Was soll nur aus mir werden?

| ,

Wer einen Hauptschul- oder einen Realschulabschluss anstrebt, steht schon mit 15 oder 16 Jahren vor einer der größten Entscheidungen seines Lebens.

Etwas unentschlossen und ratlos laufen die vier Klassenkameraden Anton, Finn, Philipp, Timo und Erik über den “Markt der Berufe” in Ubstadt. Um sie herum haben sich in der großen Mehrzweckhalle unzählige Unternehmen aus der Region mit bunten Ständen in Stellung gebracht, um für eine Ausbildung in ihrem jeweiligen Hause zu werben. Alles, aber auch wirklich alles ist vertreten. Von der großen Drogeriemarktkette über das Amtsgericht, die Polizei, Pflegeeinrichtungen, diverse Handwerksunternehmen bis hin zum multinationalen Konzern.

Würden die fünf Freunde es drauf anlegen und geschickt vorgehen, könnten sie noch heute handfeste Vorstellungsgespräche für eine Zukunft bei einem der vielen Aussteller eintüten. Das wollen sie aber gar nicht, denn entweder haben sie vor, nach dem Abschluss eine weiterführende Schule zu besuchen oder sind sich schlicht noch nicht sicher, welchen Berufsweg sie einzuschlagen gedenken. Wer könnte ihnen das übel nehmen, schließlich sind die Freunde gerade einmal zwischen 15 und 16 Jahren alt. Gerade erst der Kindheit entwachsen, bedeutet eine solch folgenschwere Entscheidung auch Stress für die Jungs. Ob sie sich etwas unter Druck gesetzt fühlen, möchten wir wissen und bekommen eine klare Antwort. Ja, der Druck sei spürbar. Schon in der achten Klasse beginnen die Schulen schließlich damit, die Kinder auf “die Zeit danach” vorzubereiten, trainieren Vorstellungsgespräche und die Erstellung von Bewerbungsunterlagen – zudem stehen gleich mehrere Praktika auf der diesbezüglichen To-Do-Liste. Ein ehrenvolles Unterfangen, dessen gute Absichten niemand in Zweifel ziehen würde und doch für manche Jugendliche ebenso zweifellos ein Stressfaktor. Wer kann schon als Teenager genau sagen, wo er in seinem Leben Jahrzehnte später einmal stehen möchte? Der Autor dieser Zeilen konnte es als Teener zumindest nicht und um der Wahrheit die Ehre zu geben – noch nicht einmal als Twen.

Was soll einmal aus mir werden? Eine Frage, fast so schwierig wie die Partnerwahl, räumt auch Tony Löffler, Bürgermeister in Ubstadt-Weiher, bei der Eröffnung des zwischenzeitlich überregional bekannten “Markt der Berufe” ein. Zwischenzeitlich sei die Veranstaltung die größte Ausbildungsbörse der Region, freut sich das Gemeindeoberhaupt über die Entwicklung der seit vielen Jahren vom Alfred-Delp-Schulzentrum Ubstadt-Weiher und der Regionalen Wirtschaftsförderung Bruchsal organisierten Veranstaltung. Alles, was Rang und Namen hat, sei hier vertreten, schwärmt Tony Löffler.

Schulleiter Jörg Weber sieht als erfahrener Pädagoge aber natürlich auch das Dilemma seiner Schülerinnen und Schüler, findet hierfür beruhigende Worte. “Man kann seinen Weg immer wieder korrigieren, sich immer weiterentwickeln“, versichert er und will damit den Kids ein ein Stück weit die Qual der Wahl und den Entscheidungsdruck von den jungen Schultern nehmen. Er selbst habe früher einmal die Ausbildung zum Kommunikationselektroniker durchlaufen, bevor er später eine Zukunft als Pädagoge für sich entdeckte. Jörg Weber weiß genau, dass niemand ernsthaft von einem Jugendlichen erwarten kann, sich mit gerade einmal 15 Lenzen auf dem Buckel auf Jahrzehnte hin verbindlich festzulegen.

Er weiß aber auch, dass sich an der grundlegenden Situation auf dem Ausbildungsmarkt in den letzten Jahren vieles geändert hat. War es vor Jahrzehnten noch üblich, als Jugendlicher eine Ausbildung zu durchlaufen, übernommen zu werden und im selben Betrieb oft bis zum Ruhestand zu arbeiten, sehen Erwerbsbiografien heute sehr viel weniger geradlinig aus.

Damit hat er natürlich recht, immerhin ist der Weg das Ziel und die wirklich interessanten Wege verlaufen nun einmal nicht kerzengerade. Grundlegend verändert hat sich auch das Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen der Betriebe und den Bedürfnissen der jungen BerufsanfängerInnen. Konnten sich früher Unternehmen noch zu willkürlich festgelegten Konditionen den eigenen Nachwuchs aussuchen, ist es heute oft anders herum. Um überhaupt an künftige Fachkräfte zu gelangen, müssen sich die Betriebe etwas einfallen lassen, eine Arbeitsstelle regelrecht attraktiv gestalten, um sie überhaupt besetzen zu können. Das bringt die Jugendlichen, die etwas auf dem Kasten haben und bereit sind, etwas aus sich zu machen, in eine durch und durch komfortable Position. Angebot und Nachfrage treffen eben nicht nur auf den Warenverkehr, sondern auch auf den Berufsmarkt zu.

Nur um das Geld geht es den Berufsanfängern dabei nicht. Idealismus spielt trotz allen Unkenrufen den jüngeren Generationen gegenüber sehr wohl eine Rolle. Wie sonst ließe es sich erklären, dass auch auf dem Markt der Berufe in Ubstadt junge Pflegerinnen und Pfleger, Erzieherinnen und Erzieher für den eigenen Berufsstand eintreten, begeistert für ihn werben. Weder sind diese Berufe gut bezahlt, noch sind sie einfach zu meistern – oft auch belastend, das weiß ein jeder von uns spätestens seit der Pandemie und der omnipräsenten Pflegekrise nur zu gut.

Was die jüngeren Generationen durch die Bank weg eint, ist jedoch eine veränderte Vorstellung vom Arbeitsleben. Die Arbeit ist längst nicht mehr Mittelpunkt, das Leben selbst ist es. So fordern die Jüngeren einen Job, der sich dem Leben anpasst und nicht andersherum, so das Ergebnis vieler Befragungen und Untersuchungen. Viele ältere, die Botschaften á la “Arbeit macht hart” mit der Muttermilch aufgesogen haben, werden hierbei vielleicht verächtlich die Nase rümpfen, doch im Grunde ist die Sichtweise der Jüngeren langfristig gesehen, zweifelsohne die gesündere.

Die Arbeitswelt wird sich diesen Wünschen anpassen müssen, noch können KI und Automatisation schließlich keine menschlichen Arbeitskräfte im großen Stil ersetzen. Anders lässt es sich nicht erklären, dass der Markt der Berufe in Ubstadt bei Unternehmen so beliebt ist – die Stände so üppig und einladend wie nie zuvor. Markt und Preis müssen es regeln, das weiß schließlich niemand besser als sie. Druck formt vielleicht lupenreine Diamanten, niemals aber glückliche Menschen.

Vorheriger Beitrag

Was die Großeltern noch konnten

Museumsetzwerk Kraichgau plant für 2025

Nächster Beitrag