Wo die Linden schwinden
Eine Dorf-Posse von Thomas Gerstner
Stellen wir uns doch einmal folgendes Szenario vor. Eine alte Dame kniet am Grabe ihres kürzlich verstorbenen Gatten, legt eine Rose auf die frische Erde und weint eine einsame Träne. (Getragene Musik setzt ein….)
Auf einmal ein feucht-morsches Knacken das immer lauter wird. Die nette Oma kann sich gerade noch umdrehen und einen Blick auf den Ast werfen, der gerade aus der Krone einer alten Linde brechend auf Sie hernieder saust.
Ein kurzer Schrei, der Aufprall – Stille.
Sollte Sie diese Geschichte noch nicht zu Tränen gerührt haben, dann ersetzen Sie einfach die alte Omi durch ein süßes kleines, ringellockiges Mädchen mit großen Augen. Spätestens jetzt sollten die Schleusen aber bersten….
Weil erschlagene Omas oder tote ringellockige Mädchen im Allgemeinen nicht so gerne gesehen werden, sind die Gemeindeverwaltungen in der Regel darum bemüht nicht zu viel von deren Blut an den Fingern zu haben. Wird also irgendein Baum zur Gefahr für Leib und Leben, wird er eben gefällt. Klingt logisch und isses auch. So geschehen in Gondelsheim – Hier wurde der Friedhof von alten Linden gesäumt die dort schon Jahrzehnte ihre Äste in den Kraichgauer Himmel reckten.
Als vor drei Jahren die Landschaftsgärtner einer Fachfirma gerade die Linden zurückzuschneiden wollten, entdeckten sie erhebliche Fäulnis in deren Kronen. Als sie die Gemeinde darüber informierten, beauftragte diese sofort (zur Vermeidung toter Omas und ringellockiger Mädchen) einen speziellen Baumgutachter der die ollen Linden sogar mit dem ultramodernen „Virtual Tree Assessment“-Verfahren unter die Lupe nahm. Er kam zu dem selben Schluss: Die meisten der alten Bäume waren reif für die Kettensäge.
Wir halten fest: Ein Landschaftsgärtner und ein geschulter Fachgutachter kamen beide zum selben Ergebnis: Bäume nix mehr gut!
Da jetzt das eingangs beschriebene blutige Szenario schon nicht mehr ganz unwahrscheinlich war, reagierte die Gemeindeverwaltung gewissenhaft. Nach intensiver Tagung und der Erstellung zwei weiterer artenschutzrechtlicher Gutachten kam man zu dem Schluss, dass die Sicherheit der Menschen wichtiger wäre als der Erhalt der Bäume.
Unglaublich! Was erdreisten sich diese Politiker einfach ein Menschenleben über das eines Baumes zu stellen? Haben Sie Alexandras Schlagerhit „Mein Freund der Baum“ etwa nicht mehr mahnend in den Ohren? Und überhaupt: Ist die Tatsache dass die Gemeinde nur vier Gutachten eingeholt hat nicht schon ein Skandal? Wo blieben die Bewertungen durch die NASA, den deutschen Bundestag oder die mongolische Konservenbüchsen-Hersteller-Vereinigung?
Obwohl die Gemeinde am 15. September ordnungsgemäß über die Tagesordnung der Sitzung vom 22.September informiert hat und obwohl auf jener Sitzung die gewählten Gemeinderäte mit 13 Ja-Stimmen und einer Enthaltung die Fällungen beschlossen haben – rührt sich nun im Nachgang der empörte Widerstand.
Ein Problem von dem viele Gemeinden ein Liedchen singen können. Die vorhandenen Möglichkeiten sich in den demokratischen Prozess einzubringen werden nicht genutzt dafür aber lieber im Nachgang gebruddelt. Auch im Gondelsheimer Linden-Krimi war das nicht anders. Erst in der letzten Oktober-Sitzung des Gemeinderates traten die Linden-Freunde hervor und beschwerten sich über die Fällungs-Aktion. Man hätte persönlich die gefällten Bäume inspiziert und keinerlei Baumfäule entdecken können. Es sei „ein starkes Stück gewesen“ die Linden zu fällen, wird einer der Protestler von der Zeitung zitiert.
Nun ist es an der Gemeindeverwaltung sich für Ihre Vergehen zu verantworten. Was zählen schon mehrere Fachgutachten, wenn es Gondelsheimer mit Röntgenaugen gibt? Außerdem hätte Bürgermeister Markus Rupp ja schließlich zu den Friedhof-Öffnungszeiten künftig die Baumkronen ähnlich dem griechischen Titanen Atlas auf seinen Schultern tragen können – das kann man ja wohl von so einem fahrlässig handelnden, sich gerade mal auf vier Fachgutachten stützenden Hans-Guck-in-die-Luft erwarten. Das Ende vom Lied könnte man mit dem Anfang eines anderen Liedes umreißen:
Am Brunnen vor dem Tore,
da stand ein Lindenbaum
und weil der schon ganz morsch war
hat man ihn umgehaun.