Im Flachland joggen kann jeder, aber in den Kraichgauer Hügeln ist das Laufen noch gute alte Schinderei.
von Stephan Gilliar
Der Sport und ich – das ist, kleiner Spoiler vorweg, keine klassische Liebesgeschichte. Während der Schulzeit in Eppingen nannte mich der leicht sadistisch veranlagte Sportlehrer vor versammelter Mannschaft einen schlaffen Mehlsack, mein Hausarzt attestierte vor meiner Mutter, der junge Mann sei etwas lasch, und die Ergebnisse meiner Musterung bei der Bundeswehr würden einem die Tränen in die Augen treiben. Ich war immer mehr der Träumer, derjenige, der sich mit einem Buch irgendwo vergrub und körperliche Anstrengung scheute wie der Teufel das Weihwasser. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich war immer gerne draußen, bin mit unserer Hündin stundenlang durch die Gegend gestreift, aber eben immer gemütlich, ohne Druck und Eile.
Mein Leben lang habe ich nach der richtigen Sportart gesucht – eine Form der Bewegung, die mich erfüllt und abholt, die ich nicht andauernd erzwingen muss. Der tägliche Kampf gegen den inneren Schweinehund ist für mich kein erstrebenswerter Zustand. Probiert habe ich vieles. Schwimmen macht Spaß, dafür muss man aber entweder ins Schwimmbad oder an den See fahren. Mannschaftssport hingegen macht keinen Spaß; die zerbrochenen Brillengestelle kann ich schon gar nicht mehr zählen. Alles, was mit Schnelligkeit und Geschicklichkeit zu tun hat, scheidet bei mir hoffnungslosem Grobmotoriker von vornherein aus, und für Kampfsport bin ich zu kontaktscheu.
Nein, Sport ist nach meinem Dafürhalten etwas Persönliches, etwas, das ich gerne alleine mache. Dazu muss es draußen sein… das Rudergerät in meinem Keller, auf dem ich eine Zeit lang jeden Tag die Kellerwand angestarrt habe, verstaubt inzwischen ungenutzt. Tatsächlich habe ich vor ein paar Jahren das Laufen für mich entdeckt, etwas, das ich bei meinen über 100 Kilo bei knapp 2 Metern Körpergröße niemals in Erwägung gezogen habe. Doch obwohl mir der Hausarzt aufgrund meiner Körpermasse davon abgeraten hat und obwohl mein Orthopäde angesichts meines angerissenen Meniskus Gleiches ans Herz legte, laufe ich doch seit einiger Zeit glücklich und zufrieden durch die Gegend.
Das Laufen beruhigt meinen unruhigen Geist jedes Mal. Der Körper ist mit einer gleichförmigen Bewegung beschäftigt und zwingt mein sonst so rastloses Gehirn in eine ebenso monotone Gangart. Man spürt den Boden unter den Füßen, sieht die Landschaft an sich vorbeiziehen, wird ein Teil davon. Das Herz schlägt in der Brust, straff und gleichmäßig fließt der Atem… Obwohl man viel schneller unterwegs ist als normalerweise, läuft die Zeit aus irgendeinem Grund dagegen langsamer.
Am Anfang habe ich beim Joggen noch eine Sportuhr getragen, um meine Fortschritte zu dokumentieren und auszubauen. Das Ganze hat mich irgendwann aber derart gestresst, dass ich das Teil einfach weggeschmissen habe. Permanent wurden die Anforderungen nach oben geschraubt, immer wurden Vergleiche angestellt, bewertet und motiviert. Also das genaue Gegenteil dessen, was ich am Joggen liebe.
Das Vergleichen, das sich Messen ist ohnehin etwas, dessen Sinnhaftigkeit ich zu bezweifeln wage. Wenn ich für mich ein angemessenes Tempo und eine angemessene Strecke gefunden habe, warum sollte ich das Ganze dann immer weiter ausbauen? Ich möchte schließlich keine Wettbewerbe gewinnen. Wobei, ganz immun bin ich dagegen nicht, das gebe ich offen zu. Etwa zeitgleich mit mir hat ein guter Kumpel mit dem Laufen begonnen. Wir stehen zwar nicht wirklich miteinander in Konkurrenz, doch gibt es bei jedem Treffen beiläufig Bemerkungen darüber, wie oft man läuft, wie schnell man läuft, wie niedrig der Ruhepuls ist, der VO2-Wert und so weiter und so fort… Dabei ist er immer etwas häufiger unterwegs und hat über die Strecke immer etwas konstantere Werte als ich – das nagt dann schon etwas am eigenen Ego. Der Mensch neigt eben dazu, sich zu vergleichen und sich zu messen.
Neulich kam mir jedoch die Eingebung, dass seine Werte zwar die besseren sein mögen, ich aber dennoch Sieger der Herzen bleibe. Warum? Weil ich im Kraichgauer Hügelland jogge. Während mein Kumpel unten im Flachland zwischen Bruchsal und Hambrücken auf völlig ebenem Terrain und gleichmäßigem Boden seine Runden dreht, führt meine Route teilweise steil die Hügel hinauf, über unebenen Waldboden, Stock und Stein, furchige Feldwege und ausgewaschene Hohlen. Macht das einen Unterschied? Auf jeden Fall. Es ist etwas anderes, im gleichmäßigen Karomuster der Hambrücker Waldwege seine Quadrate abzulaufen, als in Oberöwisheim die Galgenhohle hinaufzurennen. Natürlich ist das so, dafür muss man weder Mediziner noch Wissenschaftler sein. Joggen in hügeligem Gelände verbrennt deutlich mehr Kalorien als auf flachen Strecken, da die Steigungen das Herz-Kreislauf-System stärker fordern, mehr Muskeln aktivieren und Stabilität und Balance trainieren. Und genau dieser Umstand führt eben zu der wenig überraschenden, aber dennoch zu verinnerlichenden Wahrheit: Wir Kraichgau-Jogger sind einfach die Harten im Garten.
Auch müssen wir unser Licht nicht unter den Scheffel stellen, was die psychische Komponente angeht. Es ist einfacher, den viel zitierten Schweinehund zu überwinden, wenn man im Flachland ganz gemütlich „anfahren“ kann, als wenn es gleich zu Beginn der Strecke reichlich Höhenmeter zu schlucken gilt. Ich zum Beispiel wohne ganz oben auf einem Hügel. Wenn man von hier aus zu Fuß oder mit dem Fahrrad startet, geht es zwar zuerst einmal bergab, doch wenn man irgendwann wieder zurück nach Hause möchte, ist der Aufstieg eben alternativlos. Das ist eine erstaunliche Erkenntnis aus der spannenden Welt der Physik, die Sie heute und hier ganz gratis von mir erhalten. ;-)
So ist es! Wer im Hügelland lauft, der lässt bei Wettbewerben im Flachen alle stehen!