“Ich habe in meinem Leben viel Mist gebaut… ich würde es jederzeit wieder tun”

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Ein ganzes Leben für die Musik. Chip Fitzgerald hat den amerikanischen Rock’n’Roll-Traum gelebt, verkehrte mit Legenden wie Joe Cocker oder Jimi Hendrix…bis ein Flugzeugabsturz alles veränderte.

Da sitzt er. Die Hände ganz entspannt um die große Kaffeetasse gefaltet, im wärmenden Licht der Kraichgauer Aprilsonne. Seine Hände erzählen bereits die halbe Geschichte seines Daseins. Wild, ledrig, zerfurcht, voller Charakter… die Hände eines Menschen, der sein ganzes Leben lang hart gearbeitet – nichts ausgelassen hat.

80 acres Land hat Chip Fitzgerald bestellt, das entspricht stolzen 33 Hektar. Ganz allein hat er seine Farm betrieben, da draußen in den weiten Ebenen Ohios. Doch Chip ist mehr als nur ein gewöhnlicher Farmer, seine Geschichte geht tiefer, reicht viel weiter zurück. Den Großteil seines Lebens hat er auf der Bühne verbracht, Seite an Seite mit Legenden der großen amerikanischen Ära des Rock’n’Roll und des Blues. Mit seinen Bands hat er gigantische Konzerte für Joe Cocker oder Grateful Dead eröffnet, saß mit Jimi Hendrix in einem kleinen Café, als dieser die Speisekarte spontan in einen Liedtext verwandelte. Er war immer auf Tour, immer unterwegs. Jeden Tag eine neue Stadt, ein neuer Ort… die Nächte waren seine Tage, wild und rastlos. Chip Fitzgerald hat ein Leben voller Höhepunkte und in wahnwitziger Geschwindigkeit gelebt, bis er eines Tages beschloss mit beiden Füßen auf die Bremse zu steigen und sich ganz neu zu erfinden.

So ging alles los – ein Bandcontest an Chips High School. „The Mankind“ traten gegen Chips Band „The Disciples“ an

Eigentlich beginnt seine Geschichte aber schon in den späten 40er Jahren. Chip kommt 1947 in Cleveland auf die Welt. Das Jahr in dem Harry S. Truman seine berühmte Doktrin verkündet, Indien sich von Großbritannien lossagt und der Marshallplan den kriegsgebeutelten Staaten Europas unter die Arme greift. Chips Mutter war damals Telefonistin bei einer staatlichen Telefongesellschaft, verband in der Vermittlungsstelle noch verschiedene Teilnehmer mit Steckern und Kabeln. Sein leiblicher Vater spielte damals in Chips Leben keine echte Rolle, war nur eine flüchtige Liaison der Mutter, eine Affäre zwischen Tür und Angel. Aufgezogen wurde Chip durch seinen Stiefvater, über den er auch das erste Mal in Kontakt mit der Musik gekommen ist. Während seine Mutter in ihrer Freizeit gerne tanzte, spielte er Mundharmonika.

In der Highschool begeisterte sich Chip für den damals äußerst populären Rock aus England. Die amerikanische Hitparade war Mitte der 60er voll von Bands aus dem Vereinigten Königreich. “British Invasion” nannten die Amerikaner dieses Phänomen. Mit seiner Schulband spielte Chip auf lokalen Veranstaltungen, damals noch als Drummer am Schlagzeug. Mit 20 Jahren kaufte er sich dann in einem New Yorker Pfandleihhaus seine erste Gitarre, eine Gibson SG Custom. Das war anno 1967 und wer jetzt unweigerlich an Bryan Adams Hit “Summer of 69” denkt, der liegt goldrichtig. Auch Chip zitiert die berühmten, ersten Zeilen, die stellvertretend auch für sein Lebensgefühl in dieser Zeit standen: “I got my first real six string – Bought it at the five and dime. Played it till my fingers bled. Was the summer of ’69”.

The Case of ET Hooley 1967 in New York (Chip in der Mitte)

Von da an gab es für Chip nur noch die Musik. Er sang, er trommelte, er spielte Gitarre. Er war Leadsänger bei den “Disciples” und später Teil von “The Case of E. T. Hooley”. Mit dieser Formation spielte er von Ende der 60er bis Anfang der 70er “heavy psychedelic blues rock” – ähnlich wie Jimi Hendrix oder Cream. Die Jungs erlebten einen echten Höhenflug, wurden für Gigs in legendären Clubs wie dem “Electric Circus” oder dem “Trude Heller’s” in New York gebucht. Doch nicht nur am Big Apple… “The Case of E. T. Hooley” spielte überall – kreuz und quer ging die wilde Fahrt mit dem Tourbus durch die vereinigten Staaten. Chips Leben war ein einziges psychedelisches Kaleidoskop aus Hotelzimmern, Bühnen, kreischenden Fans, Frauen, Alkohol und Drogen… “Ich war dauernd high, habe manchmal nicht mehr viel mitbekommen” erzählt er. 1969 war er sogar auf dem legendären Woodstock-Festival, kann sich aber nicht mehr wirklich daran erinnern. Drogen waren damals omnipräsent, man konnte sich ihnen kaum erwehren, sie wurden hinter der Bühne wie Bonbons herumgereicht. Nicht wenige seiner Kollegen, blieben hierbei irgendwann auf der Strecke. Chip lebte damals ein Leben auf der Überholspur und ohne Sicherheitsgurt. Das viele Geld gab er aus, so wie es hereinkam.. Schnelle Autos, Sex, Drogen – nur der Augenblick zählte. Er lernte eine Frau kennen, heiratete, wurde Vater, ließ sich scheiden und zog weiter. Ein ruhiges Leben, sesshaft in einem kleinen Haus mit weißem Gartenzaun, als ehrlich arbeitender Familienvater, konnte er sich nicht vorstellen. Dafür war er einfach nicht gemacht. Chip fühlte sich auf der Bühne wohl, auf den großen noch sehr viel mehr als auf dem kleinen. Wenn der Vorhang auf- und die Lichter angehen, der Verstärker brummt und die Gitarre schreit, dann ist er in seinem Element.

Hände die die Geschichte eines Lebens voller harter Arbeit erzählen

So verging die Zeit, die Jahre rasten dahin und die Musik änderte sich. Mit dem was heute in den Charts punktet, kann sich Chip nicht anfreunden. “Der Computer hat die Musik getötet, das was heute läuft, hat kein Herz und keine Seele mehr” sagt er überzeugt. Zur Jahrtausendwende lässt Chip den Tour-Alltag hinter sich und wird das, was er sich bis dahin nicht vorstellen konnte: Sesshaft. Wenn es überhaupt einen Auslöser für diese Entscheidung gab, dann jenen schicksalshafte Silvestertag 1985. Damals kam einer von Chips besten Freunden bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Er starb zusammen mit Ricky Nelson, dessen Band und seiner Freundin auf einem Feld nahe der texanischen Kleinstadt De Kalb an der Grenze zu Oklahoma.

Chip kehrt in Folge nach Ohio zurück, muss dort fast bei Null anfangen. Weil seine Sachen im Hause seines besten Freundes gelagert waren und dessen Witwe nach seinem Tod alles ohne Rücksprache weggegeben hat, gibt es kaum noch physische Berührungspunkte mit seiner Vergangenheit. Chip mietet sich ein kleines Apartment, spielt nur noch auf den Bühnen rund um Cleveland, so hält er es bis heute. Um die Jahrtausendwende kauft er sich mit dem Rest seines ersparten Geldes eine kleine Farm bei Middlefield – bestellte in Eigenregie die eingangs erwähnten 33 Hektar Land. Das würde er auch bis heute noch tun, hätte ihn nicht ein damaliger Bekannter übers Ohr gehauen und Chip um fast seinen gesamten Besitz gebracht. Es ist eine komplizierte Geschichte die er erzählt, deren Ausführung an dieser Stelle aber des Guten zu viel wäre. Am Ende bleibt Chip jedenfalls nur so viel Geld, dass er sich davon ein kleines Häuschen in der Kleinstadt Maple Heights kauft – dort lebt er noch heute. Vor einigen Jahren lernte er durch Zufall den Kraichtaler Musiker Simon Buss kennen, der zu jener Zeit durch die Staaten reiste. Die beiden wurden Freunde und Chip besucht Simon seither regelmäßig für Musikprojekte hier im Kraichgau. Gerade haben sie in Münzesheim zusammen ein neues Album aufgenommen, so ergab sich auch die Gelegenheit für dieses Interview.

Chip beim Hügelhelden Jubiläumskonzert 2019 im Kelterhaus Ubstadt

Zwischenzeitlich ist Chip das, was man hierzulande altersmilde nennt. Er hat wieder Kontakt zu seiner damaligen Ehefrau, auch zu seiner Tochter. Was er ihr mit seiner Abwesenheit als Vater angetan hat, das weiß er genau – steht aber zu den Entscheidungen, die er im Leben getroffen hat. “Es war schrecklich was ich getan habe, aber ich würde es wieder tun” sagt er – ist sich der bittersüßen Ironie dieser Worte durchaus bewusst. Doch das bescheidene, kleine Leben, das er nun führt, ist ihm eben immer noch nicht in Mark und Blut übergegangen. Er vermisst das Tourleben, vermisst es unterwegs zu sein und das obwohl er schon 75 Jahre auf dem Buckel hat. Das Alter spielt für ihn ohnehin keine echte Rolle. “Ich werde niemals alt” sagt er und ergänzt: “Ich habe ein tolles Leben gehabt”.

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2 Gedanken zu „“Ich habe in meinem Leben viel Mist gebaut… ich würde es jederzeit wieder tun”“

  1. Mehr kann man einem Leben nicht abringen!
    Das ist was anderes als immer nur bräsig dasitzen!
    Respekt und alles Gute!!!

  2. Mein größter Respekt vor dieser Lebensgeschichte.Wie schön so zufrieden auf sein Leben blicken zu können. Alles Gute für die nächste Zeit.

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