Samstags simmer Globus

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Das Mysterium der wöchentlichen Kraichgauer Shopping-Wallfahrt

Eine Kolumne von Thomas Gerstner

Als wäre es gestern gewesen, kann ich mich noch ganz genau an meine ersten Tage im Kraichgau erinnern. Am Freitagabend inmitten dichten Verkehrs angekommen, den glubschaugigen Ford Transit in die Auffahrt gestellt, Schlafsack ausgeladen und zwischen Kartons und frischer Farbe sofort eingeschlafen. Am nächsten Morgen wollte ich mich erstmal in meiner neuen Hood umsehen und den Nachbarn guten Tag sagen. Also rein in die Schlappen, die Treppe runter und raus auf die Straße….dann der Schock. Wo gestern noch das Leben pulsierte, war an diesem Samstagmorgen – nichts. Kein Mensch auf den Straßen, kein Auto, noch nicht einmal die Vögel zwitschern. Ich irrte herum und meine zunehmend verzweifelten Rufe verhallten ungehört zwischen den Häuserschluchten. Ich riss mich zusammen und sagte mir: “Ganz ruhig Tommy, du hast Quiet Earth, Die Nacht der lebenden Toten und I am Legend tausendmal gesehen, du weißt was zu tun ist”.

Als ich also gerade mit der Brechstange und dem großen Trekkingrucksack auf Plünder-Tour bei den Nachbarn gehen wollte, halten diese auf einmal mit ihrem Minivan in der Auffahrt. Mit einem Hechtsprung hinter die Petunien, bringe ich mich schnell außer Sichtweite und beobachte die folgenden Szenen. In den nächsten Minuten entladen die Nachbarn ungefähr 25 Tüten aus dem Wagen, eine jede bedruckt mit einem Logo das aussah als ob ein sowjetischer Mediengestalter es irgendwann 1972 für die Vermarktung von Kolchosen-Produkten entworfen hätte. In brutalistischen, schwarz-weiß umrandeten orangenen Buchstaben, stand da das Wort Globus auf einem grünen Oval gedruckt. Was hatte es mit dieser Rune nur auf sich?

In den folgenden Tagen konnte ich mehr über dieses Mysterium herausfinden. Offenbar gibt es im Kraichgau ein uraltes Ritual, dass alle Einwohner ausnahmslos an einem jeden Samstagmorgen vollziehen. Direkt nach dem Aufstehen zieht sich die ganze Familie an und fährt gemeinsam zur Wallfahrt an einen geheimnisvollen Ort der sich “Globus Wiesental” nennt. Dabei handelt es sich Gerüchten nach um ein Einkaufszentrum das in etwa die Ausmaße des Fürstentums Liechtenstein hat. Meiner Vermutung nach musste dort irgendwo ein sehr leistungsstarker Sendemast stehen, der jeden Samstag gegen 8 Uhr in Betrieb genommen wird und einen unterbewussten Lockruf in die Kraichgauer Gehirne induziert. Da ich als einziger offenbar immun gegen diese Signale war, beschloss ich mir diesen mysteriösen Ort aus der Nähe anzusehen.

Ich steige also in meinen Transit und steuere das orange-grüne Königreich am Rande Wiesentals an. Dort angekommen erschlägt mich die schiere Größe und die Weitläufigkeit der Anlage. Durch ein Labyrinth aus Einbahnstraßen, Kreisverkehren und Einfahrten gelangt man schließlich auf den 16 Millionen Stellplätze umfassenden Hauptparkplatz des heiligen Globus. Ich ergattere eine Parkbucht, von der aus ich das Hauptgebäude in weiter Ferne am Horizont gerade noch erkennen kann. Um mich herum sind unfassbar viele Menschen unterwegs, schieben Einkaufswagen, laden Tüten in Kofferräume und der Strom ankommender und abfahrender Autos scheint unerschöpflich. (Kleiner Tipp an dieser Stelle an alle potentiellen Einbrecher: Am Samstagmorgen könnt ihr nach Lust und Laune eurer Arbeit nachgehen! Ihr müsst dabei noch nicht einmal sonderlich leise oder vorsichtig sein, ist eh niemand zu Hause)

Um das große Hauptgebäude herum stehen noch viele weitere Bauwerke, in denen Getränke, Baumarktartikel, Möbel, Pflanzen, Benzin und vieles mehr feilgeboten wird. Auf einer Fläche auf der problemlos eine der kleineren Kraichgau-Gemeinden Platz hätte, kann man hier so ziemlich alles einkaufen was man sich nur vorzustellen vermag.

Geistesabwesend schnalle ich einen der grünen Einkaufswagen von seinen Artgenossen ab und betrete das hoch über mir aufragende Hauptportal unter dem stilisierten Globus. Überall und um mich herum strömen Massen an Menschen – die Luft schwanger mit der Kakophonie ihrer Stimmen. Was wollen sie nur alle hier – was ist das Geheimnis dieses Ortes? Bekommt man hier, was man anderswo nicht bekommt? Suchend sehe ich mich nach Aktionsständen mit Angeboten wie “Ein Kilo feinstes kolumbianisches Heroin für nur 2,99 €” um, kann aber nichts dergleichen finden.

Nach Stunden des Herumirrens zwischen endlosen Korridoren und Regalreihen, ziehe ich für mich ein kleines Fazit: In aller erster Linie ist der Globus groß, sehr groß. Kennen Sie die Schlussszene aus Indiana Jones Teil 1, die wo die Bundeslade in diesem riesigen Lagerhaus verstaut wird? Dieses Lagerhaus mutet regelrecht winzig an, gegen die Dimensionen des Globus in Wiesental. Dafür gibt es hier aber auch so ziemlich alles zu kaufen, mit Sicherheit auch Bundesladen in großer Auswahl. Jeder Artikel hier ist in tausend verschiedenen Ausführungen und von zehntausend verschiedenen Herstellern erhältlich. Sie wollen einfach nur eine Tube Senf oder eine Packung Streichhölzer? Kein Problem, Streichhölzer finden Sie von Gang 27 bis 43 – bringen sie aber etwas Zeit mit, so eine Entscheidung darf man sich nicht leicht machen.

Neben den Waren des täglichen Bedarfs, gibt es im Globus aber auch noch eine ganze Flut weiterer Angebote. Man kann hier essen, sich die Haare schneiden lassen, Spielwaren, Elektronik oder Klamotten einkaufen, Lebensmittel gibt es vorzugsweise auch laktosefrei, glutenfrei oder vegan und man munkelt sogar dass es irgendwo in den hintersten Winkeln des Globus eine Filiale von Ollivanders Fachgeschäft für Zauberstäbe geben soll.

Mich persönlich als Liebhaber des Discounter-Konzeptes “Ein Produkt pro Kategorie” packt das Globus-Fieber bis heute nicht…viele Menschen im Kraichgau aber schwören auf den wöchentlichen Besuch in Wiesental. Nicht wenige nehmen dort erst einmal ihr Frühstück zu sich und erledigen dann die gesamten Wochen-Einkäufe an einem Tag. Man trifft dort nicht nur Familien und Berufstätige die unter der Woche keine Zeit für Einkäufe haben, sondern auch jede Menge Senioren die sich in diesem quitschlebendigen Trubel sichtbar wohlfühlen.

Wenn man den Globus Wiesental googelt, stößt man auf nicht weniger als über 6300 Rezensionen von Kunden, die im Schnitt 4,5 von 5 Sternen vergeben. Diese haben es sich sogar nicht nehmen lassen hunderte Fotos und persönliche Erinnerungen an Ihren Besuch hochzuladen und loben besonders die große Auswahl, die Freundlichkeit des Personals und die Qualität des Sortiments. Wer nicht gerade ein klaustrophober Misanthrop wie der alte Tommy ist, scheint hier also dem Vernehmen nach voll auf seine Kosten zu kommen. Sollte der Globus jemals aus Wiesental abwandern, werden die Anzahl verschreibungspflichtiger Antidepressiva und die Selbstmordrate im Kraichgau über Nacht vermutlich förmlich explodieren.

Mit diesem Phänomen gilt es sich also als Kraichgauer in jedem Fall anzufreunden. Auch noch heute – viele Jahre später – bekomme ich, wenn ich versehentlich die naive Frage stelle: “Was machsch am Samstag?” immer wieder die verwunderte und völlig selbstverständliche Antwort: “Samstag simmer Globus!”. Sorry, mein Fehler, was auch sonst.

Artikel erschien zuerst im Sommer 2019

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