Sein letzter Gang

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Mit einem großen Festakt verabschiedet die Regionale Kliniken Holding RKH ihren scheidenden Geschäftsführer, Professor Dr. Jörg Martin.

von Stephan Gilliar

„Es wird nirgendwo so viel gelogen wie auf Beerdigungen und Verabschiedungen“, quittiert Professor Dr. Jörg Martin den neun Redner umfassenden Laudatoren-Marathon am Abend seiner großen Verabschiedung in der RKH-Klinik Markgröningen, entschärft die potenzielle Breitseite aber im selben Moment: „Heute war das nicht so“. Nun ja, echte Kontroversen waren vermutlich ohnehin nicht zu erwarten, schließlich waren die Laudatoren im Vorfeld handverlesen. Das geht auch völlig in Ordnung, schließlich war es seine Show – die letzte im Dienste der Regionalen Kliniken Holding RKH. Nach über einem Jahrzehnt an der Spitze des Klinikverbundes nimmt Jörg Martin seinen Hut, nachdem ihm dieser auch zuvor in gewissem Sinne in die Hand gedrückt wurde. Eigentlich lief der Vertrag des 66-Jährigen bis Ende 2025, doch nun kam das Ende schneller als gedacht. Die Hintergründe hierfür sind komplex, zu komplex, um sie hier in wenigen Zeilen wiederzugeben. Nur soviel: Es ging mitunter um verschwundene Corona Tests, die Unzufriedenheit einzelner mit dem vermeintlichen Führungsstil von Professor Martin, um unterschiedliche Ansichten in den Kreisverwaltungen rund um die Personalie Martin und um – darauf deuten sehr viele Aussagen hin, die wir bislang zum Thema gehört haben – sehr viel negative Emotionalität dort, wo sie eigentlich absolut nichts zu suchen hätte. Unterm Strich ein Show-down, der besonders eines hervorgebracht zu haben scheint: Viele Verlierer.

So traf man sich am Donnerstagabend im Souterrain der orthopädischen Klinik bei Saxophonklängen und Hors d’œuvre, um einem Mann die letzte Ehre zu erweisen, ohne den der RKH-Klinikverbund mit seinen mehr als 2.500 Betten an neun Klinikstandorten und seinen über 8.000 Mitarbeitenden nach allem was man hört und sieht nicht das wäre, was er heute ist. Die Errungenschaften von Professor Dr. Martin lassen kaum Interpretationsspielraum zu, dass diese vielmehr ausdrücklich zum Vorteil RKH und im weiteren Sinne auch des baden-württembergischen Gesundheitswesens waren und sind, daran lässt sogar das Gesundheitsministerium – an diesem Abend gleich durch zwei Redner vertreten – keine Zweifel offen. Da wäre die sektorenübergreifende Versorgung der Patienten, die Etablierung einer Grundversorgung in der Fläche bei gleichzeitiger Spezialisierung an an den einzelnen Klinikstandorten, die konsequente Digitalisierung, eine moderne EDV-gestützte Plattform für den Austausch von Patientendaten, der Ausbau der Telemedizin und die symbiotische Verschmelzung zuvor getrennt agierender Krankenhäuser. Tatsächlich fielen bei mehreren der Redner immer wieder zwei Schlagworte: „Macher“ und „Visionär“. „In Ihrer Person verschmelzen Visionär und Arzt“, findet Landrat Dietmar Allgaier. „Sie sind nicht nur Chef des Klinikverbundes, Sie sind ein Macher“, attestiert ihm Dr. Layla Distler, Referatsleiterin Krankenhausplanung im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg. Und Professor Dr. Hans-Jürgen Hennes gibt seinem scheidenden Kollegen mit auf den Weg: „Du bist ein Macher und Visionär, aber in allererster Linie immer Arzt geblieben“.

Das „Nach-vorne-Schauen“, das „Dinge ausprobieren, die es noch nicht gibt“, war immer Teil der Arbeitsweise von Professor Dr. Jörg Martin, auch daran ließen die medizinischen und politischen Hochkaräter am Rednerpult keinen Zweifel. „Sie haben Veränderungsprozesse erahnt, bevor sie da waren“, bescheinigt ihm Prof. Dr. Thomas Schiedeck, Ärztlicher Direktor der Klinik Ludwigsburg. „Mit Ihrer Technikbegeisterung haben Sie früh erkannt, dass Digitalisierung eine notwendige Weiterentwicklung ist“, meint Thomas Krüger, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Baden-Württemberg. Und Prof. Dr. Frederik Wenz, Leitender Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik Freiburg, sieht in Jörg Martin einen verlässlichen Partner und Treiber. Offene und wertschätzende Worte gab es sogar von Gesundheitsminister Manne Lucha, der per aufgezeichnetem Grußwort aus Stuttgart zugeschaltet war. „Ich möchte mich von Ihnen gar nicht verabschieden“, so der Minister, „ich hoffe, dass wir in einer neuen Rolle gemeinsam etwas bewegen können.“

Man darf sicher sein, dass das Kapitel RKH nicht das letzte in der Biografie von Professor Dr. Jörg Martin sein wird, auch wenn er, seinem Alter nach, längst in den Ruhestand überwechseln könnte. „… denn dass es das nicht war, betrachte ich als sicher“, bestätigt auch Martins langjähriger Weggefährte und Vertrauter Roland Walther, Regionaldirektor der RKH-Kliniken des Landkreises Karlsruhe, der als Einziger an diesem Abend den im Raum stehenden Elefanten offen und frei thematisiert. Der Übergang innerhalb der RKH von Geschäftsführer Professor Dr. Jörg Martin hin zu einer neuen Doppelspitze verlief demnach keineswegs harmonisch oder gar reibungslos. Das zurückliegende Jahr war vielmehr geprägt von Disputen und einer Toxizität, die im Endergebnis sowohl die RKH als auch ihren scheidenden Geschäftsführer beschädigt haben dürfte. „Da sind Konflikte aufgebrochen, die gelöst werden mussten, aber so, wie es sich gehört hätte: hinter dicht verschlossenen Türen, mit offenem Visier, getragen von gegenseitigem Respekt und auf Augenhöhe. Aber auf keinen Fall lanciert über die regionale Presse, in breitester Öffentlichkeit und unter dem Schutz der gesichtslosen Anonymität von – Zitat – ‚Welchen, die es wissen müssen‘“, so Roland Walter.

Jörg Martin’s letzte Worte hallen indes leise und diplomatisch nach: „Manche Dinge kann ich unterschreiben, manche multiplizieren“, und bezüglich der auch von Landrat Allgaier aufgegriffenen Medienschelte: „Ich bin die ganzen Jahre fair von der Presse begleitet worden“, fügt er hinzu, in Anbetracht der vergangenen Monate aber auch: „Es war nicht schön“. An seine Nachfolger, die jüngst gekürzte RKH-Doppelspitze bestehend aus Axel Hechenberger und Dr. Marc Nickel, formuliert er am Ende noch einen Wunsch hinsichtlich seiner in der RKH geleisteten Arbeit: „Bitte nicht gleich alles ändern“.

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