und bis in den letzten Winkel auszuloten. Auch wenn seine eigene Sterblichkeit ihm durch Schlüsselmomente, wie jenen im Ötztal durchaus bewusst ist, glaubt Adrian an sein eigenes Happy End. “Ich habe so die Vorstellung wie ich mit meinen Freunden irgendwann einmal als alte Männer im Schaukelstuhl auf meiner Veranda sitze, nostalgisch zurückblicke und wir uns sagen: Wahnsinn, was wir damals erlebt haben.

Doch auch wenn es nicht so kommen sollte, wenn der der Fluss eines Tages das Recht des Stärkeren einfordert, wird Adrian nichts zu bereuen haben, nichts bedauern. Denn das war der Deal, so steht es auf seinem Körper geschrieben: Play the game, accept the rules.

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