…und an der Ecke brennt noch Licht

|

Seit 35 Jahren ist das Gran Caffè ein vertrautes Stück Beständigkeit in einer Stadt, die sich seither grundlegend verändert hat.

Als Ruggero sich Mitte der Achtzigerjahre das erste Mal das Caffè an der Ecke Pfeilerstraße und Friedrichstraße ansah, gaben dessen große Fenster noch den Blick auf ein anderes Bruchsal frei. Gegenüber prangten noch die ineinander verdrehten “S” an der silberglänzenden Fassade des Kaufhauses Schneider, davor gluckerte der nierenförmige Springbrunnen, den die Bruchsaler nur das “Thing” nannten. Die Stadt war lebendiger, geselliger als sie es heute ist, daran erinnert sich Ruggero noch gut. “Auf den Straßen war immer etwas los, am Abend saß man bis weit nach Einbruch der Dunkelheit zusammen und ließ die Füße in den Brunnen hängen,“ erzählt er von seinen ersten Jahren in Bruchsal. Mit 18 Jahren kam er damals das erste Mal nach Deutschland und verdiente sich in der Eisdiele eines Freundes in Waibstadt über die langen italienischen Sommerferien etwas dazu. Ein Italiener, der in Deutschland in der Eisdiele arbeitet… ein Klischee, das weiß Ruggero genau, und dennoch hat ihm genau das unheimlich viel Spaß gemacht. Nach dem Studium der Önologie in seiner Heimatstadt Conegliano, gelegen in der Hügellandschaft der Provinz Treviso im Norden Italiens, zog es ihn bereits kurze Zeit darauf zurück nach Deutschland – dieses Mal dauerhaft. In der Eisdiele seines Freundes, der mittlerweile auch in Stuttgart Fuß gefasst hatte, lernte er das Handwerk und die Branche von Grund auf kennen.

Ein paar Jahre später bot sich über eine Bekannte aus Ettlingen die Gelegenheit, die Niederlassung des Eiscafés Pierod in Bruchsal zu übernehmen. In Bruchsal schon damals eine Institution: Seit rund 50 Jahren wird hier an der belebten Ecke Eis, Kaffee und Kuchen verkauft. “Café Abgas” war ein beliebter Spitzname, und obwohl das auf den ersten Blick nicht gerade schmeichelhaft klingt, ist doch genau der rege Autoverkehr, der sich von früh bis spät um die Kurve vor der Eisdiele schiebt, ein Grund dafür, wieso die Bruchsaler hier so gerne sitzen, weiß Ruggero genau. “Gesehen und gesehen werden… ist tatsächlich so“, sagt er und lacht. Letzteres macht er übrigens oft und gerne; er lacht herzlich, und sein ganzes Gesicht lacht mit – die italienische Lebensfreude hat er auch im manchmal etwas spröden Bruchsal nie verloren.

Von 1989 bis 2000 führte er das Caffè unter dem Namen Pierod weiter – quasi von der deutschen Wende bis zur Jahrtausendwende. Diese sollte für Ruggero viel Neues mit sich bringen. Die Ehe mit seiner ersten Frau ging auseinander, doch in Luana, bis dahin Bedienung in seinem Caffè, fand er eine neue Liebe. Die beiden heirateten und bekamen zusammen zwei Töchter. Zeitgleich endete die Ära Pierod in Bruchsal. Als neuen Namen wählten Ruggero und Luana Gran Caffè, das große Caffè. Das klingt vielleicht hoch gegriffen, doch wer schon einmal darin Platz genommen hat, findet den Namen überaus passend. Innenausstattung und Architektur des Gran Caffès entsprechen keineswegs dem eher eintönigen Stil vieler Kleinstadt-Cafés, sondern erinnern durch das edle Holz, die ineinander verschlungenen Intarsien, das Kristallglas und die Lüster vielmehr an die stolzen Kaffeehaus-Traditionen des alten Europas.

Das Gran Caffè hat etwas Erhabenes und dabei doch Behagliches und Gemütliches. Gerade jetzt, nach Einbruch der Dunkelheit, wenn das warme Licht der vielen Lampen durch die großen Scheiben auf den Asphalt des herbstgrauen Bruchsal fällt, entfaltet das Caffè seinen ganzen Charme. Für Luana die schönste Zeit des Jahres, gemütlich und kuschelig, wie sie findet. Ruggero hingegen freut sich jedes Jahr aufs Neue auf den Frühling und natürlich den Sommer – dann, wenn eine Eisdiele Hochsaison hat. Daran mag er einfach alles: das Leben auf den Straßen, die Menschen in den transparenten Lehnsesseln vor dem Caffè, die seine neuen Eissorten ausprobieren, die er zuvor in seinem Eislabor ausgetüftelt hat.

Doch nicht nur das Bruchsal um das Gran Caffè herum hat sich verändert, sondern natürlich auch die Arbeit darin. War es früher kein Problem, Saisonarbeiter zu finden, die sich während der warmen Monate im Caffè etwas dazuverdienten, ist es heute kaum noch möglich, auf diese Art und Weise zu arbeiten. Um im Sommer die Kundschaft angemessen am Platz bedienen zu können, braucht es ein Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in mehreren Schichten arbeiten. Da eine Eisdiele aber ein Saisongeschäft ist, kann das natürlich in den umsatzschwachen Monaten über den Winter nicht einfach so weiterlaufen. Nach monatelangem Rechnen und Jonglieren sowie unzähligen schlaflosen Nächten beschlossen Ruggero und Luana nach den zusätzlichen, vielen Tiefpunkten der Corona-Pandemie, ihr Caffè neu aufzustellen. Die Umstellung auf Selbstbedienung war die einzige Möglichkeit, ihr Geschäft zu erhalten, alles andere hätte einfach nicht funktioniert. “Für die Kundschaft war das eine große Umstellung, ebenso wie für Ruggero selbst. “Es gehört eben natürlich auch zur Gemütlichkeit in einem Caffè, bedient zu werden, aber für uns war das einfach nicht mehr leistbar”, erzählt Luana von dieser schwierigen Entscheidung.

Von diesem Zeitpunkt an änderte sich das Publikum im Gran Caffè spürbar. “Besonders meine Generation, die Boomer, konnten sich mit der Selbstbedienung nicht anfreunden“, erzählt Ruggero. “Die Älteren, aber auch die Jüngeren hatten damit weniger Probleme.“ Um einen neuen Kundenkreis zu erschließen, arbeiteten die beiden auch an ihrem Sortiment und bieten mittlerweile ausschließlich laktosefreies Eis an. Das wissen derzeit noch die wenigsten Kunden, aber tatsächlich gibt es im Gran Caffè nur noch Eis ohne Milchzucker. Nicht die einzige Innovation von Ruggero und Luana: Schon seit Jahren bietet das Gran Caffè, ein Alleinstellungsmerkmal weit und breit, spezielles Eis für Hunde an – ohne Zucker und so konzipiert, dass die Vierbeiner eine auf sie abgestimmte und unbedenkliche Erfrischung erhalten.

Die Umstellung auf das neue Konzept war schwierig, doch mittlerweile funktioniert alles so, wie es sich die beiden wünschen. “Ausprobieren” heißt die Devise, schauen, was geht. Das zieht sich quasi durch die ganze Geschichte des Gran Caffès. Vinothek, Bistro… Die Kaiserstraße Nummer 43 war schon vieles, doch am Ende bewährte sich immer eines: “Il gelato che piace a tutti” – Eis, das alle lieben.

Vorheriger Beitrag

Hammerharte Hügel-Jogger

Das Dreieck aus dem Achteck

Nächster Beitrag

9 Gedanken zu „…und an der Ecke brennt noch Licht“

  1. Danke für den Rückblick auf die gute alte Zeit. Pierod war einfach eine Institution. Die ich nicht vergessen habe.

  2. Wie immer sehr schön geschrieben, lieber Stephan, auch der Punkt mit DEN „Boomern“ (die geburtenstarken Jahrgänge aus den 1960ern – für die Gen Z) stimmt, zumindest für mich. Als mich Ruggero mal liebevoll anpflaumte, ich käme ja auch nur an Ostern und Weihnachten vorbei, ergänzte ich augenzwinkernd, so lange sein Gran Caffè ein SB-Café sei, werde sich daran auch nichts ändern. Darauf er entschuldigend, das werde wohl so bleiben. Für Corona war das ok. Früher das Café-Erlebnis, jetzt „Genuss“ à la Kettenbäcker-Café? Ist nicht meins! Dafür bin ich im Sommer öfter Kunde am Straßenverkaufsschalter. Weil mich da die beiden immer persönlich, humorvoll und freundlich bedienen! Und natürlich, weil das Eis von Ruggero das beste in Brusl und dem Landkreis ist!!

  3. Wir haben dort früher gerne ein Eis genascht. Es hat uns immer gut geschmeckt.
    Jedoch wurden wir vor Jahren mit unseren Ort gekauften Eistüten sehr unfreundlich des Platzes verwiesen. Die Sitzplätze im Außenbereich seien nur für Kunden, die einen Eisbecher essen. Es waren noch etliche Plätze frei. Wäre nicht so gewesen, dass ein Kunde wegen uns keinen Platz gefunden hätte.

    Das ist ein NoGo und deswegen mache ich seither eine großen Bogen um dieses Etablissement.

    • Es ist unseres Wissens nach völlig normal, dass man mit einem Eis aus dem Straßenverkauf keinen Platz auf der Terrasse besetzt. Alleine schon wegen der unterschiedlichen Steuersätze To Go vs Am Platz…

      • Sehr gute und darüber hinaus richtige Antwort. Wenn immer mehr Gäste mit einem Eistütchen die Sitzplätze belegen braucht sich niemand wundern wenn so ein Betrieb nicht mehr wirtschaftlich ist und vielleicht schließt

        • Ich bitte Sie … mal im Sommer die Eistheke beobachtet?
          Die „Eistütchen“ sind Lizenzen zum Gelddrucken.
          Leichter lässt sich Geld kaum verdienen.

          Die unterschiedlichen Steuersätze sollten den Kunden nicht scheren müssen.
          Und wenn es dem Gastronom tatsächlich bei Strafe verboten wäre, Menschen mit Eiswaffeln einen Sitzplatz anzubieten, ist ein freundlicher Hinweis doch wirklich nicht zu viel verlangt. Und auch wenn dieser Hinweis am selben Tag bereits 10-mal gegeben wurde, setzt man beim 11. Mal trotzdem wieder ein freundliches Gesicht auf, denn sonst ist man in diesem Gewerbe wirklich falsch.

          Wer jedoch Unterschiede in „gute“ und „schlechte“ Kunden macht und dies auch entsprechend zum Ausdruck bringt, braucht sich nicht wundern, dass die in seinen Augen „schlechten“ Kunden nicht mehr kommen.

  4. Vielen Dank für diesen schönen Artikel!
    Ich finde es gut, dass man hier den Weg der beiden erfahren darf. So ist für mich auch absolut klar, warum auf Selbstbedienung umgestellt wurde! Es wird alles teurer und zur Wahl stand offenbar die Selbstbedienung oder die Aufgabe.
    Ich freue mich sehr, dass es die Selbstbedienung wurde und wir noch lange sehr leckeres Eis genießen dürfen!!!

Kommentare sind geschlossen.