Das Geheimnis des unbesteigbaren Rapunzel-Turms

| ,

Am Rande Oberöwisheims steht ein Aussichtsturm, auf den kein Weg hinauf führt

Massiv steht er da, entlang der kleinen Gemeindeverbindungsstraße, die den Kraichtaler Stadtteil Oberöwisheim mit wahlweise Zeutern oder Odenheim verbindet. In einem spitzen und schattigen Winkel am ausladenden Naturschutzgebiet zwischen Dorf und Pfannwaldsee, ragt der Turm aus dicken Balken errichtet in den Himmel. Ein schweres Geländer läuft rundherum um die Plattform, ein Spitzdach sitzt oben auf und die gesamte Konstruktion ist mit Latten solide verschalt. Nur etwas Entscheidendes fehlt: Eine Leiter oder eine Treppe um den Turm zu besteigen. So stehen Spaziergänger und Wanderer oft ratlos vor der hölzernen Konstruktion und fragen sich wieso jemand einen Turm ohne Aufstiegsmöglichkeit errichtet?

Klar ist, die Erbauer wollten nicht angelehnt an das Grimmsche Märchen einen Rapunzelturm in die Höhe ziehen, in dem eine blonde Jungfer ohne Ausweg eingekerkert werden sollte. Der wahre Grund für die fehlende Treppe, liegt vielmehr in der schnöden Bürokratie begraben. Weil die Behörden nicht für eventuelle Unfälle haftbar gemacht werden wollten, gestatteten sie zwar die Konstruktion des Turmes, allerdings nur unter der Bedingung, dass dieser nicht begehbar sein dürfte. So errichtete anno 2014 die sich für Oberöwisheim engagierende Interessensgemeinschaft Pro3 den Turm an einer Ecke dessen, was im Dorf nach wie vor als Schweikert-Grundstück bekannt ist. Vor rund vier Jahrzehnten sollte hier einmal ein großes Naherholungsgebiet entstehen, inklusive Ferienhäusern, eines Hotels und einer Golfanlage. Am heutigen Standort des Turmes, befand sich zu dieser Zeit bereits ein kleiner Spielplatz mit einem Karussell und einer Wippe, direkt dahinter erstreckte sich ein kleines Wildgehege mit Rehen, Hirschen und Co. Schon damals stand hier ein kleiner Aussichtsturm, von dem aus man hätte das Wildgehege überblicken können. Hätte, weil bereits damals aus Haftungsgründen eine Aufstiegsmöglichkeit untersagt wurde. Es gab zwar eine Luke im Turnboden, über die sich so mancher Jugendlicher im Dorf bereits nach oben gehangelt hat, eine Treppe oder eine Leiter fehlten aber auch damals gänzlich.

Weil die Pläne für das Naherholungsgebiet irgendwann im Sande verliefen, verwilderte das Schweikert-Grundstück Stück für Stück und wurde irgendwann vom Land Baden-Württemberg als Naturschutzgebiet ausgewiesen und renaturiert. Auch der kleine Spielplatz und der alte Turm gerieten zusehends in Vergessenheit und verfielen über die Jahre. Erst im Jahr 2012 widmeten sich die Ehrenamtler von Pro3 schließlich dieser kleinen Ecke ihrer Heimat und beschlossen aktiv zu werden.

Auch wenn manch einer im Dorf den Kopf schüttelte und am Stammtisch hitzige Diskussionen darüber entbrannten, war es den Helfern von Pro3 wichtig das Grundstück wieder so herzurichten, wie es in seiner Blütezeit ausgesehen hat – inklusive des Turmes. So wurde in Oberöwisheim ein zweiter Turm errichtet, dieses Mal zwar ohne Luke, aber weiterhin auch ohne jede andere Chance für eine Besteigung.

Das kleine Grundstück wird nach wie vor durch private Initiativen in Schuss gehalten, auf den Bänken und am Picknicktisch nehmen regelmäßig Wanderer und Spaziergänger Platz. Dort können Sie die Aussicht über das Oberöwisheim Auenland genießen, verschnaufen und zur Ruhe kommen. Der Blick wandert aber stets zu dem markanten Turm unter den schattigen Tannen und wirft jene Fragen auf, die mit diesen Zeilen vielleicht ein Stück weit beantwortet werden konnten.

Vorheriger Beitrag

Monster-Erdbeben erschüttert den Kraichgau

Bescheiden aber glücklich – So lebte es sich anno dazumal im Kraichgau

Nächster Beitrag