Abschalten! Jetzt!

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Corona und sonst nix – Wenn die Nachrichtenflut uns zu erdrücken droht

Ein Kommentar von Philipp Martin

Es ist schon eine bizarre Situation, wenn ihnen ein Online-Redakteur den dringenden Ratschlag gibt: Schalten Sie Ihr Smartphone ab, fahren Sie Ihren Computer herunter und ziehen Sie das Telefonkabel aus der Wand.

Was mir beruflich bedingt verwehrt bleibt, kann ich Ihnen für die Bewahrung ihrer emotionalen Gesundheit nur ans Herz legen. Vielleicht haben sie dieses Verhalten an sich ebensosehr, wie ich an mir beobachtet: In den letzten Wochen hänge ich ohne nennenswerte Pausen am Smartphone oder durchforste das Netz mit dem Laptop auf dem Schoß. Alles über das Coronavirus und seine Verbreitung in Erfahrung zu bringen, ist gefühlt schon längst keine Suche nach Informationen mehr, sondern eine regelrechte Obsession. Dealer für diese Sucht gibt es derzeit wie Sand am Meer. Alle Nachrichtenportale haben zwischenzeitlich Corona-Ticker eingerichtet, um jeden noch so kleinen Sachverhalt just-in-time direkt in unsere Gehirnwindungen zu feuern.

Je schlimmer, desaströser und schwarzmalerischer – desto besser. Doch unser aller kollektiver Suche nach guten Nachrichten, ist im Revier der “only bad news are good news” – Bande kein Erfolg beschieden. Die privatwirtschaftlich organisierten Medien ignoriere ich schon längst, hier wird nur mit Angst Auflage generiert. Doch auch die öffentlich-rechtlichen Medien bekleckern sich dieser Tage nicht wirklich mit Ruhm. Sowohl ARD als auch ZDF überbieten sich mit negativ besetzten Schlagzeilen und wenn sogar die eher gemäßigten heute-Nachrichten ausgerechnet jenen Screenshot einer RKI Pressekonferenz verwenden, in dem Lothar Wieler mit panisch aufgerissenen Augen und Mund zu sehen ist, kann ich am Ende nur den bereits oben postulierten Ratschlag geben: Schalten Sie ab, tun sie sich das nicht an.

Es ist selbstredend absolut nachvollziehbar und nur menschlich, in einer solch gefährlichen und bedrohlichen Situation keine essentiellen Neuigkeiten verpassen zu wollen. Die FoMO, zu deutsch: Die Angst etwas zu verpassen (Fear of Missing Out), wächst derzeit bei vielen Menschen genauso exponentiell an, wie die Ausbreitung des Virus selbst. Im Grunde warten wir doch alle darauf, dass uns irgendjemand mitteilt, dass die Talsohle durchschritten und der Weg nun wieder steil bergauf führt. So wühlen wir uns durch Seite um Seite, durchstöbern Ticker um Ticker, Tweet um Tweet, um endlich auf den schmerzlich vermissten Lichtstrahl zu stoßen.

Ich bitte Sie, tun sie sich das nicht länger an. In den nächsten Wochen ist keine Besserung zu erwarten, der Zug – vollgepackt mit Hiobsbotschaften – dürfte an Geschwindigkeit eher noch zulegen. Was nützt es Ihnen sich jeden Tag über die aktuellen Infektionszahlen zu informieren, zu überprüfen wie viele Menschen bereits gestorben sind, wie viele Mitmenschen in der eigenen Gemeinde bereits erkrankt sind? Diese Informationen ziehen sie nur weiter nach unten und machen eine Situation noch schlimmer, die ohnehin schon für jeden von uns schlimm genug ist. Warum müssen wir uns mit wenig hilfreichem Wissen belasten, wie beispielsweise dass adidas keine Miete mehr bezahlt, der Verkaufsstart des neuen iPhones verschoben wurde, sich ein paar Teenager in Brandenburg nicht an die Kontaktsperre halten oder dass in Mumbai die Beatmungsgeräte knapp werden?

Die Hütte brennt momentan lichterloh, das wissen wir alle nur zu genau. Wie schlimm die Lage ist, meinen uns momentan alle Instanzen mit Gewalt in die Schädel hämmern zu müssen. Alle Nachrichtenquellen haben Ihr Angebot auf exakt dieses eine Thema reduziert, in manchen Dörfern fahren sogar Feuerwehrautos mit Lautsprecherdurchsagen durch die Straßen und in den sozialen Netzwerken glaubt jeder seine eigene Einschätzung der Lage den anderen aufs Auge drücken zu müssen.

Liebe Leser, ich versichere Ihnen, auch diese Krise wird zu Ende gehen. Vertrauen Sie mir, sie werden es unweigerlich erfahren, sobald das Schlimmste überstanden ist. Schützen sie bis dahin nicht nur die eigene, physische Gesundheit, sondern auch ihre geistige. Schalten Sie das Smartphone einfach nur einmal am Tag ein, um sich über die neuesten Entwicklungen zu informieren und legen Sie es danach zur Seite. Genießen Sie stattdessen das sonnige Wetter, beschäftigen sie sich mit ihren Kindern, die mit der greifbaren Anspannung oft nicht umzugehen wissen und vergessen Sie darüber hinaus auch sich selbst nicht.

Eine dunkle Nacht geht nicht schneller vorüber, indem wir wach bleiben und immer wieder ängstlich aus dem Fenster sehen…. Der Morgen kommt ganz von alleine, machen wir es uns nicht schwerer als es ohnehin schon ist.

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1 Gedanke zu „Abschalten! Jetzt!“

  1. Die haben nun ja auch alle Angst um ihre so geliebte Wirtschaft. Es scheint so wie es immer zu beobachten ist. Allen ist langweilig bei dem großen Monopoly Spiel und nur ein einziger amüsiert sich immer noch prächtig. Die Big Winner finden sich nun in Talk-Shows und haben Angst das ihnen ihre Mitspieler nun alle davon laufen.

    Vielleicht wurde es einfach mal Zeit ein ganz anderes Spiel zu spielen, denn viel zu viele schauten zum Schluss nur noch zu – Beim Big Monopoly… so wie es halt schon immer war, mit diesem Spiel.

    Eine große Chance für das ausgehende eher marktwirtschaftlich geprägte Anthropozän befinden wir uns nun an der Schwelle zum Covidneunzän. Und was kommt danach? Nun, vielleicht werden wir ja feststellen: Wir hungerten nicht. Wir hatten alle ein Dach über den Kopf und hatten nicht gefroren. Um unsere Gesundheit hatte man sich großartig gekümmert. Und nun wieder Monopoly, …. och nööö nicht wirklich.

    Und dann wären wir doch wohl zurück, wo wir einst gestartet waren – im Garten Eden – oder?

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