Lost Places – Der alte Gutshof am stillen Meiler

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Geister der Vergangenheit auf der Philippsburger Rheinschanzinsel

Im Norden Philippsburgs, eingerahmt vom Gevatter Rhein und dem Philippsburger Altrhein, findet sich auf weiter Fläche die immergrüne Rheinschanzinsel. Bis vor kurzem hätte jeder Mensch in weitem Umkreis nach nur wenigen Sekunden mit dem Finger treffsicher in ihre Richtung zeigen können, wiesen doch die unermüdlich dampfenden Schlote des Atomkraftwerkes unübersehbar auf ihre Lage hin. Tatsächlich dominiert die nun ruhende Anlage des jüngst heruntergefahrenen Kraftwerkes, die weiten und flachen Auen der Insel bereits seit über einem halben Jahrhundert.

Doch in der langen und bewegten Geschichte der Rheinschanzinsel, ist das Kraftwerk im Grunde nur ein kurzer Lidschlag der Zeit. Bereits 1673 errichtete die französische Armee im damals noch “Neu Holland” genannten Gebiet eine mächtige Kaserne und befestigte das Gelände nach den damaligen militärischen Maßgaben. Philippsburg war einst stark umkämpft – bereits 1644 eroberten die Franzosen die Stadt, verloren sie 1676 an die Reichsarmee, um sie schließlich 12 Jahre später erneut zu erobern.

Um die Jahrhundertwende zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert endeten die mitunter blutigen Scharmützel mit den Franzosen und auch die militärische Nutzung des Areals mündete in der Vernichtung der Festungsanlagen durch Napoleon. Nach dem wilden und langen Jahren des Krieges, kehrte auch auf der Rheinschanzinsel Ruhe ein. Im Heimatbuch von 1975 beschreibt der Verwalter Alfred Boger die Insel als idyllisches Fleckchen. Kein Verkehr, kein Lärm, dafür herrliche Alleen inmitten von Obstbäumen, Auenwälder, kleine Holzbrücken und ansonsten Wiesen und Felder soweit das Auge reicht. Die landwirtschaftliche Nutzung prägte lange Jahre das Wesen der Insel, maßgeblich dafür standen drei Höfe: Der Unterhof, der Hof am Preußenweg und der Mittelhof.

Letzterer ist als “Last man standing” über die vergangenen Jahrzehnte hinweg zu einem tristen Symbol des Verfalls und der Vergänglichkeit geworden. Als letztes, verbleibendes Hofgut auf der Rheinschanzinsel schwindet der Mittelhof seit Jahrzehnten beständig. Bis auf den 1907 errichteten Pferdestall, entstanden die meisten seiner Gebäude bereits im Jahr 1843. Bewirtschaftet wurde der Betrieb hauptsächlich mit der Haltung von Tieren. Die Namen der alten Flurstücke weisen immer noch darauf hin: “Hammelstück”, “Hammelweide” und “Tränkweide” lassen so z.b. Rückschlüsse auf die Haltung von Schafen zu.

historische Aufnahme des Gutshofes auf der Rheinschanzinsel / Bild: Steinel-Hofmann

Hof und Ländereien wurden 1872 von der Zuckerfabrik in Waghäusel gepachtet. Künftig sollte hier mitunter der Anbau von Zuckerrüben den Bedarf der Fabrik sichern. Über eine Holzbrücke wurden die Feldfrüchte über die kurze Strecke nach Waghäusel transportiert. Nach dem Ersten Weltkrieg gestattete Südzucker den vom Krieg gebeutelten Philippsburgern, den Anbau von Gemüse zur Eigenversorgung auf der Rheinschanzinsel.

Bis ins Jahr 2005 wurde der Mittelhof noch von Mitarbeitern der Firma Südzucker bewohnt, danach erwarb die EnBW den Gebäudekomplex. Als sich mit der Katastrophe von Fukushima das Ende der Kernkraft in Deutschland abzeichnete, stand der Hof erneut zum Verkauf. Vor einiger Zeit erhielten schließlich zwei Landwirte gemeinsam den Zuschlag. Was sie mit der unter Denkmalschutz stehenden Anlage vorhaben, entzieht sich unserer Kenntnis – der Gutshof liegt jedoch nach wie vor in einem tiefen Dornröschenschlaf, aus dem er bis heute nicht mehr erwacht ist.

Die Fenster sind längst zerbrochen, die Haustür steht sperrangelweit offen und gibt den Blick auf ein durch Vandalismus verwüstetes Inneres frei. In der Scheune verrosten alte Traktoren und Gestrüpp und Unkraut haben längst damit begonnen die Fassade des historischen Anwesens Stück für Stück zu erobern. An die historische Vergangenheit des Geländes erinnert aber noch heute der Blick aus der Vogelperspektive. Die gezackten Polder gegen die immer wiederkehrenden Hochwasser des Rheines, sind den Umrissen der alten Festungsanlagen nachempfunden.

dieser Beitrag erschien zuerst 2020

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4 Gedanken zu „Lost Places – Der alte Gutshof am stillen Meiler“

  1. Erika
    Wir fahren dort ganz oft mit dem Fahrrad vorbei. Es tut uns in der Seele weh, diesen früher so stolzen Gutshof dem Verfall preisgegeben zu sehen.

  2. So ein wunderschöner gutshof, wie viel hätte einst einer daraus machen können! Sehr traurig macht mich zu sehen wie er immer und immer mehr zerfällt…..

  3. Sooo schade wie dieser wunderschöne Bauernhof zerfällt. Sofort würde ich dieses Gelände kaufen und dem Bauernhof eine neue Chance zum aufleben geben!

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