Dafür laufe ich auch bis Timbuktu….

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Den Rotary-Club umwehen viele Mythen und Vorurteile. Ein paar davon mögen wahr sein, doch die handfeste, geleistete Hilfe ist es ebenso.

Von Stephan Gilliar

Ein karger Konferenzraum im Souterrain des Hotels Scheffelhöhe im Bruchsaler Villenviertel. An dem großen, ovalen Tisch sitzen neben meiner Wenigkeit, Dorothee Eckes, Herrin des Hauses, Dimitrios Meletoudis, Vorstand der hiesigen Volksbank und Jürgen Riffel, dessen Unternehmen sich auf irgendetwas für mich kryptisch Klingendes rund um medizinischen Studien spezialisiert hat. Offenkundige, berufliche Schnittmengen gibt es bei den dreien nicht, dafür aber auf anderer Ebene.

Dorothee, Dimitrios und Jürgen sind Rotarier, genauer gesagt Mitglieder des Rotary Clubs Bruchsal-Rhein. Alleine in Bruchsal gibt es drei solcher Clubs, die unter dem Dachverband “Rotary International” organisiert sind und dennoch nur für ein paar kleine Tropfen im Meer der weltweit 1,2 Millionen Rotarier stehen. Der Rotary Club ist ein sogenannter Service-Club, eine Bezeichnung, die irgendwie an den ADAC denken lässt, in Wirklichkeit aber im englischen Sinne des Wortes für einen Gesellschaftsclub oder Wohltätigkeitsclub steht. Nimmt man es ganz genau, ist der Rotary Club nicht nur irgendein Service-Club, sondern der allererste, der dieses Club-Genre überhaupt geprägt hat. Gegründet wurde er im Winter 1905 von einem Anwalt in Chicago. Ursprüngliches Ziel war es, Kontakte zu Menschen aus unterschiedlichen Berufen und sozialen Schichten zu knüpfen, später kam auch noch eine tragende, gemeinnützige Komponente hinzu.

“Selbstlos dienen”, das haben sich die Rotarier damals auf die Fahnen geschrieben. Das mag etwas pathetisch anmuten, ist im Wesentlichen die Kernkompetenz der Serviceclubs, ob es nun die Rotarier, die Kiwanis oder die Lions sind. Das klingt doch gut, sehr gut sogar, möchte man sagen. Die Schwerpunkte des Rotary-Clubs lesen sich gar ein bisschen wie die Charta der Vereinten Nationen, hier fallen mächtige Schlagworte wie “Frieden”, “Konfliktprävention”, “Gesundheitsfürsorge”, “Elementarbildung” und “Wirtschaftsförderung”. Dennoch umweht die Rotarier etwas Mysteriöses, manche würden auch sagen – etwas Elitäres. Ein Eindruck, der sich nach der Lektüre der skizzierten Grundsätze auf der Website von “Rotary in Deutschland” nicht gerade vollumfänglich auflösen lässt. Hier heißt es auszugsweise: “ -Rotary International- ist eine weltweite Vereinigung berufstätiger Männer und Frauen. Von seinen Mitgliedern werden herausragende berufliche Leistungen, persönliche Integrität, eine weltoffene Einstellung sowie die Bereitschaft zu gemeinnützigem Engagement erwartet.” Oha, man muss also nicht nur berufstätig sein, sondern auch herausragende berufliche Leistungen erbringen? Die Aufnahme in den Rotary Club scheint also nicht ganz einfach zu sein und ist es tatsächlich auch nicht. Neue Mitglieder werden ausschließlich über Empfehlungen und Einladungen gewonnen, zudem haben Frauen es hier und da nicht so leicht, wie es 2022 angebracht wäre, werden grundsätzlich ohnehin erst seit 1989 als Mitglieder im Rotary Club aufgenommen.

Muss man sich also den Rotary Club als Vereinigung reicher Menschen vorstellen, die wirtschaftliches Netzwerken mit einem Charity-Anstrich übertüncht? Um diese Frage für mich zu beantworten, habe ich mich mit den eingangs erwähnten drei Rotariern in Bruchsal getroffen, die sich ehrenwerterweise bereit erklärt haben, alle meine Fragen offen zu beantworten. Alle drei sind Teil eines jüngeren, progressiven Clubs, für den die Aufnahme von Frauen selbstverständlich unverhandelbar mit dazu gehört, die sich vielmehr von der Grundidee von Rotary und weniger von Dogmen leiten lassen wollen.

Die erste Frage lautet daher auch unumwunden: “Muss man reich sein, um Teil des Rotary-Clubs zu sein?” Die Antwort kommt prompt und unisono von allen dreien: “Nein, das muss man nicht.” Tatsächlich umfasst der jüngste Bruchsaler Ableger des Rotary Clubs Mitglieder aus den unterschiedlichsten Berufen, bildet dabei einen Querschnitt unserer Gesellschaft ab.” Um Geld geht es dabei nicht in erster Linie, obgleich es für die Realisierung der gemeinnützigen Ziele des Clubs durchaus eine Rolle spielt. “Der Haupttreiber von “Gutes Tun” ist nunmal Kohle“, sagt Jürgen unumwunden und das ohne jede Überheblichkeit. “Eine finanzielle Mindestausstattung gehört dazu”. Auch wenn sich die Aussage ad hoc irgendwo im diffusen Geflecht der eigenen Moral verfangen möchte, hat er damit natürlich absolut recht. Ein Kinderkrankenhaus funktioniert nicht, wenn das Gehalt für Ärzte fehlt, Nahrung und Impfstoffe in Ländern der Dritten Welt gibt es nicht umsonst und die Häuser und Wohnungen im Ahrtal werden nicht von warmen Gedanken erwärmt. Um wirklich etwas zu bewegen, braucht es den Willen und die nötigen Mittel… beides Ressourcen, über die der Rotary Club und seine Mitglieder verfügen. Mehrere tausend Euro haben allein die Bruchsaler Clubs in den letzten Monaten auf die Beine gestellt, um effektiv und tatsächlich helfen zu können. Der Rotary-Club Bruchsal-Rhein, der in diesen Tagen seinen zehnten Geburtstag feiert, unterstützt beispielsweise seit 9 Jahren das Kinderhaus St. Raphael in Bruchsal, finanziert diesem eine zusätzliche Personalstelle für dessen wichtige Arbeit in der Erziehungshilfe.

Hat sich ein Club auf ein gemeinsames Projekt geeinigt, unterstützt jedes Mitglied nach seinen individuellen Möglichkeiten. Es gibt keinen Zwang, keine Mindestbeträge, noch nicht einmal eine Pflicht zur Offenlegung. Zuwendungen erfolgen vollständig anonymisiert, können anstatt Geld auch den persönlichen Einsatz umfassen.

Einmal pro Woche trifft sich der Rotary Club, ein durchaus ambitioniertes Intervall, stehen doch alle Mitglieder aktiv und voll im Berufsleben. Nicht immer schaffen es alle derzeit 35 Mitglieder, doch das wird hier eher pragmatisch als dogmatisch angesehen, es kann einfach nicht jede Woche passen. Die Grundstruktur der wöchentlichen Treffen ist dieselbe, wie bei jedem anderen Rotary-Club: Man bespricht Alltägliches, Projektbezogenes, Organisatorisches und Aktuelles. Danach isst man gemeinsam, um schließlich einem Vortrag eines Clubmitgliedes zu lauschen. Jede Woche ist jemand anderes dran, das Thema ist dabei völlig frei wählbar. Persönliches, Erstaunliches, Kurioses, Wissenschaftliches, Kulturelles… alles kann, nichts muss. “Die habe ich schon so manches Mal meinen Horizont erweitern können“, sagt Dimitrios Meletoudis lachend zum wöchentlichen Themen-Bingo, das manchmal sogar Exkursionen beinhaltet. Ein ähnlich atmendes Verfahren gibt es übrigens auch bei den Funktionsträgern innerhalb eines Clubs. Der Präsident oder die Präsidentin wechseln einmal pro Jahr, dann ist jemand anderes dran. Im Falle des Rotary-Clubs Bruchsal-Rhein begann alles vor zehn Jahren mit Gründungspräsident Armin Wittemann, aktuell ist Sarah Kohlhammer Präsidentin.

Genauso vielfältig wie die wöchentlichen Vorträge, sind auch die unterschiedlichen Rotary-Clubs selbst, obgleich sie natürlich formal gewissen Strukturen der Dachorganisation Rechnung tragen müssen. “Wir schauen nicht darauf, wie es die anderen machen, wir haben nur Einfluss auf uns“, sagt Jürgen, der nach der entsprechenden Einladung lange überlegt hat, ob er auch wirklich ein Rotarier werden will. “Ich hatte schon immer ein Helfersyndrom” begründet er schließlich seinen Schritt. Was hier gemeinsam umgesetzt werden kann, verursacht ihm regelmäßig Gänsehaut. Er erzählt von einem Mädchen, das er durch die Arbeit mit dem Kinderhospiz kennengelernt hat, auf deren gemaltem Bild der gerade gestorbene Papa als über allem schwebender Engel dargestellt war und seine Augen werden dabei feucht und rot. Es ist eine aufrichtige und unwillkürliche Reaktion… Rotary hat dem Hospiz mit einem stolzen fünfstelligen Betrag geholfen, der eigenen unschätzbar wichtigen Aufgabe noch besser nachkommen zu können. “Dafür laufe ich auch bis Timbuktu….” sagt Jürgen, der für sich mit der Mitgliedschaft im Rotary-Club eine Möglichkeit gefunden hat, faktisch und effektiv helfen zu können. Im jüngsten Bruchsaler Ableger des Traditionsclubs fühlt er sich wohl, hat hier die Möglichkeit, seine Herzensanliegen in reale und handfeste Taten münden zu lassen. Zudem haben sich aus der Gemeinschaft echte Freundschaften herausgebildet, die in gemeinsamen Kneipenabenden oder Urlauben, schon längst die Grenzen des Clubs überschritten haben.

So ist es Zeit zu einem Fazit zu kommen, zu einer abschließenden Bewertung meinerseits, die keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit in sich trägt. Manche der Vorurteile und Mythen, die sich um den Rotary Club ranken, tragen in ihrem Kern durchaus einen Funken Wahrheit in sich. Wie viele Institutionen, die auf eine lange, in diesem Fall über 100 jährige Geschichte zurückblicken können, sind hier und da durchaus verkrustete Strukturen Teil des Gesamtbildes. Wahr ist aber auch: Der Rotary Club ist nicht gleich der Rotary Club. Jeder einzelne seiner vielen tausend Ableger kann sich flexibel und individuell ausrichten, wird geprägt durch die Menschen, die ihn tragen. Ja, es gibt Mitglieder, für die die Stärkung des eigenen Netzwerkes im Vordergrund stehen mag und es gibt Anachronismen wir reine Männerclubs, doch Rotary hat seine Wandlungsfähigkeit durchaus unter Beweis gestellt.

Am wichtigsten ist meiner Meinung nach aber bei all dem: Der eigene Anspruch des gesellschaftlichen und gemeinnützigen Engagements ist keine Schönfärberei, sondern greifbare und messbare Realität. Zusammengenommen haben die weltweiten Rotary-Clubs unzählige Hilfsprojekte umgesetzt und dafür ebenso unzählige Millionen an Geldern generiert. Alleine für das gemeinsame Ziel mit der Bill & Melinda Gates Stiftung, weltweit die Krankheit Polio auszurotten, konnten bereits mehrere hundert Millionen Dollar zusammengetragen werden, jährlich sollen auch weiterhin rund 150 Millionen dazukommen.

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