Ich bin ein irrer Psychokiller…

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….aber nur werktags von 13 Uhr bis 15 Uhr.

Eine Kolumne von Thomas Gerstner

Okay Freunde, schnallt euch an und haltet euch fest – wir unternehmen jetzt eine kleine Zeitreise zurück ins Jahr 1984. Es geht los – die Zeit beginnt rückwärts zu laufen. Um uns herum verschwinden die ganzen unnötigen Scheiß-Dinge die wir seither angeschafft haben: die Tablets, die Smartphones, die saublöde Alexa Dose und der ganze andere Mist, von dem man uns glauben gemacht hat, wir bräuchten ihn so dringend.

Wir können zusehen wie unsere Pfunde schmelzen und Haare an Stellen wachsen, die seit Jahren brachliegendes Ödland sind. Unsere Klamotten werden hässlicher, die Musik besser, die 10.000 Fernsehkanäle schrumpfen auf magere drei zusammen und unser einziger Kontakt zur Außenwelt ist das spinatgrüne Wählscheibentelefon der Deutschen Post. Da sind wir, wieder angekommen in längst vergangenen Tagen. In einem geteilten Deutschland, mit der D-Mark in der Tasche und Schaumstoffkissen auf den Schultern. Helmut Kohl ist Bundeskanzler, Homosexualität ist strafbar, Reaktor 4 in Tschernobyl noch in einem Stück, das Anschnallen in Autos noch keine Pflicht, Apple stellt den ersten Macintosh vor und mit dem Ausstrahlungsbeginn von RTLplus ist der Startschuss für die Verblödung der Massen gefallen.

Euer Tommy ist kein hässlicher alter Sack mehr, sondern ein junger verpickelter Depp und hat gerade von seinem Opa einen nagelneuen Commodore 64 geschenkt bekommen. Dieses Gerät sollte mich nachhaltig beeindrucken und letztlich dazu führen, dass mein beruflicher Werdegang irgendwie immer mit Computern zu tun hatte. An diesem Brotkasten habe ich das Programmieren in Basic erlernt, erste Texte geschrieben und sie mit dem Nadeldrucker kreischend zu Papier gebracht ……aber im Großen und Ganzen….gezockt bis die Handgelenke knirschten.

Stunden über Stunden habe ich vor diesem Teil gesessen, das an einen alten Fernseher mit abgebrochener Antenne angeschlossen war. Einschalten, wabbelige Diskette mit 500 KB einlegen, Load “$” ,8,1 und ab ging es und das nicht zimperlich:

Ich habe vom Flugzeug aus unzählige andere Piloten in den Tod geschickt, bin mit dem Dolch durch den Dschungel gelaufen und habe schätzungsweise 10.000 feindlichen Kämpfern die Kehlen durchgeschnitten, habe nukleare Angriffe auf Nachbarländer angeordnet, bin mit dem Panzer durch feindliche Siedlungen und über feindliche Siedler gewalzt, habe ganze Maschinengewehr-Magazine in Innenstädten verschossen und so ziemlich jede Gräueltat angerichtet, die in der verpixelten Welt der Computerspiele vergangener Tage möglich war.

Doch es kommt noch viel schlimmer. Als irgendwann der C64 durch einen 286er, einen 386er oder später durch die ersten Pentium-angetriebenen Modelle ersetzt wurde, ging der Blutrausch erst so richtig los. Ich habe in Duke Nukem Feinde mit dem Raketenwerfer niedergewalzt, manche davon waren meine besten Freunde – Multiplayer-Modus sei Dank, denn ich wusste: Nobody steals our chicks and lives. Ich habe in Doom geschlachtet als ob es kein Morgen gäbe, in Wolfenstein ganze Dörfer entvölkert und in Half Life eine blutige Schneise der Verwüstung durch weite Landstriche gezogen.

Und sogar als mein virtueller Bodycount in nicht mehr zählbare Bereiche vordrang, nahm das Morden kein Ende. Mit dem Sega Master System ging mein digitaler Doomsday in die Vollen. Mit Flammenwerfern, Messern, Railguns, Kanonen, Raketen, Pistolen und jedem anderen nur denkbaren Mordinstrument, habe ich die Welten zwischen Bits und Bytes heimgesucht und gotteslästerlich geschändet.

So verbrachte ich jeden Tag ein bis zwei wundervolle Stunden vor dem Bildschirm – genau diesen Zeitraum zwischen der Heimkehr aus der Schule um 13 Uhr und der Rückkehr meiner Eltern gegen 15 Uhr von der Arbeit.

Ich kann euch genau sagen was ich dann gemacht habe:

Ich habe meine Schularbeiten erledigt und bin danach raus auf die Gass um mit meinen Freunden etwas zu unternehmen. Wir sind um die Häuser gezogen, mit unseren Kreidler und Herkules Mopeds über die Feldwege gebrettert, haben unseren zweifelhaften Charme gegenüber den Dorfschönheiten zur Geltung gebracht, manchmal über den Durst getrunken und sicher das eine oder andere Mal auch Scheiße gebaut.

Was ich aber nie gemacht habe:

Ich bin niemals nach draußen gegangen mit dem Bedürfnis mit einer Panzerfaust in eine Bahnhofsunterführung zu schießen, mit einem Sturmgewehr die Menschen in der Fußgängerzone niederzumähen oder mit selbst ausgedruckten Waffen zuerst auf eine jüdische Synagoge und später auf völlig unschuldige Unbeteiligte in einem Döner-Imbiss zu feuern.

Das habe ich deswegen nie gemacht, weil ich ein ganz normaler Mensch bin, der in der Lage ist Fiktion von der Realität zu unterscheiden und der weiß das ein Computerspiel und das Leben da draußen zwei völlig voneinander getrennte Ebenen sind.

Das weiß ich und das wissen 99,9999999 Prozent aller Menschen, Computerspieler und Daddler. Wären wir nicht zu dieser simplen Abstraktion fähig, würden Modelleisenbahner irgendwann echte Züge in Menschenmassen steuern, Modellflug-Piloten ihre Maschinen in Kindergärten stürzen und Rollenspieler mit Streitäxten das Altenheim aufsuchen.

Menschen die ein Computerspiel zum Anlass nehmen im echten Leben anderen Menschen zu schaden, sie zu verletzen oder gar zu ermorden, brauchen dafür in Wahrheit kein Computerspiel. Sie haben längst im Geiste jene natürlichen Grenzen und Schutzwälle überwunden die uns zu mitfühlenden Wesen und sozialisierten Geschöpfen machen.

Laut Branchenverband Bitkom spielen rund 89 % aller Jugendlichen regelmäßig Computerspiele. Gäbe es einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen diesen Games und der Ausübung physischer Gewalt, müssten unsere Dörfer und Innenstädte längst regelmäßig Schauplätze von Schlachten und Gemetzeln sein.

Für mich wird andersrum ein Schuh daraus. Computerspiele haben mir mein ganzes Leben lang geholfen Stress abzubauen und mich zu entspannen.

Also lasst uns Gamer, Daddler und Zocker einfach in Ruhe. Dieses Land hat viele Probleme – wir sind keines davon.

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