Vom Leben, dem Leiden und der Liebe

| , ,

„Ich wage mich in ein neues Leben“ – Wegen der Liebe zu einer Frau verlässt der katholische Pfarrer Christian Erath die Seelsorgeeinheit Forst-Ubstadt-Weiher. Es ist eine Wahl, vor die man ihn, nach Meinung dieses Autors, im Jahre 2024 niemals hätte stellen dürfen.

Eine Meinung von Stephan Gilliar

Können Sie sich noch an das erste Mal erinnern, als Sie sich brennend und unsterblich in einen anderen Menschen verliebt haben? Ich meine damit nicht verschossen oder verknallt wie ein Teenie, sondern ein ernsthaftes, erwachsenes Gefühl der Liebe, das ganz tief von innen kommt, das sich nicht wegdrücken oder ignorieren lässt, sondern mit aller Macht in Ihnen emporsteigen möchte? Es ist eine Empfindung wie eine Urgewalt, die sich manchmal schnell wie eine Welle am Strand aufbaut, manchmal aber auch ganz langsam, Stück für Stück unbeirrbar an Intensität zunimmt. Sich ihr in den Weg zu stellen, mag vielleicht mit äußerster Willenskraft eine Weile möglich sein, aber das ist weder wünschenswert noch gesund.

Wenn zwei Menschen sich lieben, dann geht das niemanden auf dieser großen weiten Welt etwas an außer genau diese beiden. Niemand hat das Recht, sich Ihnen in den Weg zu stellen, Ihnen dieses schönste aller menschlichen Gefühle durch Dogmen, Regeln, Gesetze oder moralisch-gesellschaftlichen Druck zu schmälern oder gar zu verleiden. Doch leider stellen sich auch noch heute, im Jahr 2024, in einer Zeit, die wir allgemein als aufgeklärt betrachten, große Institutionen wie Staat und Kirche oft zwischen zwei liebende Menschen. In diesem unserem Land war beispielsweise die Liebe zwischen zwei Männern lange Zeit nicht nur verboten, sondern eine Straftat nach dem Gesetz. In anderen Ländern wird eine solche Bindung sogar noch mit dem Tode bestraft. Die Todesstrafe auf die Liebe… es ist genauso absurd und erschütternd, wie es sich anhört.

Lange Zeit hat sich auch der deutsche Staat in die höchstpersönlichen und intimen Liebesbeziehungen seiner Bürger eingemischt. Meine Großeltern beispielsweise durften nicht beide als Lehrer im Staatsdienst arbeiten, ein Umstand, der auf ein weit bis in die Fünfzigerjahre noch angewandtes Gesetz aus dem Nationalsozialismus zurückzuführen war. Ein Gesetz, das Frauen aus dem Beruf und ins traditionelle Rollenbild drängen sollte. Obwohl meine Großmutter dasselbe Studium durchlaufen hatte wie mein Großvater, wurde ihr so eine Tätigkeit als Lehrerin unmöglich gemacht, noch viele Jahre nach dem Kriegsende. Der Staat zwang meine Großeltern, sich entweder für die Liebe und gegen den Beruf oder eben bevorzugt andersherum zu entscheiden.

Doch während der Staat in den letzten Jahrzehnten zunehmend liberaler wurde und seine Hausaufgaben in Sachen Menschenrechte und Gleichberechtigung gemacht hat, verharrt die katholische Kirche nach wie vor in der Vergangenheit. 1,4 Milliarden Katholiken gibt es weltweit, in Deutschland – Stand letztes Jahr – 20,3 Millionen, Tendenz stark sinkend. Wer in der katholischen Kirche als Pfarrer geweiht wird, der geht, vereinfacht gesagt, eine Beziehung mit Gott und der Kirche ein, die offenbar so allumfassend ist, dass keinerlei Platz und Raum mehr für Liebesbeziehungen zu anderen Menschen übrig bleibt. Das Zölibat, eine der großen Spielregeln in der katholischen Kirche, lässt grüßen. Eine Regel, die übrigens erst nach und nach eingeführt wurde, denn im frühen Christentum gab es keine Regeln, die die Ehe betrafen. Apostel wie zum Beispiel Petrus waren verheiratet und niemand störte das damals. Erst nach und nach wurde diese Kiste verschärft, zuerst mit einem Verbot von Sex in der priesterlichen Ehe, dann die Aufforderung an Priester, ihre Ehefrauen zu verlassen und schließlich die unmissverständliche Aufforderung von Papst Siricius, dass Priester künftig ehelos leben sollten. Seit dieser Zeit, also etwa 1500 Jahren, wurde an dieser Regelung nicht gerüttelt. Noch heute gilt das Zölibat für katholische Priester. Sie dürfen nicht heiraten, müssen enthaltsam leben.

Kommen wir an dieser Stelle zurück auf meine ursprüngliche Frage. Können Sie sich noch an diese erste große Liebe Ihres Lebens erinnern, als Sie das erste Mal für einen anderen Menschen lichterloh und hoffnungslos in Flammen standen? Ich für meinen Teil kann das noch sehr gut, erinnere mich lebhaft an die Intensität, an das Drängen und das Sehnen, an das unvorstellbare Glücksgefühl, als diese Gefühle erwidert wurden. Nichts in der Welt, keine Macht, keine höhere Instanz, keine Autorität hätte mich damals davon abhalten können, mich in diese Frau zu verlieben. Warum denn auch bitte? Was könnte denn schöner, ehrlicher und wahrer sein als die Liebe? Sie ist doch auch in der Kirche der wesentliche Grund für die Bindung der Menschen an Gott und umgekehrt. Welchen Sinn ergibt es, den eigenen Dienern, den Boten ihres Wortes, dieses göttlichste aller Gefühle vorzuenthalten?

Es ist einfach nicht recht, sie vor diese Wahl zu stellen, Priestern, die sich in einen anderen Menschen verliebt haben, die Tür zu weisen oder sie eben dazu zu bringen, diese Gefühle zu negieren, mit Macht zu verdrängen… Wann hat Verdrängung schon jemals irgendetwas Positives bewirkt?

Christian Erath, Pfarrer der Seelsorgeeinheit Forst-Ubstadt-Weiher, stand nun vor dieser Wahl und hat sich für die Liebe entschieden. In einer kürzlich veröffentlichten, viel beachteten Mitteilung teilte der Priester schweren Herzens seiner Gemeinde mit, die Seelsorgeeinheit schon Anfang dieser Woche zu verlassen und fortzugehen. Er habe den Bischof gebeten, ihn von der Leitung zu entpflichten, dieser habe der Bitte entsprochen. So ist dieser 29. Juli nun der letzte Tag von Pfarrer Christian Erath in Ubstadt-Weiher. Wie es für ihn weitergeht, steht derzeit noch in den Sternen. „Ich habe vor einiger Zeit eine Frau kennen und lieben gelernt. So stellt sich für mich als katholischer Priester die Frage nach der Berufung und dem weiteren Lebensweg. Das gilt es für mich mit intensiver geistlicher Begleitung zu klären“, offenbart sich der Pfarrer in seiner Botschaft.

Wie dieser Lebensweg aussehen könnte, darauf geben bereits die ersten Worte Christian Eraths einen klaren Hinweis: „Ich wage mich in ein neues Leben.“ Sein kirchliches Gelübde hat ihn an diesen Scheideweg gebracht, ihm die Wahl zwischen zwei Richtungen aufgebürdet, die so leicht ein und dieselbe sein könnten. Man kann sich die innerlichen Kämpfe, die im Herzen dieses ruhigen und zurückhaltenden Mannes getobt haben müssen, nur schwer vorstellen… den Schmerz darüber, dass neben der in ihm entflammten Liebe sich auch ein anderes mächtiges Gefühl zu winden beginnt, ein Gefühl, das die katholische Kirche über Jahrhunderte hinweg gepflegt und kultiviert hat: Schuld. In seiner Botschaft an die Menschen tauchen auch ein paar Worte auf, die zumindest nahelegen, dass auch dieses Gefühl eine Rolle spielen könnte: „Es tut mir leid, wenn ich etwas falsch gemacht oder jemanden verletzt habe.“

Lieber Christian Erath, Sie haben gar nichts falsch gemacht. Sie wurden vor eine Entscheidung gestellt, vor die Sie nichts und niemand stellen sollte, kein Mensch und auch nicht Gott. Nach meiner festen Überzeugung haben Sie genau das Richtige getan, das Richtige im Namen der Menschlichkeit und ganz sicher auch das Richtige im Namen Gottes. Denn welches Gefühl könnte schöner, erhabener und damit göttlicher sein als die Liebe.


Vorheriger Beitrag

Das Teilzeit-Paradies

Letzter Hafen Sinsheim

Nächster Beitrag

18 Gedanken zu „Vom Leben, dem Leiden und der Liebe“

  1. Die zusätzliche Heuchelei der Kirche ist ja, dass es allein im der Erzdiözese Freiburg mehrere Kinderheime für (außerehelich) gezeugte Priesterkinder gibt. Sex und Liebe werden gerade so toleriert, wenn Priester nicht heiraten oder die Liebe öffentlich machen. Die Folge ist aber, dass dann mit den Ergebnissen dieser Liebe unmenschlich verfahren wird. Und wie sich die „heimlichen“ Frauen dabei fühlen, will ich nicht wissen. Und das alles nur, weil die Kirche Erbstreitigkeiten mit den Familien der Priester verhindern wollte. Es gibt keinerlei biblische Begründung für den Zölibat.

  2. Ich habe den allergrößten Respekt vor diesem Mann. Jetzt sollte sich auch mal der Vatikan darüber ernste Gedanken machen, ob man nicht dieses Gesetz ernsthaft überdenken.

  3. Das ist sehr gut gesagt. Ich- und sicher auch viele andere – bin der Meinung, dass wir zumindest noch viel mehr Priester hätten, wenn diejenigen, die das Amt der Liebe wegen aufgeben mussten, noch Priester sein dürften.

  4. Ich wünsche im viel Glück in seinem neuen Leben und hoffe insändig das diese Kirche mal endlich aufwacht und mit diesem Sinlossen Unsien aufhört. Die Katholische Kirche schaft sich selbst ab wenn sie so weiter macht.

  5. Hut ab vor der Entscheidung dieses Pfarrers !! Die Liebe ist ein Geschnk Gottes an uns Menschen. Ich habe der evangelischen Amtskirche den Rücken gekehrt, denn sie rennt dem Zeitgeist hinter her. Ausschlag gebend für meine Entscheidung war die Äußerung von Frau Kurschuss, daß die eine Impfung Nächstenliebe ist. Wo steht zu dem Thema etwas in der Bibel oder bei den 10 Geboten? Das gleiche Geschwätz erleben wir zum Thema Waffenlieferungen. Ich wünsche dem Pfarrer ALLES GUTE !!!!

  6. Schade wirklich schade. Ein Mann mit dem nötigen Einfühlungsvermögen, dass heute nicht mehr selbstverständlich ist. Die Entscheidung ist klar nachzuvollziehen und logisch getroffen. Keine Heuchelei und versteckte Beziehung mit der „Haushälterin“ oder ähnliches. Hier werden Werte die eigentlich die Grundwerte des christlichen Glaubens sind wie Liebe, Familie und Ehrlichkeit bestraft. Sowas hilft bei der „Mitgliedergewinnung“ nicht wirklich. Ein ehrlicher Pfarrer hingegen schon.

  7. Hochachtung vor Diesem Priester!
    Möge ihm der Herrgott seinen Mut und seine Ehrlichkeit so belohnen und ihm und seiner künftigen Familie eine gute Zukunft schenken
    Rose

  8. Ja, es gibt sie hier und da – authentische Pfarrer – auch Pfarrerinnen -, die Mitten im Leben stehen, dadurch ganz nah an ihren Mitmenschen dran sind und so auch ein Gefühl für deren Bedürfnisse haben. Das habe ich als sehr passives Kirchenmitglied jüngst in meiner Heimatgemeinde in Mittelhessen erfahren dürfen, wo ein Pfarrer-Ehepaar gemeinsam eine evangelische Kirchengemeinde begleitet. Das ist – soweit ich das von außen beurteilen kann – total schön und hat bei mir einen sehr positiven Eindruck hinterlassen. Dieses Modell könnte der katholischen Kirche gut als Vorbild dienen und ihr helfen, die unsägliche Auffassung vom Pfarrer, für den es neben Gott nichts geben darf, endlich aufzugeben. Ich wünsche den Kirchen und insbesondere der katholischen, dass sie sehr bald die Kurve bekommen und Leben und Lieben vorbehaltlos akzeptieren lernen, bevor ihnen die meisten lebensnahen Christen den Rücken zugekehrt haben – und für Pfarrer Erath alles erdenklich Gute!!

  9. Auch wir wünschen diesem tollen Menschen und seiner Liebe alles erdenklich Gute.
    Er hat ehrlich und richtig entschieden.

  10. absoluten respekt , dieser mann hat seinen gefühlen ganz einfach freien lauf gelassen, sowieso finde ich es doch sehr bemerkenswert, dass evangelische pfarrer verheiratet sein dürfen u. unsere katholischen nicht. weiss nicht wer diesen blödsinn erfunden hat, aber eins weiss ich genau, der liebe gott, war es ganz bestimmt nicht, ganz viel hochachtung an unseren pfarrer c. erath, wünsche ihm u. seiner partnerin alles erdenklich gute, ein glückliches beisammensein, sowie ein langes gesundes leben..

  11. Schon lange habe ich der katholischen Kirche den Rücken zugedreht – aufgrund der veralteten Ansichten ….

    Ich ziehe meinen Hut vor diesem Pfarrer – hoffentlich findet er im „realen“ Leben die Erfüllung – alles Glück für ihn und seine Liebe – ein gewagter Schritt, der sein Leben auf den Kopf stellen wird und sicherlich alles verändert – da gehört echt Mut dazu – er hat mehr „Arsch in der Hose“ (sorry für diese Redewendung) als mancher gutgläubiger Christ – Alles Gute

  12. Wer Priester wird, nimmt einen langen Anlauf, sehr lange. Er weiß wozu er sich entscheidet.
    Er gibt sein Wort und kann es nun nicht halten. Das ist zwar nicht der „Weltuntergang“, aber nun müssen sich halt die Wege trennen.
    Wer verheiratet ist und dann mit einer anderen Person zusammenzieht, löst die Ehe auch auf (selbst, wenn sie noch auf dem Papier steht).

    Zu ihren „Fragen“: einfach mal weiterlesen, jenseits von Wikipedia. Muss ja nicht gerade der vorletzte Katechismus sein ;)

    Von Kirchenfremden lasse ich mich da nur ungerne mit Stimmungmache nerven.

Kommentare sind geschlossen.