Wie ist die Situation für Obdachlose im Kraichgau?
Das Medienecho in den vergangenen Tagen war groß. Kein Wunder, bargen doch die Aussagen von Julia Schlembach, Referentin für Wohnungslosenhilfe bei der Diakonie Baden reichlich sozialen Sprengstoff. Schlembach hatte sich kritisch über das Vorgehen der Ordnungsämter geäußert, die demnach Obdachlose wegen Verstößen gegen die Corona Verordnungen mit hohen Bußgeldern belegten: “Das sind zum Teil horrende Beträge, die von den Ordnungsbehörden besonders vehement eingetrieben werden”, so ein viel geteiltes Zitat der Referentin in unzähligen Medienberichten.
Dass ihre Aussagen auf ein breites Interesse in der Bevölkerung stoßen, verwundert nicht weiter, erscheint doch das Verhängen von Bußgeldern im teilweise vierstelligen Bereich (laut Aussage ein Mitarbeiters eines Karlsruher Tagestreffs gegenüber dem SWR) bei Mittel- und obdachlosen Menschen kaum verhältnismäßig. Wir haben bei der Stadt Karlsruhe nachgefragt und hinsichtlich der Handhabung von Corona Verstößen bei Obdachlosen im Stadtgebiet, folgendes Statement erhalten: “Eingehende Anzeigen zu Ordnungswidrigkeiten, auch im Corona-Kontext, bearbeitet die Bußgeldstelle nach geltender Rechtslage. Die persönliche Lebenslage der Betroffenen ist regelmäßig nicht (direkt) bekannt, würde für die Sachbearbeitung aber auch zu keiner anderen Verfahrensweise führen. Im Rahmen der Anhörung gemachte Angaben, zum Beispiel glaubhafte Angaben zum Tathergang oder zur wirtschaftlichen Situation, können im begründeten Einzelfall zu einer Ratenzahlung oder gegebenenfalls auch angepassten Bußgeldhöhe führen.”
Wie gestaltet sich die Situation aber für obdachlose Menschen außerhalb der großen Städte in unserer ländlichen Region? In Bruchsal beispielsweise wurden seit dem Inkrafttreten der Corona-Verordnungen insgesamt 142 Bußgelder verhängt, keines davon aber bislang gegen Obdachlose. Das Ordnungsamt agiere hier mit viel Fingerspitzengefühl, so eine Sprecherin der Stadt gegenüber hügelhelden.de. Auch in den städtischen Obdachlosenunterkünften habe man sich bereits auf die Pandemie eingestellt und hält einen eigenen Wohncontainer für Obdachlose in Quarantäne parat, um Ansteckungen zu vermeiden.
Pragmatisch geht das Brettener Ordnungsamt mit der Situation der Obdachlosen in der großen Kreisstadt um. Ordnungsamtsleiter Simon Bolg hält zwar fest, dass auch Obdachlose grundsätzlich vor dem Gesetz gleich zu behandeln sind und dies auch für entsprechende Ordnungswidrigkeitsverfahren gilt, man aber auch berücksichtigen müsse dass bei Obdachlosen, die in Gruppen auf der Straße anzutreffen sind, auch möglicherweise von einem Hausstand auszugehen sein könnte. Ein solches Szenario wäre so unter Umständen absolut legal, da die Corona-Verordnung durchaus Spielräume für Angehörige eines Hausstandes einräumen. Simon Bolg stellte aber auch fest, dass dies nicht auf Bretten zuträfe, da man diese “echten” Obdachlosen, sprich jene die tatsächlich auf der Straße leben, in Bretten nicht habe.
“Obdachlos im Sinne des allgemeinen Ordnungsrechts ist derjenige, der kein Dach über dem Kopf hat und demzufolge unfreiwillig Tag und Nacht auf der Straße zubringen müsste, oder dessen Wohnung nach objektiven Anforderungen nicht mehr einer menschenwürdigen Unterkunft entspricht” so definiert es die Stadt Bretten auf ihrer Webseite. In der Stadt gibt es derzeit elf Wohnungs- bzw obdachlose Menschen (Stand April 2020), die in städtischen Notunterkünften Unterschlupf finden. Sollte es zu einer Corona-Infektion in einer Obdachlosenunterkunft kommen, ist die Stadt Bretten vorbereitet: Die infizierten Personen werden von den anderen getrennt. Entsprechende Räumlichkeiten hierfür sind vorhanden. Zudem steht das Ordnungsamt Bretten grundsätzlich Menschen zur Seite, die unfreiwillig obdachlos geworden sind. Bereits im Frühjahr stellte Simon Bolg gegenüber unserer Redaktion so unumstößlich fest: “Jeder der Hilfe benötigt, bekommt auch Hilfe“.