Warum Ortsumgehungen nicht der Weisheit letzter Schluss sind…
Eine Meinung von Philipp Martin
In den Köpfen vieler verkehrsgeplagter Menschen ist die Umgehungsstraße der helle Silberstreif am grauen Horizont. Genau im Moment der Eröffnung dieses Heilsbringers versiegt der Verkehr im Ort und alle Menschen tanzen nackig und glücklich auf den fortan leeren Straßen und Plätzen. Tatsächlich bringt eine solche Straße im Idealfall Entlastung – wenn auch nicht in jenem Umfang den man sich vielleicht wünschen würde.
Und nun halten Sie sich fest: Manchmal geschieht sogar das exakte Gegenteil. Bereits vor etwa 16 Jahren hat der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) wissen wollen, ob Orte mit oder ohne Umgehung besser fahren. Das Ergebnis nach einer Überprüfung in mehreren baden-württembergischen Gemeinden im Land haut einen glatt vom Hocker. Der Verkehr in Orten mit einer Umfahrung hat nach deren Fertigstellung sogar häufig stark zugenommen im Vergleich zu Orten ohne eine solche Ausweichstrecke. Doch wie das? Durch eine Umgehung wird nur der Durchgangsverkehr herausgefiltert – das Trio aus Ziel-, Quell- und Binnenverkehr bleibt in der Stadt und macht den gigantischen Löwenanteil des Gesamtaufkommens aus.
So einfach ist es nicht
In Bretten und Bruchsal kennt man diese Rechnungen genau und muss dies in der ewig aktuellen Diskussion berücksichtigen. Einfach zu sagen: „Alles klar, bauen wir die Straße“, macht dabei aber keinen Sinn. Wenn dadurch am Ende wunderschöne Landschaft zerstört wird, die Städte von noch mehr Abgasmeilen eingekeilt werden und das Ganze am Ende sogar noch mehr Verkehr produziert – wem wäre damit geholfen? Dazu kommen noch viel pragmatischere Stolpersteine. Eine Umgehungsstraße kostet richtig viel Asche – ohne Bezuschussung des Bundes geht da gar nichts. Die entsprechenden Bauprojekte landen – wie in Bretten und Bruchsal geschehen – nach erfolgreicher Prüfung im Bundesverkehrswegeplan, einer Art Masterplan für Bauvorhaben in den kommenden Jahren. Dieser Plan hat ein gewisses Budget, das immer gnadenlos überzeichnet ist. Wenn dann in den Kommunen Diskussionen losbrechen, z.B. über Anwohnerproteste oder Naturschutzfragen, dann rutscht ein Einzelprojekt schneller vom Silbertablett als man gucken kann.
Das Problem der Menschen in den Städten bleibt aber bestehen. Immer mehr Verkehr drückt sich durch Straßen, die dafür schlicht niemals konzipiert wurden. Die Gründe dafür sind vielseitig. Auch unsere regionale Wirtschaft wächst weiter und die Waren und Rohstoffe müssen irgendwie vom und auf das Gelände, immer mehr Menschen pendeln und unterhalten mehrere Autos, zudem fordert auch der weiter boomende Online-Handel seinen Tribut. Oder wie sollen die hübschen Amazon-Päckchen sonst zu Ihnen kommen? Ein Prozent mehr Verkehr pro Jahr ist nach den letzten Statistiken die grobe Faustregel.
Was kann man also tun?
Transport und Logistik neu durchdenken, den ÖPNV stärken, Städte und Verkehrswege alternativ konzeptionieren – soweit es eben möglich ist. Bei neuen Stadtviertel kann von vorneherein ein entsprechendes Verkehrskonzept entwickelt werden, doch für bestehende Städte wird es im wahrsten Sinne des Wortes eng. Nehmen wir einmal Bretten als Beispiel. Die Stadt ist 1250 Jahre alt und deren Bauherren planten anno dazumal aus naheliegenden Gründen nicht mit einem niemals endenden Strom an LKWs mit 40 Tonnen oder mehr.
Was bleibt? Das Abreißen historischer Gebäude und die Errichtung vierspuriger Straßen? Die Untertunnelung der Stadt? Park and Fly-Anlagen mit stadteigener Helikopter-Flotte? Nein, am Ende ist es eine Mischung aus Feintuning und einem von Experten und durch Studien gestützes Verkehrsmanagement in den Innenstädten. Neue Straßen helfen dabei nur in Einzelfällen, weil eben diese auch noch mehr Verkehr anlocken können. Eine dauerhafte Lösung für das Problem verstopfter Innenstädte zu finden, ist aber – wie alle komplexen Fragen im Leben, nicht so einfach aus dem Ärmel zu schütteln. Wenn Sie einen Maßkrug Bier haben, passt in diesen exakt ein Liter Bier. Und wenn Sie noch soviel nachschütten, drücken, pressen oder schütteln – in das verdammte Ding passt am Ende nur ein verdammter Liter.
(erstmals erschienen 2017)