Die Arbeit eines Landwirts ist anstrengend, zeitintensiv und in einer sich grundlegend wandelnden Natur immer häufiger ein Glücksspiel. Wer tut sich das noch an?
Ein Privileg – aber nicht für jeden
Montagmorgen, 8:00 Uhr. Ich wache auf, einfach weil es meine Gewohnheit ist, nicht weil ein Wecker geklingelt hätte. Man könnte sagen: das Privileg des Selbstständigen. Den Beginn meiner Arbeitszeit lege ich selbst fest und kein Arbeitgeber. Ich mache mir einen Kaffee, studiere die Schlagzeilen des Tages, setze mich an meinen Schreibtisch und beginne mein Tagewerk. Es gibt anstrengende und weniger anstrengende Tage – insgesamt ist es durch Erfahrungswerte und Routine ein überschaubares Szenario für mich.
Wäre ich jedoch Landwirt, hätte mein Tag schon deutlich früher begonnen – nicht selten um 5:00 Uhr oder vielleicht sogar noch früher. Lange vor Sonnenaufgang wäre ich auf den Beinen, um zu tun, was getan werden muss. Kein gemütlicher Start in den Tag mit einem Becher Kaffee, sondern harte körperliche Arbeit, die vollen Einsatz verlangt.
Ein Alltag voller Herausforderungen
Tiere wollen gefüttert werden, der Stall muss gereinigt werden, Maschinen benötigen Wartung. Saatgut ausbringen, Ernte einfahren – was immer die Jahreszeit gerade verlangt. Während ich mich in meiner Realität um 8:00 Uhr in den Bürosessel gleiten lasse, stünde ich als Bauer längst auf dem Acker, im Stall oder auf der Plantage. Dabei wäre es völlig egal, ob es gerade stürmt, regnet, schneit oder 35° im Schatten hat. Die Arbeit muss erledigt werden.
Es ist eine Tätigkeit, die stets von Unwägbarkeiten begleitet wird. Wird es in diesem Frühjahr und Sommer genügend regnen? Macht ein später Frost die Arbeit zunichte? Erkranken die Tiere, geht der Traktor kaputt, oder falle ich selbst wegen einer Verletzung aus? Kaum eine andere Branche ist so abhängig von äußeren Umständen wie die Landwirtschaft. Und doch: Früher war vieles überschaubarer. Preise und Nachfrage orientierten sich weniger an globalen wirtschaftlichen Strömungen, Spekulationen oder dem internationalen Wettbewerb. Heute ist die Welt unberechenbarer geworden – und mit ihr die Bedingungen für Landwirte.
Bürokratie und Dauerstress
Zur harten körperlichen Arbeit kommt reichlich Papierkram. Auch die Landwirtschaft wurde längst von den Wirren der Bürokratie erfasst. Unzählige organisatorische, verfahrens- und verwaltungstechnische sowie fiskalische Auflagen kosten Zeit – Zeit, die auf dem Hof fehlt. Wer in der Landwirtschaft von geregelten Arbeitszeiten ausgeht, ist ein Traumtänzer.
Die Arbeit in einem landwirtschaftlichen Betrieb ist nicht nur ein Vollzeitjob, sondern ein Rund-um-die-Uhr-Job. Urlaube, freie Wochenenden, ungestörte Feierabende? So etwas gibt es selten. Besonders exotisch sind solche Begriffe in kleinen Betrieben, die Baden-Württembergs Landwirtschaft noch immer stark prägen. Dabei war das nicht immer so. Früher gab es größere Höfe, doch durch die Aufteilung von Erbe zersplitterten die landwirtschaftlichen Flächen.
Das Höfesterben und die Folgen
Heute zeigt sich eine Trendwende: Durch das ungebremste Höfesterben werden freiwerdende Flächen wieder größeren Betrieben zugeschlagen. Der Grund? Der ausbleibende Nachwuchs. Wer tut sich das noch an? Offenbar nicht mehr viele. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Baden-Württemberg ist in den letzten zwei Jahrzehnten massiv gesunken.
Laut SWR gab es im Jahr 2020 noch gut 21.000 Betriebe im Land. Im Jahr 2000 waren es noch rund 50.000. Besonders deutlich wird der Wandel in der Viehhaltung: Vor 45 Jahren gab es über 120.000 Betriebe, heute sind es nur noch 20.000. Das bedeutet: Rund 100.000 Höfe sind in nicht einmal einem halben Jahrhundert verschwunden.
Dieser Wandel hat Folgen. Das romantische Bild der kleinen Bauernhöfe weicht einer industrialisierten Landwirtschaft. Monokulturen und Großbetriebe prägen zunehmend das Landschaftsbild. Mit dem Verlust kleiner Betriebe gehen auch traditionelle Anbaumethoden, alte Kulturpflanzen und Tierrassen verloren. Der Strukturwandel verändert ländliche Gemeinschaften, wenn Menschen abwandern und Dörfer aussterben.
Wer bleibt, tut es aus Leidenschaft
Wer heute noch Landwirt wird, entscheidet sich in den meisten Fällen mit dem Herzen dafür – weniger aus wirtschaftlichem Interesse. In Gesprächen mit Junglandwirten war die Liebe zum Beruf, zum Land und zur sinnstiftenden Arbeit ein wiederkehrendes Motiv. Sie erschaffen etwas Substantielles und Handfestes. Davor kann man nur den Hut ziehen. Doch das allein reicht nicht.
Eines fehlt diesen jungen Landwirten besonders: Wertschätzung. Wertschätzung für ihren Beruf und die mühsam erzeugten Produkte. Beide Punkte sind berechtigt. Im internationalen Vergleich investieren Deutsche wenig in hochwertige Lebensmittel. Der Preisdruck durch Discounter verstärkt dieses Problem und zwingt Landwirte, billig zu produzieren. Das schadet nicht nur den Landwirten selbst, sondern auch der Umwelt und der Qualität unserer Nahrung.
Was wir tun können
Was also tun, wenn kaum noch jemand bereit ist, diesen uralten und wichtigen Beruf zu ergreifen? Die Antwort ist einfach: Geben Sie Ihrem Essen und denen, die es erzeugen, mehr Wert. Unterstützen Sie regionale Produkte und Menschen, die dafür einstehen. Besonders hier, in unserem schönen Hügelland, das durch Landwirtschaft zu dem wurde, was es heute ist. Es sollte eigentlich selbstverständlich sein.
Eine Meinung von Stephan Gilliar
Ja, das ist richtig, was Sie schreiben Herr Gilliar. Einmal im Monat in ich im Elsass beim Kochen, da sehe ich den Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland, wenn es um das Essen geht. Ich habe als Konzequenz mit genommen, daß ich großen Wert auf gute Lebensmittel lege. Hier in Heidelsheim betreibt ein Bauer einen Verkaufsautomaten um seine Erzeugnisse an zu bieten. Keine schlechte Idee.
Wenn ich an meine Bekannte Lydia aus Niederbayern denke, dann kommt bei ihr noch der Waldbesitz dazu. Das bedeutet, wenn ein Baum umgefallen ist und auf der Straße liegt, ist sie verpflichtet den Baum zu beseitigen. Ganz gleich welche Uhrzeit, welcher Tag ist.
Es gibt in D ca. 40 Mio. abhängig beschäftigte Arbeitnehmer.
Die meisten von denen erfahren (vor allem in Konzernen) allenfalls eine Pseudowertschätzung.
Viele von ihnen stehen auch um 5 Uhr morgens auf. Oder wegen Schichtarbeit (die nachweislich krank macht, sozial isoliert und Partnerschaften zerstört) zu anderen unmöglichen Zeiten auf.
Das alles nicht selten zum Mindestlohn und völlig fremdbestimmt.
Widerspruch heißt oft Kündigung und damit Wegfalls der materiellen Existenzsicherung.
Da ist nix mit Protest auf der Straße mit teils bedrohendem, erpresserischen und schlicht rechtswidrigem Charakter wie vor einem Jahr viel erleben mussten.
Dies ins Verhältnis gesetzt, hält sich mein Verständnis für im Artikel Geschriebenes sehr in Grenzen.
Vielen Dank für die Sichtweise, stimme komplett zu!
Mein Nachbar, Ausfahrer bei einer der großen Bäckerei-Ketten, beginnt seinen Arbeitstsg gegen spätesten 1.00 h nachts.
12-16 Stunden-Schichten sind normal ( Personalmangel….). Der Tag endet spätesten um 17/18.00 Uhr, klar man muss ja um Mitternacht wieder im Auto sitzen. Und wach und ausgeschlafen sein!
Abende mit der Familie/Freunden? Kannst du vergessen! Hobbys, Auftritte der Kinder? Geht nicht! Denn auch am Wochenende wollen die Leute mit Brot, Brötchen und Croissant versorgt sein….
Urlaub an Weihnachten? Urlaubssperre! Sind ja Hauptumsatztage!
Wetter? Glatteis? Egal! Die Leute wollen mit frischen Brötchen versorgt sein, also muss alles vorrätig sein. Und wehe du verspätest dich, weil vor dir ein Glatteis-Unfall war!
Gehalt? Weiß ich nicht, aber bestimmt nicht sonderlich hoch.
Also, es gibt noch viele viele Menschen die noch unwürdiger arbeiten müssen.
Es wird niemand zum Landwirt gezwungen.
Und was Wertschätzung anbetrifft…was müssen denn dazu die Leute aus der Pflege sagen?
Bei mit Sicherheit wesentlich geringeren Einkommen!
Wertschätzung setzt auch voraus, dass man sich an Regeln und Gesetze hält.
Und da habe ich erhebliche Zweifel, wenn ich an das Theater vor einem Jahr denke!
Jo Jo und in Asien und Südamerika kennen Sie nicht mal ein Pestizidverbot, alles rein, damit es so lange billig bleibt und um die ganze Welt nachhaltig verschifft und geflogen wird 😉🙃👍🥴. Und der Trendsetter Vegani will mich Tag ein Tag aus von diesem Blödsinn überzeugen 🤮. Bei uns wächst soviel aufm Baum, pflücken und wertschätzen, statt beim Discounter sein Hirn abgeben !
Sorry, aber was hier an Kommentaren landet ist doch dein reiner WhatAboutThism. Der Autor hat doch gar nicht behauptet, dass Landwirt der schlimmste Beruf überhaupt ist. Es steht doch völlig außer Frage dass es auch andere fordernde und schwierige Berufsbilder gibt, die von harter Arbeit und schlechter Bezahlung geprägt sind. Darum geht es doch aber hier gar nicht…
Genau! Aber niemand jammert und protestiert (illegal) mehr!
Jo…um 1900 arbeiteten 38% in der Landwirtschaft, jetzt sind es grad mal 1,2%.
Und tun so mit ihrem Lobbyismus und ihren Aktionen, als seien sie 120%.
Man sollte sich viel mehr um andere Sparten kümmern!
Mir ist das im Artikel zu viel Beweihraeucherung. Da fallen mir x Berufe ein, wo Menschen genauso viel arbeiten und sich auch die Hände schmutzig machen. Es ist natürlich ein Beruf, der einem viel abverlangt, das ist aber keine Seltenheit im allgemeinen Berufsleben. In diesem Berufsstand wird das halt ständig öffentlich kommuniziert.