“Entspannter Fahrplan” – Verbindungen zwischen Mühlacker, Bruchsal und Bretten werden zusammengestrichen

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Die Menschen verlieren ihr Vertrauen in den Nahverkehr und das Land zunehmend sein Gesicht

Ein Kommentar von Hügelhelden Herausgeber Stephan Gilliar

Die “Friede-Freude-Eierkuchen-Pressemitteilung” aus dem baden-württembergischen Verkehrsministerium liest sich im Tenor wie folgt: Wir sind alle empört, so darf es nicht weitergehen, bald wird alles besser.

Zu lesen sind dort Stimmen der Bürgermeister aus Bretten, Bruchsal und Gondelsheim, des Abellio Geschäftsführers und des zuständigen Ministerialdirektors. Letzterer gibt nebulöse Versprechen wie „Wir arbeiten weiter mit Hochdruck daran, kurz- und mittelfristig Lösungen zu erreichen, um die Lage zu entspannen“ zu Protokoll und stellt den Bahnfahrern Entschädigungen in Aussicht.

Doch die Menschen wollen keine Entschädigungen, sie wollen einen zuverlässigen Nahverkehr, verlässlich und rechtzeitig ihren Arbeitsplatz erreichen und Ihre Kinder pünktlich zum Schulbeginn im Klassenzimmer wissen. Was sie aber stattdessen seit Monaten bekommen, sind regelmäßige Zugausfälle, Verspätungen sowie Versprechungen und Ausflüchte ohne Ende.

Gondelsheims Bürgermeister Markus Rupp hat bereits zu Jahresbeginn vor diesem Szenario gewarnt. In der letzten Zeit schließen sich nun auch Vertreter aus den anderen betroffenen Städten und Gemeinden dem Protest an. Es wird nun realisiert dass ein verhängnisvoller Vertrauensverlust in den öffentlichen Nahverkehr droht, der aber im Grunde bereits vollzogen und schon weit fortgeschritten ist. Ein paar Verspätungen oder Ausfälle wegen Anlaufschwierigkeiten bei einem Systemwechsel? Geschenkt! Das was aber gerade im Kraichgau geschieht, ist eine einzige Bankrotterklärung. Unhaltbar nennt Markus Rupp die derzeitigen Umstände und sieht in der langfristigen Folge auch eine Schwächung der Wirtschaftsstandorte entlang der Bahnstrecke Mühlacker – Bruchsal – Bretten und einen Verlust der Attraktivität als Wohnorte.

Als Grund für die Misere wird nach wie vor das Fehlen von lange bestellten Neufahrzeugen aufgeführt, ebenso fehlerhafte Bord-Software in den mittlerweile gelieferten Triebwagen. Zwar versucht Abellio-Chef Rolf Schafferath zu beschwichtigen und zeigte sich bei dem runden Tisch am Mittwoch in Stuttgart optimistisch, die “Verfügbarkeit der Neufahrzeuge und somit die Stabilität im Netz kontinuierlich zu erhöhen”, doch sind die nun angedachten, kurzfristigen Maßnahmen im Grunde ein großer Schritt zurück und damit in die falsche Richtung.

Angestrebt wird nämlich nun ein sogenannter “entspannter Fahrplan”, was nichts anderes bedeutet als die Reduzierung der Verbindungen und damit eine Verkleinerung des derzeitigen Fahrplans. Ziel soll es demnach sein weniger Verbindungen anzubieten, diese dafür aber stabiler und verlässlicher als in den vergangenen Wochen durchzuführen, bestätigt gegenüber unserer Redaktion Abellio-Pressesprecherin Hannelore Schuster.
Weiteres Ungemach droht laut Markus Rupp spätestens dann, wenn ab dem kommenden Frühjahr die Schnellbahnstrecke Mannheim Stuttgart saniert und der gesamte Ausweichverkehr durch den Kraichgau umgeleitet wird. Wenn eine Vielzahl an Schnellzügen über die oft eingleisige Strecke fährt, dürften die Abellio Züge es sicher nicht leichter haben pünktlich ihre Haltepunkte zu erreichen.

Es scheint als hätten viele der involvierten Entscheidungsträger das ganze Ausmaß und den Ernst der Situation noch nicht wirklich vollumfänglich erfasst. Immer mehr Menschen kehren dem Nahverkehr bereits den Rücken und greifen in der Folge auf ihre Autos zurück – also exakt jenes Szenario das im grünen Muster-Land Baden-Württemberg und in Zeiten eines wachsenden Klima-Bewusstseins nicht passieren darf und soll. Wenn nach diesen katastrophalen Monaten erst absolute Selbstverständlichkeiten wie ein regelmäßiger Informationsaustausch oder eine verbesserte Koordination mit Straßenbaustellen in der Region beschlossen werden, darf man als Bahnfahrer zu Recht bezweifeln ob hier tatsächlich kurzfristig spürbare Verbesserungen erzielt werden können.

Betrachtet man zu dieser Misere auf den Schienen noch die von unzähligen Baustellen geprägte Situation auf den Straßen im Kraichgau, fragt man sich nicht zuletzt ob Baden-Württemberg tatsächlich alles kann außer Hochdeutsch.

Das ganze Interview mit Gondelsheims Bürgermeister Markus Rupp können Sie sich hier als Video ansehen:

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