Wo jede Sekunde zählt

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In mittlerweile zwei Herzkatheterlaboren an der Fürst-Stirum-Klinik Bruchsal kämpfen Martin Andrassy und sein Team jeden Tag um Menschenleben.

von Stephan Gilliar

Das Gute an einem Herzinfarkt… wenn er kommt, dann merken Sie das. Mit verdammt hoher Wahrscheinlichkeit werden Sie dabei Schmerzen einer Dimension erleben, die Sie sich vorher nicht einmal im Traum vorstellen konnten. Als Auszug aus den klassischen Top Ten der Symptome-Charts: Engegefühl in der Brust, Schmerzen hinter dem Brustbein, die gerne auch mal in die Arme, in den Hals, den Bauch, den Nacken und sogar den Kiefer ausstrahlen, kalter Schweiß, Atemnot, Übelkeit… Es sind Vernichtungsschmerzen, die sich unmöglich ignorieren lassen, weiß Prof. Dr. med. Martin Andrassy, Chefarzt an der Klinik für Kardiologie und Angiologie in Bruchsal. Und er weiß auch, wenn sich dieser lodernde Spalt mit bester Fernsicht in die Hölle einmal aufgetan hat, kommt es auf jede verdammte einzelne Sekunde an.

Der Grund dafür ist schnell erklärt. Bei einem Herzinfarkt wird die Sauerstoffzufuhr zum Herzen unterbrochen, was quasi sofort zum Absterben von Herzmuskelgewebe führt. Wird die Blockade im Blutgefäß vergleichsweise schnell behoben, kann der Infarkt mit etwas Glück mehr oder minder folgenlos bleiben. Wartet man aber zu lang… nun ja, sagen wir: Udo Lindenberg hatte mit „Ein Herz, das kann man reparieren“ nicht immer recht. „Etwa 15 % der Patienten schaffen es nicht rechtzeitig in die Klinik“, kennt Martin Andrassy die Zahlen genau. Die 15 scheint dabei auch so etwas wie die unheilvolle Zahl des Herzinfarktes zu sein, denn etwa 15 % aller Patienten bemerken die Symptome nicht oder nur in unspezifischer Ausprägung. Aber auch wenn sie beispielsweise „nur“ Atemnot oder ein Schwächegefühl ohne damit einhergehende körperliche Anstrengung verspüren, suchen Sie lieber einmal zu viel den Arzt auf als das eine tragische Mal zu wenig.

Wenn Sie glauben, das beträfe Sie schon nicht, dieser Kelch ginge doch mit hoher Wahrscheinlichkeit an Ihnen vorüber, dann lassen Sie sich doch bitte an dieser Stelle ein paar statistische Knüppel zwischen die Beine werfen: Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind nach wie vor der beliebteste Klassiker und All-Time-Favorite unter den Todesursachen in Deutschland. Knapp 34 % aller Menschen sterben an Herzinfarkten, Schlaganfällen und Co. und damit übrigens sehr viel mehr als an Krebs.

Allein im Herzkatheterlabor in Bruchsal landen jeden Tag mehrere Notfälle. Für Prof. Dr. med. Martin Andrassy und sein Team herrscht quasi rund um die Uhr Ausnahmezustand. „Schon von unterwegs geben uns die Rettungsdienste die wichtigsten Infos durch, wir sind dann sofort bereit, wenn die Patienten in der Notaufnahme eintreffen“, erzählt Martin Andrassy aus seinem Alltag. Beginnend mit dem Zeitpunkt der ersten Symptome läuft dann bereits ein Rennen gegen die Zeit. In der Klinik muss die Engstelle in den Blutgefäßen lokalisiert und beseitigt werden. Die Medizintechnik hat hier in den letzten Jahren riesige Fortschritte gemacht: verbesserte Bildgebung, minimal-invasive Kathetertechniken… Die Möglichkeiten sind kaum noch mit denen vergangener Jahrzehnte zu vergleichen. „In den Siebzigern hat man den Patienten mehr oder weniger den Brustkorb aufgerissen“, erzählt Martin Andrassy. „Heute sind die Eingriffe kleiner und schonender.“ Früher erfolgten Katheteruntersuchungen häufig über die Leistenarterie. Der radiale Zugang über das Handgelenk ist jedoch weniger invasiv, sicherer und vor allem mit einer schnelleren Erholungszeit verbunden.

Ein hauchdünner Draht wird dabei durch die Arterie eingeführt und bis zum Herzen geschoben, sodass Verstopfungen im Blutgefäß beseitigt werden und das Blut wieder fließen kann. „Es ist jedes Mal erstaunlich, wie schnell es einem Patienten unmittelbar danach wieder besser geht“, weiß Martin Andrassy. Sein Team, bestehend aus fünf Oberärzten, Stations- und Assistenzärzten sowie gut geschultem Pflegepersonal, kämpft seit zehn Jahren im damals neu eingerichteten Herzkatheterlabor an der Fürst-Stirum-Klinik Bruchsal täglich um das Leben der Patienten. „Das Notfallgeschäft ist ungebrochen, wir hatten bisher kaum Zeit für Elektiv-Patienten“, weiß der ärztliche Direktor der Klinik, der auch an der medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg lehrt.

Die Versorgung von Herz-Kreislauf-Patienten in Bruchsal hat sich in den letzten Tagen aber noch einmal deutlich verbessert. Vergangene Woche wurde das neue Herzkatheterlabor 2 in Betrieb genommen, es soll den Druck von der stark frequentierten, bisher im Solobetrieb operierenden ersten Station nehmen. Denn selbst trotz der guten personellen Ausstattung kann es an manchen Tagen eng werden, dann, wenn besonders viele Notfälle im Labor aufschlagen. „Ja, manchmal wird es richtig knapp“, bestätigt Martin Andrassy, „keine Ahnung, wie wir das bisher immer geschafft haben.“

Auf sein Team ist der Chefarzt äußerst stolz, denn er weiß genau: Längst nicht jeder ist für diesen Job gemacht. Es gilt, unter Druck ruhig zu bleiben und zu funktionieren, denn im Herzkatheterlabor geht es fast immer hoch her. Genau der anfangs beschriebene Zeitdruck lässt manchmal kaum Raum, um Luft zu holen. Präzises, entschlossenes und unverzagtes Handeln ist hier der Schlüssel für den Erfolg und das Überleben der Patienten.

Während manche in einer solchen Atmosphäre nicht bestehen können, blüht Martin Andrassy dagegen richtig auf. „Ich mache das wahnsinnig gern, es ist so etwas wie mein Hobby“, sagt er und meint das auch so. Die Medizin hat es ihm ohnehin schon immer angetan. Schon als Jugendlicher hat der 1968 geborene Heidelberger versucht, die Funktionsweise von komplexen Systemen zu verstehen und zu ergründen. So hat er, anstatt es einfach zu fahren, sein erstes Auto – einen alten VW Brezelkäfer – zunächst einmal komplett in seine Bestandteile auseinandergenommen und wieder zusammengebaut. Diese Neugier und dieser Wissensdrang haben ihn durch seine komplette bisherige berufliche Laufbahn getragen. Durch das Studium in Marburg, Tübingen und Bochum, durch seine Zeit am Herzzentrum in München und auch die spannenden Jahre, in denen er an der New Yorker Columbia Grundlagenforschung betrieben hat.

Irgendwann kehrte er dann wieder zurück in seine Heimatstadt Heidelberg, obwohl er das eigentlich immer tunlichst vermeiden wollte. „Ich wollte nie zurück nach Hause, aber es war damals die einzige Stelle, die in Frage kam“, lacht er, fast so, als ob er sich dafür entschuldigen wollte. Vorwärts immer, rückwärts nimmer, hätte vielleicht Honecker das Dilemma kommentiert. Als dann 2013 das Angebot kam, an der Fürst-Stirum-Klinik in Bruchsal eine komplett neue Abteilung und ein brandneues Herzkatheterlabor aufzubauen, zögerte er nicht lange und sagte zu. „Das hat mich einfach gereizt“, erzählt der Doc, der sich bereits 2016 für die Errichtung eines zweiten Herzkatheterlabors eingesetzt hat, nachdem das erste innerhalb kürzester Zeit – sagen wir – starken Anklang bei den Patienten gefunden hat. Musste man bis 2013 im Falle eines Falles noch bis Karlsruhe oder Heidelberg transportiert werden, gilt mittlerweile Bruchsal mit seinen zwei Laboren als erste Adresse bei entsprechend gelagerten Notfällen.

Doch so gut es ist, diese Einrichtung in der Nähe zu wissen, noch schöner ist es, sie niemals von innen sehen zu müssen. Deswegen empfiehlt es sich, immer auf das eigene Herz zu hören und zu achten, und das nicht nur im romantischen Sinne. Sie wissen, was jetzt kommt, auch wenn Sie es vielleicht nicht hören wollen. Mit jeder Zigarette, jedem fettigen Stück rotem Fleisch und jedem Tag unter Stress und ohne Bewegung erhöhen Sie Ihre Chance, Martin Andrassy endlich einmal persönlich kennenzulernen. Und obwohl er wirklich ein netter Kerl ist, gibt es deutlich schönere Dates als solche, die sich in Raum 5 und 12 im Erdgeschoss der Fürst-Stirum-Klinik abspielen.

Also, achten Sie auf Ihre gute alte Pumpe und vergessen Sie nicht: Nur weil’s Arscherl nach Haxn, Kraut, zehn Kippen und drei Asbach-Cola brummt, ist’s Herzerl no long net gsund. Seien Sie gut zu Ihrem Herzen, Sie haben nur eines.

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