Warum „Trendy“ immer die Vorstufe von „Out“ ist
Eine Kolumne von Tommy Gerstner
Bruchsal am Nikolaustag 2019. Ich flaniere mit hochgestelltem Kragen und locker baumelnder Herrenhandtasche am Handgelenk durch das vorweihnachtliche Treiben in der Stadt. Vor dem Bahnhof treffe ich auf eine große Menschenmenge und bleibe erstaunt stehen. Für die allwöchentliche schwere Körperverletzung auf dem Vorplatz ist es eigentlich noch ein bisschen früh am Tag, also schaue ich mir das Ganze aus der Nähe an. Dort wo normalerweise engagierte Blockwarte in Uniform Knöllchen hinter Windschutzscheiben stecken, haben heute mehrere mobile Fressbuden geankert. Ach ja, da war ja etwas: Die grundsympathische und volksnahe Bahn hatte zum Street-Food-Festival in das idyllische Ambiente des Bahnhofsvorplatzes geladen.
Diesen Trend werde ich auf meine alten Tage wohl nie wirklich verstehen….Statt gemütlich in einer beheizten Dorf-Beize zu sitzen und ein handgeklopftes Schnitzel in Angriff zu nehmen, steht man lieber bei eiskalten Temperaturen in einer langen Schlange an um danach fragwürdige Eigenkompositionen zu überhöhten Preisen aus einem gefalteten Stück Papier zu verdrücken. Irgendwie scheint das ganze aber anzukommen, wo immer auch mit einem Foodtruck geworben wird ist reger Publikumsverkehr garantiert.
Zu meiner Zeit hießen Foodtrucks noch Imbissbuden und es gab statt Pulled-Pork-Burger mit Anchovis an Cherry-Trüffel-Vinaigrette zu 9,80 Euro das Häufchen, nur Schaschlik, Currywurst oder Fischbrötchen. Die Buden waren stinknormale Anhänger aus drögem Plastik und keine umgebauten Spritzenwagen der Feuerwehr aus Taka-Tuka-Land von 1942. Man kam zusammen, aß eine Currywurst mit Pommes, rauchte gemeinsam eine und unterhielt sich über Gott und die Welt. Doch diese Zeiten gehen leider mehr und mehr perdu, mon cherie….
Freunde, was soll der ganze Scheiß? Nur weil etwas neu ist, ist es noch lange nicht besser! Es gibt einen Grund warum sich einfache Gerichte wie Schnitzel, Pommes, Salat oder Currywurst, Toast Hawaii, Gulasch und Erbseneintopf seit Jahrzehnten im ganzen Land behaupten…. weil sie total lecker schmecken! Und hört mir mit der beliebten Keule „Ungesund“ auf. Himmel, was heute in einer Studie in den Himmel gelobt wird, verrottet am selben Abend schon im Fegefeuer der Todsünden. Die einzige Maßgabe für uns sollte sein: Schmeckt mir das, oder schmeckt mir das nicht! Unser Körper weiß es am besten, hören wir doch auf ihn. Probleme bekommen wir immer dann, wenn Kopf und Gesellschaft sich über unsere Grundbedürfnisse stellen wollen. Ich esse lieber mein Schnitzel, fühle mich danach wohl und zufrieden anstatt mir irgendwelche vermeintlichen Superfoods in den Hals zu kippen um danach mit Blähungen und Dünnschiss zu kämpfen.
Experimente bleiben Experimente
Was das sogenannte „Fancy Food“ angeht, so verdankt das Ganze seine Beliebtheit eher unserem Spieltrieb als seinem Geschmack. Bestes Beispiel sind hier die Food Trucks, die auf vielen Großstadt-Festlen die Imbiss-Bude abzulösen scheinen. Man muss es halt mal ausprobieren wenn ein quietsch-bunt bemalter Ami-Truck mit Oklahoma-Rind, Schoko-Minz-Topping in einem Safran-Mais-Ingwer-Patty zu nur 14.80 € wirbt. Wir probieren dass dann, sagen etwas wie „Mmh, interessant“ und kaufen beim nächsten Mal wieder Fritten mit Schaschlik. Warum? Weil man das verdammte Rad nicht dauernd neu erfinden muss! Es gibt ein paar Klassiker der deutschen Küche, die sich über die Zeit einfach bewährt haben. Sie bieten uns etwas Vertrautes, etwas das uns aufmuntert und uns immer mit den guten alten Zeiten eint.
Ist der alte Tommy also ein ewig Gestriger, ein Bauer der nur frisst was er kennt? Ja, absolut. Ich kenne meine Leibspeisen und muss mir und anderen nicht dauernd neu beweisen, was für ein hipper Typ ich doch bin. (Bin ich nicht :-) )Nur weil etwas „In“ ist, ist es noch lange nicht gut. Ab und zu mal etwas neues ausprobieren? Klar, auf jeden Fall! In der Großstadt, in der jeder der eigenen Anonymität mit Extravaganzen entgegenwirken möchte, kann damit vielleicht sogar Geld gemacht werden… im Kraichgau wo wir eine ehrlich und liebevolle Mahlzeit aus Omas Küche jederzeit allem anderen vorziehen, wohl eher nicht. Wenn ich essen gehe, dann will ich das Klopfen der Schnitzel aus der Küche hören, eine stämmige Wirtin mit Lachfalten im Gesicht sehen und kein spindeldürres, gescheitertes Model, das bei der Bestellung meinen Vornamen wissen will um diesen nach erfolgreicher Bereitstellung des Fancy Food ausrufen zu lassen.
Die Realität zeigt´s uns doch
Kommen wir wieder zurück nach Bruchsal und einer persönlichen Vermutung: Warum hat sich jeder Fancy-Food-Laden in bester Lage nur wenige Jahre halten können, während ein Imbiss wie Diemers schon das halbe Jahrhundert voll gemacht hat? Meine Meinung? Ganz einfach: Die Leute bleiben beim Bewährten und dort wo es Ihnen dauerhaft schmeckt. Wenn ich Abends von der Arbeit komme, gestresst und ausgelaugt… dann hält mich der Gedanke an eine Currywurst von Diemers aufrecht.. Ich denke nicht: Boah, jetzt ein Mango-Weißkohl-Katzenpisse-Smoothie und kross gebratene Delphin-Rosetten….mmmh… Nein, ich denke: Jetzt ein Schaschlik und ein Schwatz mit Angelika und Reinhold am Tresen. Keine Überraschungen sondern gute alte Verlässlichkeit. Und um den verehrten Herren und Damen Gesundheitsaposteln die Frage gleich abzunehmen: Ja, mir egal ob ich deswegen etwas früher als die Trendset-Fresser draufgehe… Essen ist für mich schon längst Sex-Ersatz geworden… aber ganz ehrlich: Wer am Ende tatsächlich den Löffel früher abgibt…. nun, mol gugge!
So long, Euer Tommy