Immer schneller verschwinden immer mehr Apotheken aus unseren Städten und Dörfern. Anders als in vielen anderen Branchen kann der Onlinehandel dieses Loch nicht schließen.
Es gibt viele Berufe, von denen wir ein äußerst schräges Bild im Kopf haben. Archäologen beispielsweise durchstöbern ständig uralte Ruinen, kämpfen dabei gegen ledergesichtige Widersacher, attraktive Piloten fliegen mit einem verwegenen Lächeln die Herzen der Frauen zu, Ärzte sind Halbgötter in Weiß, und Apotheker sind durch die Bank weg stinkreiche Schnösel. So bekannt diese Klischees auch sind, so falsch sind sie auch. Ute Wuchterl beispielsweise ist Apothekerin, und auf meine Frage hin: „Frau Wuchterl, sind Sie reich?“, muss sie schallend lachen und antwortet nur: „Ja, reich an Erfahrung.“
Als Apothekerin gehört Ute Wuchterl zwar noch nicht zu einer aussterbenden Art, aber zumindest zu einer, die derzeit auf dem Rückzug ist. Die Zahl der Apotheken in Deutschland sinkt nämlich seit Jahren – und zwar deutlich. Seit Jahresbeginn mussten circa 400 Apotheken schließen, was einem Rückgang von über 2 Prozent entspricht. Ende September gab es deutschlandweit nur noch rund 17.000 Apotheken, etwa 4.000 weniger als noch 2010. Man darf sich sicher sein: Wäre diese Branche weiterhin eine Brutstätte für Goldesel, so würde diese Zahl nicht derart rapide sinken.
Apotheker wird man auch nicht mal schnell nebenbei, die Ausbildung ist durchaus mit der eines Mediziners zu vergleichen. Sie besteht aus einem vierjährigen Pharmaziestudium, einem achtwöchigen Praktikum, einer einjährigen praktischen Ausbildung und einer dreiteiligen Abschlussprüfung, die es in sich hat. Man sollte ein Händchen für Chemie haben, denn besonders der naturwissenschaftliche Aspekt der Ausbildung hat es in sich.
Aber am Ende verdient man doch einen Haufen Geld, oder etwa nicht? Jeder kann sich doch an die Apotheker seiner Kindheit erinnern, die alles andere als schlecht situiert waren. „Ja, das war so, aber Anfang/Mitte der 90er wurde das eingeführt mit den Festbeträgen, also diese Absprachen zwischen Krankenkassen und Herstellern, und das hat gravierende Einschnitte gebracht“, erzählt Ute Wuchterl, die seit 34 Jahren Apothekerin ist. „Und dann kamen immer über die Jahre weitere Vorgaben von der Regierung oder von der Krankenkasse dazu. Letztendlich sieht es jetzt so aus, dass wir praktisch auf dem Niveau von 2004 sind mit der Vergütung. Und das müsste eigentlich jedem einleuchten, dass das nicht möglich ist“, führt die selbstständige Unternehmerin mit eigener Apotheke in Ubstadt-Weiher weiter aus.
Nicht dass wir uns missverstehen, weder nagt Ute Wuchterl am Hungertuch, noch lässt sich mit einer Apotheke kein Geld mehr verdienen. Aber es ist eben längst nicht mehr der attraktive Beruf, der es einmal war. Nicht ohne Grund sehen immer mehr Menschen vom aufwändigen Studium, der extrem bürokratischen Arbeitsbelastung und den im Gegenzug eher mäßigen Verdienstmöglichkeiten ab. Auch die von Gesundheitsminister Karl Lauterbach angedachte Lockerung der Regeln, wonach in jeder Apotheke immer ein studierter Apotheker stehen muss, sieht Ute Wuchterl kritisch. Denn auch die sogenannten PTA, die pharmazeutisch-technischen Assistenten, wachsen nicht auf Bäumen. Eine ihrer Freundinnen ist in der Ausbildung tätig und berichtet von immer kleiner werdenden Klassen.
Hinzu kommt, dass in diesen Light-Apotheken komplexe Medikamente wie beispielsweise BTM (Betäubungsmittel) eben nur dann abgegeben werden dürften, wenn ein Apotheker zugegen wäre. Also nur an wenigen Tagen pro Woche. „Das nützt mir aber nichts, wenn ich am Dienstag extreme Schmerzen habe, aber auf die Medikamente bis Montag kommende Woche warten muss.“
Warten auf Medikamente ist übrigens auch immer noch ein valides und zentrales Argument, das gegen Versandapotheken spricht. Wenn Not am Mann ist und ich ein Medikament jetzt gleich, heute und sofort brauche, habe ich eben nicht die Möglichkeit, auf dem Postweg darauf 2–3 Tage zu warten, oder bei Auslastung der Paketdienste gegebenenfalls noch länger. Wirklich sparen kann ich bei verschreibungspflichtigen Medikamenten online sowieso nicht, deren Preisgestaltung unterliegt klaren gesetzlichen Rahmenbedingungen, an die sich alle Apotheken halten müssen, egal ob online oder offline.
Eine Apotheke verdient ihr Geld hauptsächlich durch eine fixe Pauschale von 8,51 Euro und eine 3%ige Handlungspauschale pro verkauftem rezeptpflichtigen Medikament, abzüglich Rabatte an die Krankenkassen. Hochpreisige Medikamente sind durch eine Deckelung begrenzt, und zusätzliche Einnahmen kommen durch Botendienste und den Verkauf frei verkäuflicher Produkte. Besonders bei Letzterem hat sich längst herumgesprochen, dass man online dabei reichlich Geld sparen kann. Bei diesen beliebten Produkten sind durchaus große Preisdifferenzen möglich. Das betrifft beispielsweise klassische Erkältungsmedikamente oder eben all das, was im Alltag bei kleineren Erkrankungen und Wehwehchen wichtig, traditionell aber nicht rezeptpflichtig ist.
Um eine Apotheke mit Leidenschaft zu führen, braucht es für Ute Wuchterl vor allem eines: Liebe zum Beruf und auch zu den Menschen. Lange Gespräche, intensive Beratungen, die Überprüfung von Einnahmeplänen, die Auslieferung per Auto – all das ist zeitintensiv, so dass man die realen Kosten am besten gar nicht erst gegenrechnet. Was die erfahrene Apothekerin aber am meisten stört, ist die immer weiter überbordende Bürokratie. Mittlerweile verbringt sie mehrere Stunden pro Tag am Rechner, um den „Papierkram“ zu erledigen, ellenlange Dokumentationspflichten, ein chronisches Rechtfertigen gegenüber Leistungsträgern und Krankenkassen… Zeit, die Ute Wuchterl am Ende für die Betreuung der Kundschaft fehlt. Um ihre Nikolaus-Apotheke weiter adäquat betreiben zu können, braucht sie daher ein großes Team, damit die vielen Aufgaben auf mehrere Schultern verteilt werden können. Zu acht arbeiten sie derzeit am Kirchplatz in Weiher, das reicht gerade so. Dennoch steht Ute Wuchterl jeden Tag rund 12 Stunden in ihrer Apotheke, hat manchmal gar das Gefühl, hier zu wohnen. Hin und wieder tut sie das übrigens auch, besonders dann, wenn sie Notdienst hat. Dann schläft sie tatsächlich in der Apotheke, liegt mit einem Ohr wach, um auf das Klingeln an der Tür oder des Telefons immer reagieren zu können.
Ja, eine Apotheke hat einen Versorgungsauftrag, ersetzt bei kleineren Beschwerden mitunter sogar die Hausärzte, deren Zahl auf dem Dorf auch immer weiter sinkt. Besonders für die Älteren ist die Apotheke essenziell wichtig, denn mit dem Alter steigen die Beschwerden und der Bedarf enorm an. Nach unserem Gespräch betritt eine ältere Frau die Nikolaus-Apotheke, stützt sich dabei auf ihren knorrig-hölzernen Stock, während ihr ebenso alter Mann im Auto auf sie wartet. Wie es für sie wäre, würde die Apotheke schließen, möchte ich von ihr wissen. Da wirft sie die Hände in den Himmel, rollt die Augen und sagt nur: „Fatal. Alles ist hier direkt ums Eck, der Doktor und auch die Apotheke, ich wüsste nicht, was ich machen sollte, wenn das weg wäre.“ Tatsächlich hat einer der Allgemeinärzte in Weiher die Praxis bereits geschlossen, der Kollege viele der heimatlosen Patienten aufgenommen, doch unendlich oft geht das nicht. Die immer weniger werdenden Landärzte können nicht die enormen Ausfälle ihrer einstigen Kollegen kompensieren. Ebenso wenig können das die Apothekerinnen und Apotheker; schon heute versorgt statistisch gesehen einer von ihnen über 4.000 Menschen.
Wie das wieder anders werden könnte, möchte ich abschließend von Ute Wuchterl wissen. Ihre Antwort überrascht nicht wirklich. Zum einen müsse der Beruf einfach wieder attraktiver werden, damit der potenzielle Nachwuchs es wieder als lohnend betrachtet, Studium und Ausbildung zu durchlaufen. Und das geht eben nur mit einer Erhöhung der Vergütung und vor allem einer Reduzierung der Bürokratie. Sollte sich das nicht ändern, könnte der karminrote Buchstabe A, der über jeder Apotheke in Deutschland hängt, in mehr und mehr Fällen nicht mehr für „Apotheke“ stehen, sondern schlicht und einfach für „Aus und Vorbei“.
Ich würde sagen , dass soziale Leben verschwindet, das gleiche ist es mit der richtigen Gastro, Cafés, gute Bäcker wo man noch so nennen darf , genau wie die Metzgereien. Ubstadt ist nur ein Beispiel von diesem Trauerspiel an der B3