Wer wird neuer Oberbürgermeister in Sinsheim?

|

Drei der vier aufgestellten Kandidaten für das höchste Amt der Stadt präsentierten sich vergangene Woche in Sinsheim den Wählerinnen und Wählern.

Die beiden großen Kraichgauer Kreisstädte Sinsheim und Bretten haben dieser Tage viel gemeinsam. Mal abgesehen von der größten Offensichtlichkeit, ihrer Lage im Land der 1000 Hügel, steht in beiden Städten am 7. Juli die Wahl zu einem neuen Stadtoberhaupt, einem neuen Oberbürgermeister oder einer neuen Oberbürgermeisterin auf dem Programm. Beide amtierenden Oberbürgermeister – auch das ist eine Gemeinsamkeit – haben ihr Amt zuvor, noch vor Ablauf der aktuellen Amtsperiode niedergelegt, beziehungsweise werden es im Spätsommer niederlegen, beide aus persönlichen Gründen. Früher als erwartet ist es daher nun an den Wählerinnen und Wählern in den beiden großen Kraichgaustädten an die Urnen zu treten und eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger zu wählen. Während sich in Bretten die Kandidaten bereits am vergangenen Wochenende der Öffentlichkeit präsentierten, war es am Mittwochabend nun auch in Sinsheim soweit. Vier Kandidaten sollten sich in der Dr.-Sieber-Halle den Menschen in der Stadt vorstellen, gekommen waren am Ende nur drei – Marco Siesing aus Eschelbronn, Reinhard Theo Pausch aus Sinsheim und Thomas Seidelmann aus Neckarbischofsheim. Alexander Holder ließ sich bei der gestrigen Veranstaltung entschuldigen. Zwei weitere Bewerber – Doreen Pausch und Hilmar Lang – wurden zuvor aufgrund unvollständiger Unterlagen vom Wahlausschuss zurückgewiesen.

Was Bretten und Sinsheim in diesem Fall unterscheidet, war die Durchführung dieser Informationsveranstaltung. Während in Bretten die Diskussion nur für jene Menschen zugänglich war, die an diesem Abend auch den Weg in das Hallensportzentrum antraten, übertrug die große Kreisstadt Sinsheim die komplette Präsentation der Kandidaten online via YouTube. Mehrere tausend Menschen nutzen dieses Angebot bisher, der Stream steht zudem noch als Aufzeichnung bis zur Wahl auf YouTube bereit. Eine niederschwellige Form der Öffentlichkeitsbeteiligung, die man sich sicher auch in Bretten gewünscht hätte, die jedoch mit dem allgemein gehaltenen Verweis auf das Thema Datenschutz verwehrt wurde. Äußerst schade, ist doch eine solche Veranstaltung maßgeblich, um alle Menschen über Absichten und Ziele der potentiellen Nachfolger des Oberbürgermeisters zu informieren, auch solche, die beispielsweise durch Kinderbetreuung gebunden oder durch mangelnde Mobilität eingeschränkt sind.

Doch wenden wir uns im Folgenden ausschließlich den Ereignissen dieses Mittwochabends in Sinsheim zu, den verschiedenen Positionen und Visionen der drei erschienenen Kandidaten, die sich am 7. Juli den Menschen in Sinsheim zur Wahl stellen werden. Moderiert wurde die Veranstaltung vom amtierenden Oberbürgermeister Jörg Albrecht, der in seiner Begrüßung sämtliche Besucherinnen und Besucher der Veranstaltung als Ehrengäste bezeichnete, auf die normalerweise recht zeitintensiven, formellen Begrüßungen von Mandats- und Amtsträgern im Saal verzichtete. Schnell wurden die Formalitäten erklärt, zum Beispiel, dass jedem der drei Kandidaten 15 Minuten Zeit eingeräumt werden, um sich und die eigenen Ziele vorzustellen, danach konnte es auch schon losgehen. Wir fassen im Folgenden grob und nicht wortwörtlich die unterschiedlichen Positionen der drei erschienenen Kandidaten zusammen. Wer sich ein genaues Bild machen möchte, dem empfehlen wir den Mitschnitt auf YouTube, hier sind alle Redebeiträge und die anschließende Fragestunde im Original-Wortlaut festgehalten.

Erster an der Reihe war Marco Siesing, Bürgermeister der Gemeinde Eschelbronn in zweiter Amtsperiode, geboren im Herbst 1977 in Halle an der Saale. In seiner Begrüßung berichtete er von zahlreichen Besuchen zahlreicher Haushalte – sowohl in der Kernstadt als auch in allen Sinsheimer Stadtteilen – fügte schmunzelnd hinzu, er wisse nun auch, in welchen Häusern ein Hund wache. Er wolle hören, wo der Schuh drückt, wolle mit den Menschen in Kontakt kommen, so Siesing weiter. Bürgernähe und Zusammenarbeit sei ihm sehr wichtig, nur wer für das brennt, was er tut, könne auch andere begeistern. Er wolle zudem im Fall seiner Wahl Sinsheim als starke, moderne, selbstbewusste und mutige Stadt im Rhein-Neckar-Kreis noch stärker positionieren. Sinsheim brauche einen Oberbürgermeister, der nicht zaudert, sondern durch Taten überzeuge. Er selbst habe sein Handwerkszeug von der Pike auf gelernt, verwies in diesem Kontext auf die positive Entwicklung seiner Gemeinde Eschelbronn in den vergangenen Jahren. Er wisse wie eine kleine und auch große Verwaltung funktioniere, betonte der zweifache Familienvater, der im vergangenen Jahr in Eschelbronn als alleiniger Kandidat mit 95 % aller Stimmen wiedergewählt wurde. Siesing ist CDU-Mitglied, wurde erst kürzlich in den Kreistag des Rhein-Neckar-Kreises gewählt, betonte aber, in Sinsheim als überparteilicher Kandidat antreten zu wollen. Er wolle dabei die Sachpolitik in den Vordergrund stellen, persönliche Befindlichkeiten seien dabei fehl am Platz. Die Antwort auf die Frage, wie sich Sinsheim in den kommenden Jahren entwickeln solle, wolle er zusammen mit den Menschen in der Stadt prozessorientiert erarbeiten. Gemeinsam wolle er mit ihnen ein Bild von der Zukunft malen. Siesing räumte ein, dass das nicht leicht werden wird, man könne nicht zu 50 % dafür und zu 50 % dagegen sein, es gälte das Heft geradlinig in die Hand zu nehmen. Zu seinen Prioritäten im Falle eines Wahlsieges zählten: Sinsheim als Wohn- und Schulstandort zu stärken, die Aufenthaltsqualität und das Sicherheitsgefühl zu erhöhen, die Stadt nachhaltig zu wandeln, für eine soziale Stadt mit Zusammenhalt einzutreten und lebendige Stadtteile zu fördern und zu ermöglichen.

Als zweiter Redner trat schließlich in gemächlichem Anmarsch Reinhard Theo Pausch auf die Bühne. Der Kandidat und Vorsitzende des Ortsverbandes der Satirepartei “Die Partei”, deren Aufgabe Pausch unter anderem darin sieht den Finger in die Wunde zu legen und die Aufmerksamkeit dorthin zu richten, wo andere wegschauen, versprach seine Fahne nicht in den Wind zu hängen, wie es gerade nützlich sein könnte. Der 39-Jährige lebt seit 14 Jahren in Sinsheim. Nach seinem Umzug in den Kraichgau sei ihm zuerst der verschlafene Charakter der Stadt aufgefallen, Läden schlössen in der Innenstadt zu früh, für Jugendliche gäbe es offenkundig kaum Anlaufstellen, so Pausch zu Beginn seiner Ausführungen. Es fehle der Kernstadt an guten “Vibes” für die junge Generation. Zu seinen Forderungen und Kernzielen – formuliert im ironisch-satirischen Duktus der Partei – gehöre die Aufhebung der Dreißiger-Zonen, TSG-Flaggen am Rathaus (auf Halbmast im Falle einer Niederlage), die Musikschule Sinsheim solle die Beschallung des Hoffenheimer Stadions übernehmen und die unzähligen grauen Flächen in der Stadt müssten für Graffitis freigegeben werden. Zudem solle das Ordnungsamt der Stadt, von Pausch als die Dementoren Sinsheims bezeichnet, die von Normalsterblichen (aka Muggel) nicht gesehen werden könnten, mehr in Erscheinung treten. (wer mit den Begrifflichkeiten nichts anfangen kann, sollte sich dringend die grandiosen acht Teile von Harry Potter ansehen oder sie lesen). Zudem forderte Pausch eine Bierpreis- und eine Dönerpreisbremse. Im Falle seines Wahlsieges versprach er Ehrlichkeit im Amt, stellte die Menschen aber auch auf Schwierigkeiten bei der Arbeit im Gemeinderat aufgrund des massiven “Rechtsrucks” ein. (Hintergrund: Die AfD erzielte in Sinsheim mit 13,88 % das drittstärkste Ergebnis, ist im künftigen Gemeinderat mit sechs Sitzen vertreten). Nach Pauschs Befürchtung könnte dies die Umsetzung sozialer Projekte gefährden. Abschließend bot er den anderen Kandidaten noch an, im Falle seines Wahlsieges eine Anstellung im Rathaus Sinsheim an, man könne deren Expertise sicher brauchen.

Als dritter und letzter Redner betrat schließlich ein weiterer amtierender Bürgermeister die Bühne. Thomas Seidelmann, seit Sommer 2020 Rathauschef in Neckarbischofsheim, hatte mit seiner Bewerbung bis zum letztmöglichen Termin gewartet. Über seine Kandidatur war bereits vor Monaten spekuliert worden, unsere frühe redaktionelle Anfrage an Thomas Seidelmann brachte jedoch keine eindeutige Stellungnahme, stattdessen Antworten, die reichlich Raum für Interpretation ließen. Nun hat er es doch getan und geht in diese Wahl mit recht hohem Einsatz, schließlich muss ein amtierender Bürgermeister, der sich in einer anderen Gemeinde bewirbt, den eventuellen Unmut der Wählerinnen und Wähler in seiner aktuellen Gemeinde einkalkulieren. Ein Umstand, der auch auf seinen Mitbewerber Siesing zutreffen könnte. Der 58-jährige stellte sich als erfahrener Teamplayer vor, habe Journalismus studiert und bereits Beratertätigkeiten bei den Vereinten Nationen ausgeübt. Er sei ein guter Netzwerker, bringe Menschen zueinander, bewege sich zudem locker und leicht auf der politischen Bühne oder auf dem Feld der Wirtschaft. Seidelmann, der in den letzten Wochen verstärkt in landes- und bundesweit verbreiteten Medien präsent war, da der in Mannheim getötete Polizist Rouven Laur aus Neckarbischofsheim stammt, hob hervor sich immer seine Menschlichkeit bewahrt zu haben, keiner Partei anzugehören und zudem kein reiner Bürokrat zu sein. Mit diesen Voraussetzungen strebe er in Sinsheim nicht nur eine Amtszeit an, verwies nonchalant darauf, dass er am Ende zweier möglicher Amtszeiten immer noch deutlich jünger wäre als der voraussichtlich nächste US-Präsident. Sinsheim fehle ein “Wir-Gefühl”, attestierte der fünffache Familienvater der Stadt, es sei nicht gelungen, die Gräben zwischen der Kernstadt und den Stadtteilen zuzuschütten. Dies wäre eine seiner größten Prioritäten. Eine weitere sei das Thema “Sicherheit”, Frauen aus Sinsheim hätten ihm im Vorfeld berichtet, dass sie nachts nicht alleine durch die Stadt gehen wollen. Zwar wäre Sinsheim laut der Polizeistatistik keine unsichere Stadt, doch sei die gefühlte Realität eine andere. Gäste, die am Sinsheimer Bahnhof ankämen, würden sich im ersten Moment in die alte New Yorker Bronx versetzt fühlen, führte Seidelman diese Problembeschreibung weiter aus. Es bräuchte demnach harte Gespräche darüber, wie diese Stadt für die Menschen gefühlt sicherer werden könnte. Es schmerze ihn zudem sehr, wenn er von Menschen in Sinsheim höre, dass sie teilweise lieber nach Eppingen zum Einkaufen fahren, wegen der besseren Parksituation, als auch wegen der schöneren Innenstadt. Ein Zentrum, das zum Verweilen einlüde, fehle in Sinsheim seit Jahren, so Thomas Seidelmann. Perspektivisch müsse man sich zum Beispiel überlegen, eine Veranstaltung wie die Gartenschau auch nach Sinsheim zu holen, zudem gälte es das Ehrenamt zu fördern, bürgerschaftliche Kräfte in Sinsheim zu mobilisieren und Sinsheim als Wirtschaftsstandort zu stärken. Für Letzteres wolle er im Rathaus einen Experten installieren, der entsprechende Konzepte verfolge wie beispielsweise ein Startup-Center. Das Rathaus solle ein Dienstleister sein, der den Unternehmen den Weg ebnet. Ein weiteres wichtiges Thema sei für ihn die Bildung, so Thomas Seidelmann und skizzierte dabei nicht nur Investitionen in Gebäude oder Hardware, sondern auch in Betreuungszeiten.

Die Oberbürgermeisterwahlen stehen für Sinsheim und seine Stadtteile am 07.07.2024 an. Sollte keiner der Kandidaten im ersten Anlauf die notwendige Mehrheit erlangen, wird es am 21.07.2024 zu einer Stichwahl kommen. Wir werden am Wahlabend über den Ausgang berichten.

Vorheriger Beitrag

Da geht ein Mensch…

Brettens dunkelste Stunde

Nächster Beitrag