Die Kerwe in Zeutern zaubert Fröhlichkeit und Farbe in den trist-grauen November.
Himmel, was hat dieser Samstag gutgetan. Sonnenschein von früh bis spät im Kraichgau, eine lichtdurchflutete Insel inmitten der nebeligen Grautöne des Novembers. Ein kurzer Gruß der Sonne, schon am nächsten Morgen wieder das vertraute Bild, das uns im Grunde durch den ganzen Kraichgauer Herbst begleitet: ein farbloses Stillleben, das bei vielen aufs Gemüt schlägt. Doch wenn sich das Licht rar macht, rücken wir Menschen eben näher zusammen, suchen die dringend nötige Wärme im Miteinander. Nach all den Hiobsbotschaften der vergangenen Woche offenbar ein tiefes Bedürfnis. Anders lässt sich der enorme Zuspruch der diesjährigen Kerwe in Zeutern nicht erklären. Hunderte von Besuchern zog es an diesem Sonntag in das kleine Weindorf, das bekannt ist für seine herzlichen, familiären Feste, deren Enge gleichzeitig ihre Stärke ist.
Dicht an dicht standen die Menschen beieinander, drängten sich zwischen den unzähligen Ständen der vielen engagierten Ortsvereine. Alle sind sie traditionell bei der Kirchweih dabei, schenken den ersten Glühwein der Saison aus, braten Steaks und Würste, bieten Selbstgemachtes zum Kauf an und sorgen mit kleiner und großer Kunst für schöne Unterhaltung. Das Umzugskomitee „Zaidama Fastnacht“, der Musikverein Zeutern, der Schützenverein KKS St. Martin, die Woischlaich & Friends, der Hundesportverein Ubstadt-Weiher, der SV Zeutern … wenn Zeutern seine traditionelle Martinikerwe feiert, sind einfach alle am Start. Dann zieht es alle auf den Oberdorfplatz: Eltern, Kinder, Großeltern … die Zeidama Kerwe ist ein Fest für die ganze Familie. Ein funkelndes, buntes Stück Wärme mitten im feucht-kühlen Kraichgauer Herbst.
Das ist mittlerweile längst kein Geheimnis mehr: Das eigentlich nur ein paar Hundert Seelen starke Dörfchen verdoppelt und verdreifacht an diesem speziellen Tag seine Einwohnerzahl. Alle wollen dabei sein, alle wollen noch einmal fröhlich feiern, bevor aus dem Herbst allmählich der Winter wird. Denn die Kerwe in Zeutern ist mehr als eine heiße Wurst und eine Fahrt im Karussell – sie ist etwas durch und durch Lebensbejahendes. Das wird spätestens um 16:00 Uhr allen klar, wenn sich zum ersten Mal in der jungen Kampagne die „Weihermer Schneckenschleimer“ mit lauter Guggenmusik ihren Weg durch das dichte Gedränge der Menschen bahnen und dabei laut schmetternd fröhliche Lieder aus dem Repertoire der fünften Jahreszeit zum Besten geben. Dann gibt es auf dem Oberdorfplatz kein Halten mehr, alle schunkeln, und auf allen Gesichtern steht ein breites Lächeln.
Die Schneckenschleimer sind übrigens nicht die einzigen, die an diesem Tag für musikalische Unterhaltung und ein paar warme Klänge sorgen. Auch die Sängervereinigung Zeutern, der Musikverein mit den Edelweißmusikanten sowie die fünfköpfige Dixie-Combo vertrieben mit ihren Songs das herbstliche Grau aus Zeuterns bunter Ortsmitte. Überall war in selbiger etwas geboten, etwa ein paar Meter weiter am Stand des Deutschen Roten Kreuzes im Hof des alten Rathauses, im neu eröffneten Secondhandladen im ehemaligen Modehaus Michenfelder oder auch im erst jüngst an den Start gegangenen kleinen Selbstbedienungsladen der Tante M in der Volksbank.
Nur eine Sache war dann aber doch anders, das erste Mal in der Geschichte der Kerwe. An die große Lücke, die das abgerissene Häuserensemble einschließlich des alten Feuerwehrhauses offenbarte, musste man sich erst einmal gewöhnen. Statt der vertrauten Mauern bildete der gelbe Bagger auf seinem Schutthaufen den optischen Abschluss des Oberdorfplatzes. Doch keine Sorge: Hier wird in den nächsten Monaten Zeuterns neue Ortsmitte entstehen, unter anderem ein neuer Kindergarten, Arztpraxen und, angedacht, auch Raum für Gastronomie und Dienstleistungen. Doch auch wenn sich die Szenerie etwas wandelt, eine Sache bleibt in Zeutern immer beim Alten und ist unverhandelbar: Die Martinikerwe war, ist und bleibt Zeuterns Antwort auf jedweden Herbst-Blues.