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Statt 1000 Impfungen, werden in den Impfzentren der Region nur 50 bis 80 pro Tag durchgeführt. Neben dem Impfstoff braucht es für viele aber vor allem eines: Einen Sündenbock.

Können Sie sich noch an den dünnen Dusty aus Australien erinnern? Nein? Kein Thema, ist ja immerhin schon ein paar Tage her. Slim Dusty war ein waschechter Country-Sänger aus Down Under, der 1957 mit einem kleinen Song einen echten Volltreffer gelandet hat: A Pub with no beer – zu deutsch: Eine Kneipe ohne Bier. Mal abgesehen davon, dass es im Januar 2021 tatsächlich allerorten kein Bier in den Kneipen gibt, geschweige denn irgendetwas anderes, erinnert die Nummer an jene surreale Situation, die wir seit Ende vergangener Woche überall in der Region erleben. Unter Hochdruck haben die Landkreise in den vergangenen Wochen (in einem für die öffentliche Hand geradezu atemberaubendem Tempo) Immobilien sondiert, angemietet, ausgebaut, Personal akquiriert und eingestellt um engmaschig Impfzentren zu errichten. Am Freitag öffneten diese Impfzentren nun auch bei uns im Kraichgau und verfügen über alles was es braucht: Parkplätze, Anbindung an den ÖPNV, Ausrüstung, medizinisches Personal, zahlreiche interessierte Impfwillige – nur eines fehlt: Der Impfstoff, oder wie Slim Dusty es sagen würde: Oh what a terrible place is a pub with no beer.

Es ist doch wirklich zum Mäuse melken. Die Tische sind gedeckt, die Kellner stehen bereit, die Gäste haben Platz genommen… doch was da auf den Tellern landet, ist allenfalls ein kleiner Gruß aus der Küche. Rund 1000 Menschen könnten pro Kreisimpfzentrum an nur einem Tag geimpft werden, die Realität sieht allerdings anders aus: Wegen des fehlenden Impfstoffes werden es zunächst nur 50 bis 80 Impfungen am Tag – 95 Prozent weniger als möglich. Anders als das fehlende Bier in der Kneipe, sind die fehlenden Impfstoffe aber nicht nur ärgerlich, sondern regelrecht fatal. Je länger sich die Impfungen im Lande hinziehen, desto länger kann das Virus in unserer Mitte arbeiten, desto mehr Kranke und Tote wird es fordern. Glich die rasante, medizinische Entwicklung des Impfstoffes noch einer echten Sensation, mutet die schleppende Verteilung in der Bevölkerung nun geradezu unwürdig an. Da existiert ein Mittel, das uns effektiv aus diesem Jammertal des ewigen Lockdowns und der verhassten Kontaktbeschränkungen herausführen könnte, doch es ist schlicht zu wenig davon vorhanden.

Das scheint aber nicht überall so zu sein, siehe das vermeintlich glänzende Vorbild Israel. Hier laufen die Impfungen wie am Schnürchen, bereits übermorgen wird die magische Grenze einer zur Hälfte durchgeimpften Bevölkerung erreicht. Dass der Impfstoff des Mainzer Unternehmens BioNtech in Israel in Hülle und Fülle vorhanden ist – ganz anders als im Heimatland Deutschland hat aber auch seine Gründe. Zum einen bezahlen die Israelis auch ordentlich dafür – fast den doppelten Preis, im Vergleich zur Europäischen Union, zum anderen liefert der Staat auch eine ganze Menge Daten zur Auswertung an Biontech, so berichtet es aktuell die Tagesschau in einem ausführlichen Hintergrundbericht. Im Datenschutz-Tempel Europa, in welchem die Corona-App mit ihren sechs Berechtigungen unter Android (im Vergleich: WhatsApp will nicht weniger als 42 Berechtigungen) schon zu kollektiver Schnappatmung führt, wohl kaum vorstellbar.

Das es in unseren Impfzentren derzeit so wenige Impfstoffe gibt, hat mehrere Gründe. Da wären zum einen die auf mehrere Hersteller aufgeteilten Bestellungen seitens der EU, aber in erster Linie auch Lieferschwierigkeiten der Hersteller. Nach BioNtech / Pfizer hat gerade auch AstraZeneca seine Lieferprognose nach unten korrigieren müssen. Das erklärte Ziel der Europäischen Union, bis zum Ende des Sommers 70 % der Bevölkerung mit Impfstoff versorgen zu wollen, rückt damit weiter in die Ferne.

Doch wer hat denn nun vermeintlich versagt, wer trägt die immer gern gesuchte Schuld an der Misere? Sind es die Kommunen und Landkreise? Nein, diese haben die Infrastruktur für die Verabreichung der Vakzine zügig auf die Beine gestellt. Ebenso wenig tragen die Bundesländer daran schuld, obgleich das System zur Terminvergabe vermutlich hier und da wegen seiner komplizierten Handhabung und der wenig seniorenfreundlichen Ausrichtung durchaus Mängel aufweist. Auch die EU hat entgegen immer wieder postulierter Verlautbarungen, nicht zu wenig Impfstoff bestellt, sondern die Bestellung auf alle sich im Rennen befindlichen Hersteller verteilt. Welche Impfstoffe rechtzeitig fertig und erfolgreich getestet werden, ließ sich schließlich zum damaligen Zeitpunkt der Bestellung noch nicht sagen.

Um den Motor also richtig rennen zu lassen, muss die Produktion der Impfstoffe nun im großen Stil anlaufen. Leicht ist das aber nicht, schließlich wird hier keine Schokoladenmilch angerührt. Komplizierte Bioreaktoren, ein Netz aus spezialisierten Zulieferern und nicht zuletzt die teilweise extrem schwierige Transportkette, die im Falle des Impfstoffes von BioNtech / Pfizer immer bei -70 Grad erfolgen muss. Es ist nicht weniger als eine einmalige, historische Mammutaufgabe, die hier vollbracht werden möchte. Die Makroebene ist beeindruckend und einschüternd. Ein hochkomplexes und neues Produkt muss innerhalb kürzester Zeit Millionen und Abermillionen von Menschen erreichen, dass dieser Prozess noch hier und da hakt, ist nicht nur normal sondern so gesehen schon fast unvermeidbar.

Üben wir uns also noch etwas in Geduld und vielleicht auch in mehr Verständnis. Auch diese Hürde ist bald genommen und dann gibt es hoffentlich nicht nur Impfstoff in den Impfzentren sondern auch wieder Bier in den Pubs.

But there’s-a nothing so lonesome, morbid or drear

Than to stand in the bar of a pub with no beer

Slim Dusty

ein Kommentar von Philipp Martin

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