Sie sind die heimlichen guten Geister unserer Kliniken – ehrenamtliche Helferinnen und Helfer bringen sich mit ihrem Herzen, ihren Händen und ihren offenen Ohren dort ein, wo in der Dichte des medizinischen Alltags oft Zeit und Raum für zwischenmenschliche Wärme fehlen.
von Stephan Gilliar
Ganz Deutschland diskutiert verbissen über die Krankenhausreform, über steigende Kosten im Gesundheitswesen, über Krankenkassenbeiträge, über Effizienz, Einsparungen und Rentabilität. Eine wichtige Diskussion, stehen wir doch vor der grundsätzlichen Frage: Was ist uns als Gesellschaft ein gut aufgestelltes Gesundheitswesen wert? Welchen Wert messen wir der Medizin, jenen, die sie ausüben, der Gesundheitsfürsorge und der Pflege künftig bei?
Der Diskurs darüber findet im Wesentlichen auf der Sachebene statt: Es geht um handfeste Zahlen, um die Finanzierung des Systems. Dabei wird allzu leicht vergessen, dass in Krankenhäusern keine Maschinen gewartet oder repariert werden – hier werden Menschen behandelt. Menschen mit individuellen Bedürfnissen, ihren höchst eigenen Geschichten, ihren Sorgen und Ängsten. Es mag budgetär nachvollziehbar sein, die Kapazitäten eines Arztes oder einer Pflegekraft hinsichtlich ihrer Auslastung effizient auszutarieren, doch wo bleibt eingedenk all dieser wegrationierten Lücken der Raum für grundlegende menschliche Bedürfnisse, wie der Wunsch, sich auszutauschen, Zuspruch zu erhalten, gehört zu werden?
Die bittere Wahrheit ist: Das System kann das einfach nicht leisten. Kein Arzt, keine Schwester und kein Pfleger hat die Zeit, sich länger zu den Patienten zu gesellen, über ihre persönlichen Themen und Anliegen abseits der konkreten medizinischen Behandlung zu reden. Ganz sicher würden sie sich viele von ihnen wünschen, über diese Kapazitäten zu verfügen – keine Frage – doch so funktioniert das Gesundheitswesen schon längst nicht mehr. Die Gründe dafür sind vielfältig, doch allen voran kann die Ökonomisierung des Gesundheitssystems als zentrale Ursache genannt werden. Die Einführung der Fallpauschalen vor rund 20 Jahren, der um sich greifende Personalmangel, die steigende Bürokratie, der demografische Wandel und natürlich die Zentralisierung der medizinischen Versorgung nebst Schließung kleinerer Krankenhäuser haben dazu beigetragen, dass auch im Gesundheitswesen der Leitsatz „Zeit ist Geld“ Einzug gehalten hat.
Sie dürfen sich sicher sein: Niemand, der ernsthaft einen Heilberuf ausübt, hat Interesse daran, die Zeit der Patienten nach ökonomischen Gesichtspunkten zu betrachten, doch wer das nicht tut, bleibt zweifelsohne auf der Strecke. Das betrifft den niedergelassenen Mediziner genauso wie die Krankenhäuser. Der Kostendruck und die immer enger politisch gesteckten Leitplanken lassen einfach keine andere Wahl. Auch wenn ein Arzt seinem Patienten gerne zuhören würde, ihn gerne auch in zwischenmenschlicher Hinsicht ganzheitlich behandeln würde, lässt ihm das System dafür einfach keine Zeit. Es wird nach Fallpauschale abgerechnet – ein System, das geradezu dazu zwingt, möglichst viele Patienten in kurzer Zeit zu behandeln, um unterm Strich gerade so auf die Kosten zu kommen. Das ist nicht ideal, dennoch Realität in der medizinischen Versorgung Deutschlands im Jahr 2024.
Um die emotionale Betreuung der Menschen im Krankenhaus zu gewährleisten, braucht es also andere, die sich dazu bereit erklären. Freiwillige Helferinnen und Helfer, die ehrenamtlich dem Bedürfnis der Patientinnen und Patienten nach Unterstützung und Zuspruch Rechnung tragen. Keine leichte Tätigkeit, so viel ist sicher, denn wer im Krankenhaus landet, hat dafür schließlich einen handfesten Grund, nicht selten einen mit durchweg ernstem und hin und wieder auch traurigem Hintergrund. Oft verbergen sich dahinter persönliche Schicksalsschläge, Verletzungen oder schwere Erkrankungen. Wer in einer solchen Situation in die Klinik kommt, braucht mehr als nur ärztlichen Beistand. Es braucht Zuspruch, Beistand oder ganz allgemein etwas menschliche Empathie.
An den beiden regionalen Kliniken, der Fürst-Stirum-Klinik Bruchsal und der Rechbergklinik in Bretten, gibt es insgesamt fünf ehrenamtliche Helferinnen, die sich genau dieser wichtigen und bedeutungsvollen Aufgabe verschrieben haben. Sie sind da, stehen zur Seite, hören zu und helfen, wo sie können. Am längsten ist Erika dabei: Seit 1988 hilft sie in der Bruchsaler Klinik aus. Mehrfach pro Woche kommt sie aus Untergrombach nach Bruchsal, um Patienten zu besuchen, mit ihnen zu sprechen, sie auf Spaziergängen zu begleiten, kleine Besorgungen für sie zu erledigen oder ihnen ganz einfach Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen – Ressourcen, die in unserer hektischen und ich-zentrierten Welt keineswegs mehr selbstverständlich sind. „Man muss das Bedürfnis des Patienten spüren und sich danach richten – egal, wie lange es dauert“, weiß Erika genau. Alles, was sie in der Klinik tut, was sie hier gibt, kommt von ganzem Herzen, ist absolut freiwillig und an keinerlei Gegenleistung geknüpft. Erika ist einfach da – nicht nur physisch, sondern präsent mit all ihren Sinnen und bereit, bis dahin völlig Fremden ihre ganze Aufmerksamkeit zu schenken. „Ich höre einfach zu, und manchmal reicht das schon. Manchmal sprudelt es aus den Patienten heraus, und dann lasse ich sie reden.“
Reden und gehört werden – das ist für viele Patienten absolut essenziell in der Situation, in der sie sich im Krankenhaus befinden. In Ungewissheit, nicht selten in Sorge, manchmal auch in Angst. Selbst wenn jemand reflexhaft zunächst ein Gespräch ablehnt, bleibt Jutta, die seit einem Jahr als ehrenamtliche Helferin in Bruchsal arbeitet, immer noch einen Moment stehen – ein Moment, der oft ausreicht, um dann doch noch die Schleusen zu öffnen und die Worte fließen zu lassen. „Es ist oft nur ein kleiner Moment, der alles verändert. Eine Hand, die man hält, ein Blick, der Verständnis zeigt.“ Diese Gespräche müssen keinen konkreten Zweck, kein direktes Ziel verfolgen. Es geht einfach um etwas Austausch und darum, das Gefühl zu vermitteln: Du bist nicht allein. „Ich musste lernen, dass ich nicht immer Antworten habe. Manchmal reicht es, einfach da zu sein“, sagt Jutta, und ihre ehrenamtlichen Mitstreiterinnen nicken unisono. „Manchmal treffe ich Patienten, die nur jemanden brauchen, der sie anschaut und wahrnimmt. Das reicht“, bekräftigt auch Christa, früher Gewerkschaftssekretärin, heute im Ruhestand und als ehrenamtliche Helferin in der Rechbergklinik Bretten tätig. Sie weiß auch, es ist ein Geben und Nehmen, keine Einbahnstraße, sondern ein echter Austausch, von dem auch die Helfenden profitieren können. „Man fragt sich oft: Wie würde ich in dieser Situation reagieren?“, sagt Christa und meint damit die oft schwierige Lage, in der sich die Patienten befinden. „Es macht einen nachdenklich und reifer.“
Dabei ist es aber auch wichtig, die eigenen Bedürfnisse und die eigenen Kraftreserven nicht aus dem Blick zu verlieren, das wissen die ehrenamtlichen Helferinnen genau. Erika kann sich noch sehr gut an die Begegnung mit einem Patienten erinnern, der sie äußerst direkt, aber auch aufrichtig gefragt hat: Sind Sie ein seelischer Mülleimer? Als Erika nach kurzem Nachdenken „Ja, vielleicht“ zur Antwort gab, entgegnete der junge Mann: Und wer ist Ihrer? Eine kluge, berechtigte Frage, denn auch die Helfer brauchen manchmal Hilfe und Unterstützung. Das wissen auch die Verantwortlichen an der Fürst-Stirum-Klinik genau. Lisa Müller, seit Kurzem Direktorin für Pflege- und Prozessmanagement, und ihre Referentin Susan Sticha haben die Bedürfnisse und die Verfassung ihrer freiwilligen Helferinnen im Blick. In regelmäßigen Treffen spricht man miteinander, sucht den Austausch, um sich im Team gegenseitig zu bestärken und zu unterstützen. Und wenn es nur ein gemeinsamer Kaffee und ein Stück Kuchen ist – es sind der Austausch und das Zwischenmenschliche, die den Unterschied machen. Das funktioniert nicht nur in Bezug auf die Patienten, sondern auch untereinander im Team.
Wie wichtig die Arbeit der ehrenamtlichen Helferinnen ist, kann gar nicht oft genug betont werden. Dies wird von vielen Studien und Untersuchungen ganz klar unterstrichen. So kam der Deutsche Ethikrat bereits zu dem Schluss, dass Ehrenamtliche in Krankenhäusern zur Verbesserung der Patientenversorgung beitragen, indem sie emotionale Unterstützung bieten und damit das Wohlbefinden der Patienten fördern. In einer weiteren qualitativen Studie wurde die Kluft zwischen medizinischen Ansprüchen und ökonomischen Realitäten im Krankenhaus untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass ehrenamtliche Helfer eine wichtige Rolle spielen, indem sie die Lücke füllen, die durch ökonomische Zwänge entsteht, und somit das Patientenwohl unterstützen. Diese Erkenntnisse sind nicht neu, sondern werden schon seit vielen Jahrzehnten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen umgesetzt und aktiv gelebt. Das geht zurück bis auf die sogenannten „Pink Ladies“ in den USA, die den „Grünen Frauen“ in Deutschland als Vorbild dienten. Letztere wurden bereits 1969 von Brigitte Schröder, Ehefrau des damaligen Bundesverteidigungsministers Gerhard Schröder (nicht mit dem Altkanzler verwandt), ins Leben gerufen. Doch egal, ob pink oder grün – die Farbe leitet sich übrigens von den Farben der Kittel ab –, der Auftrag ist immer derselbe: zuhören, unterstützen, einfach da sein.
Den ehrenamtlichen guten Seelen der beiden Kliniken gilt es an dieser Stelle, Dank zu sagen und ungeteilte Wertschätzung auszudrücken. Ihre Aufgabe ist nicht weniger wichtig als die aller anderen, die tagtäglich im Krankenhaus ihr Bestes geben. Sie sind keine emotionalen Mülleimer, sondern vielmehr Leuchtfeuer in der Brandung, wenn um sie herum kleine und große Stürme toben. „Die Ehrenamtlichen sind eine unersetzliche Ergänzung – sie kümmern sich um die Seele der Patienten, während wir uns um den Körper kümmern“, wissen Lisa Müller und Susan Sticha genau. Sie würden sich daher nichts mehr wünschen als mehr Freiwillige, die sich dieser ehrenvollen Aufgabe widmen. Gerade fünf von ihnen gibt es derzeit an beiden Häusern der RKH in der Region, vier in Bruchsal und Christa als One-Woman-Show in Bretten. Bislang besteht das Team ausschließlich aus Frauen – Männer wären eine schöne Ergänzung, sind aber ganz offenkundig Mangelware. Wer sich also vorstellen könnte, Mitmenschen im Krankenhaus nur durch die eigene Nähe, die eigene Präsenz zu unterstützen, ihnen die eigene Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen, der ist jederzeit herzlich und hoch willkommen. „Das Ehrenamt ist mehr als Arbeit – es ist Menschlichkeit pur. Es berührt und verändert uns“, möchte Erika all jene bestärken, die sich vorstellen könnten, sich dieser Aufgabe zu widmen. Es braucht dafür keine Qualifikation, keine Voraussetzungen, keine Prüfungen oder Ähnliches – einfach etwas menschliches Mitgefühl und die Bereitschaft, die eigene Wärme mit anderen zu teilen.
Ehrenamt ist ein gute Sache , wird aber gerne als billige Arbeitskraft zum Geschäftsmodell in allen Einrichtungen ausgenutzt und natürlich haben diese Arbeitskräfte mehr Zeit als die Hauptamtlichen und hören auch zu !? Das ist eine verkehrte Welt, auf der Grundlage der Ökonomie, wo der Mensch auf allen Ebenen verliert ! Dieser Trend wird sich noch verschärfen , bis der Ehrenamtliche selber zum Bedürftigen wird . Profit kommt überall vor Nächstenliebe 😉. Ein Schwenk aus der Realität 🥴