Als die Kraichgauer die Kippen noch selber machten

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Überall in der Region erinnern alte Tabakscheunen an vergangene Tage

Was dem Einen Gold und Edelsteine, waren den Kraichgauer Bauern einst Zigaretten und Zigarren. Im 19. Jahrhundert herrschte in unserem Land der tausend Hügel mitunter bittere Armut unter den Bauern und das obwohl der Kraichgau mit seinen fruchtbaren Lössböden seit jeher als eine der großen Kornkammern Süddeutschlands gilt. Doch mit Korn war nicht immer viel zu Geld zu machen, die Forderungen der hohen Herren taten ihr Übriges und die Landflucht dünnte die Gemeinschaft stetig aus. So kam es das trotz großer Mühen mancher Landwirt dereinst am Hungertuch nagte. Doch es gab neben Obst, Wein, Kartoffeln und Rüben noch eine Pflanze, die – wenn richtig kultiviert – großes Geld versprach: Die Tabakpflanze. Schon mit kleinen Anbauflächen konnte viel verdient werden und so schossen im Kraichgau ab Achtzehnhundert Ungrad die kleinen Zigarrenfabriken aus dem Boden. Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert gab es in den größeren Orten mitunter dutzende solcher Manufakturen und fast jeder Kraichgauer Landwirt war auf die eine oder andere Weise im Tabakgeschäft. In Mühlhausen beispielsweise buhlten noch anno 1909 über zwanzig Tabakfabriken um die Gunst der rauchenden Kundschaft.

Neues Leben im Tabakschuppen

Zum Kraichgauer Wahrzeichen wurde damals der Tabaktrockenschuppen oder wie man hier kurz sagt: Die Tabakscheune. Die markanten hohen Holzgebäude mit den vielen offenen Holzlamellen an den Seiten, fanden sich dereinst in jedem noch so kleinen Weiler. Durch die  vielen Lufteinlässe sollten die frisch geernteten Blätter von ihrem rund 90 prozentigen Feuchtigkeitsanteil durch Lufttrocknung rund 75 Prozent verlieren um optimal weiterverarbeitet zu werden. Die Lamellen in der Schuppenwand konnten je nach Wetterlage und Sonnenstand geöffnet und geschlossen werden. Der charakteristische braune Farbton der Tabakblätter kommt durch den Einfall von Sonnenstrahlen ins Innere der Schuppen zustande. Die meiste Zeit des Jahres standen die Bauwerke übrigens leer – von der Ernte im Spätsommer bis zum Ende der Trocknung vergingen oft nur wenige Wochen.

Überall im Kraichgau sieht man die alten Trockenschuppen auch heute noch. Es finden sich zahlreiche davon in Kraichtal, Bad Schönborn, Weingarten, Eppingen und an vielen weiteren Standorten mehr. Heute dienen sie oft als Lagerraum – die Tabakproduktion spielt in Zeiten der internationalisierten Märkte und der großen Tabakriesen keine Rolle mehr in der Region. Doch es gibt auch Fälle in denen die hölzernen Riesen von Neuem zum Leben erweckt wurden. So steht in Neibsheim bei Bretten eine Tabakscheune der ganz besonderen Art. Der Architekt Florian Blüming hat einen der alten Trockenschuppen aus den späten Dreißigern zu einem echten Wohntraum umgebaut und dafür 2010 auch den Landesdenkmalschutzpreis erhalten. Die Scheune kann übrigens als Ferienunterkunft gemietet werden.

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