Der Tiefenbacher Amri Chouba hat in Jordanien Brunnen gebaut, in Spanien eine Bar geschmissen, mit dem Rucksack Indien durchstreift und ein Buch geschrieben. Wohin seine Reise geht, das weiß aber niemand… am wenigsten Amri selbst.
Wenn ich mit Amri am Tiefenbacher Kreuzbergsee entlang spaziere und mir seine Geschichte, oder vielmehr seine vielen Geschichten anhöre, gehen mir unwillkürlich zwei Songtexte durch den Kopf. Da wäre zum einen Hannes Waders “Heute hier morgen dort” und die wie auf Amri zugeschnittene, zweite Zeile: “…bin kaum da, muss ich fort” sowie die U2-Hymne “I still haven’t found what I’m looking for”. Wenn ich mir anhöre, was Amri schon in seine gerade mal 35 Jahre andauernde Biografie gepackt hat, kommen mir meine zurückliegenden 4,3 Jahrzehnte regelrecht ereignislos vor, obwohl sie im Grunde alles andere als das waren. Um Amris Leben zu Papier zu bringen, bräuchte es weit mehr als die folgenden Zeilen, man könnte damit problemlos ein Buch füllen und das obwohl der umtriebige 35-Jährige noch nicht einmal die statistische Mitte seines Lebens erreicht hat. Ich werde mich dennoch im Folgenden bemühen, Ihnen ein grobes Bild zu zeichnen. Es ist ein Bild von einem jungen Mann, der gerade zu übersprüht vor Energie, dem Hunger auf Leben, der Lust nach Neuem und von Rastlosigkeit einer Intensität, dass sie fast physisch greifbar ist.
Amri Chouba ist einer von uns. Ein Kraichgauer, ein Tiefenbacher Bub. Geboren wurde er zwar in Darmstadt, kam aber schon mit vier Jahren ins Katzbachtal. Hier hat er das durchlebt, was man als prototypische Tiefenbacher Jugend bezeichnen könnte. Er besuchte die Grundschule, war im Fußballverein, im Tischtennisverein, trug das Blättle im Dorf aus, verdiente sich sein Taschengeld durch das Einsammeln von Golfbällen und verprasste es für Pommes á 2 Mark die Portion in der Krone. Sein Vater stammt aus Tunesien, lernte beim Studium des Ingenieurwesens in Fulda Amris Mutter kennen. Offenbar erbte Amri die naturwissenschaftliche Begabung des Vaters, denn er glänzte in der Schule, sowohl im Östringer Leibniz-Gymnasium als auch in der Käthe-Kollwitz in Bruchsal besonders in den entsprechenden Fächern. Nach dem Zivildienst in Kraichtal studierte er am Karlsruher KIT Bioingenieurwesen.
Schon sein erster Job bot reichlich Nährboden für seine Liebe zum Abenteuer und seinen Drang, die Welt zu erkunden. Mit einem Biotech-Unternehmen aus Bremen reiste er für mehrere Monate nach Jordanien, um dort eine Trinkwasseraufbereitungsanlage zu errichten und in Betrieb zu nehmen. Durch das von ihm mit verantwortete System konnte dort fortan Brackwasser in Trinkwasser umgewandelt werden, wenn das mal keine sinnstiftende Mission ist. An diesen Auftrag denkt er noch heute mit Sehnsucht zurück, bot er doch die für Amri ideale Mischung aus Praxis, beruflicher Erfüllung und Weltenbummlerei. Doch zu einem weiteren Auftrag sollte es nicht kommen, das Unternehmen musste Insolvenz anmelden, erzählt Amri frustriert. So endete sein erster Job nur wenige Monate, nachdem er begonnen hatte – eine Art Blaupause für Amris weiteren Lebenslauf. Länger als ein paar Monate sollte er es fortan nie an einer Stelle aushalten. Doch davon später mehr.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland lebte Amri eine Weile in einer Bremer Künstlerkommune, bewohnte dort in einer WG ein Zimmer zu einer günstigen Miete. Zurück nach Karlsruhe, wo er zuvor studiert hatte, wollte Amri auf keinen Fall mehr. “Ich hasse Karlsruhe“, sagt er voller Überzeugung und meint damit die studentische Konzentration von Naturwissenschaftlern, die für ihn so viel weniger geistigen Nährboden bietet als die künstlerisch geprägte Szene in Bremen. Doch wenn Amri längere Zeit an einem Ort verharrt, dann brennt ihm das Blut in den Adern, dann wird er unruhig und eine große Kraft, die er gar nicht genau zu umreißen vermag, treibt ihn vorwärts. Schon wenn er davon erzählt, rutscht er auf der Bank während unseres Interviews am Kreuzbergsee hin und her, steht auf, setzt sich wieder, dreht sich hektisch eine Zigarette.
Amri zog also wieder in die Ferne. Reiste von hier nach dort, probierte dies und jenes, eröffnete unter anderem eine Bar nahe einem Militärhafen in Spanien, schloss sie wieder. Er schnallte sich einen Rucksack um und flog nach Indien, zuerst Richtung Mumbai, dann nach Sri Lanka und schließlich nach Kathmandu. Hier kam ihm das erste Mal die Idee ein Buch zu schreiben. Ein Buch, das tatsächlich in den folgenden Monaten während seines Aufenthaltes in einem abgelegenen Fischerdorf allmählich Gestalt annahm und nach langem Kampf und Verlagssuche unter dem Titel “Im Takt einer Beutelratte und anderer Terroristen” erscheinen sollte. Grob zusammengefasst geht es darin um ein Gnu, das die ganze Welt durchstreift, dabei allerlei wundersame Geschichten erlebt, auf die unterschiedlichsten Charaktere stößt, um sich dabei beständig die Frage zu stellen: „Wer bin ich?“. Man muss keine tiefenpsychologische Ausbildung hinter sich gebracht haben, um zu erahnen, dass Amri hier im Grunde seine eigene Biografie abstrakt literarisch verarbeitet hat. Dass er dabei auf einen tierischen Protagonisten gesetzt hat, erschien ihm damals sinnvoll, heute jedoch – so sagt er – würde er es nicht mehr so machen. Mit der Wahl eines Tieres als zentralem Charakter wollte er die derzeit unerbittlich geführten ideologischen Debatten umschiffen, die sich bekanntlich schnell an Attributen wie Geschlecht, Herkunft, Nationalität und Identität entzünden.
Es ist ein Zugeständnis, das es zu achten gilt. Jedoch hätte ich mir bei der Lektüre der ersten Kapitel tatsächlich eine menschliche Bezugsperson gewünscht, die Identifikation mit dem spielerisch angelegten tierischen Protagonisten fiel mir zumindest recht schwer. Nichtsdestotrotz ist der Roman mit dem kryptischen, aber neugierig machenden Titel durchaus lesenswert. Das sehen auch die dazu im Netz aufgeschlagenen Rezensionen so und vergeben für Amris Erstlingswerk durch die Bank Bestnoten. Auf Anhieb gefallen hat das Manuskript auch Amris Lektor vom Berliner Autumnus-Verlag. Er war der erste und einzige nach einer langen Reihe an Versuchen, das Buch an den Mann zu bringen. Eine frustrierende Phase, erinnert sich Amri genau. Jeder Verlag hat seine eigenen Spielregeln, seine eigenen “Modus operandi” was die Annahme von Manuskripten angeht. Manchmal musste man das ganze Buch einsenden, manchmal eine Zusammenfassung, manchmal nur ein Kapitel. “Ich bin mir sicher, viele haben davon überhaupt nichts gelesen“, erzählt Amri. Umso größer die Freude, als der Berliner Verlag sich bereit erklärte, das Buch als Kleinserie auf den Markt zu bringen. Ein paar hundert Exemplare sind davon erschienen, wenngleich das auch kein finanzieller Durchbruch gewesen sein mag, war es doch in jedem Fall ein symbolischer und wunderbarer Vertrauensbeweis.
Doch wer das Buch gelesen hat, wer Amri darüber hinaus kennt, der ahnt, wie das nächste Kapitel in dessen Geschichte aussehen könnte. Natürlich geht die Reise, die Suche weiter. Wohin, das weiß Amri nicht und damit scheint er auch zu hadern. Ein Hadern, das aber eher von außen an ihn herangetragen wird, als dass es von innen kommt. “Müsste ich nicht langsam erwachsen werden, müsste ich nicht langsam eine Familie gründen, ein Haus oder eine Karriere aufbauen? So wie bisher kann es doch nicht immer weitergehen?” Das sind Fragen, die er sich stellt, denn es sind natürlich genau die grundlegenden Fragen, die unsere Gesellschaft im kollektiven Gruppenzwang an jeden von uns heranträgt.
Wenn Sie mich fragen, und damit lehne ich mich nach der einen, mageren Stunde, in der ich Amri nun kenne, zugegeben weit ,weit aus dem Fenster, sind es aber nicht Amris Fragen. Sein Ziel ist der Weg und dieser Weg ist für ihn so spannend und abwechslungsreich, dass ein Rast für ihn zur Qual wird. Als ich ihn frage, wie es für ihn weitergehen könnte, schüttelt er den Kopf, hin und hergerissen zwischen dem, was man von ihm erwartet und von dem, was noch alles möglich wäre. “Vielleicht in Berlin eine Bar aufmachen ,vielleicht Nachtwächter, oder Showmaster“, sprudelt es aus ihm heraus und er rutscht auf seinem Hosenboden auf der Parkbank hin und her. “oder doch einen Job als Ingenieur in Festanstellung?” Die alteingesessenen stoischen Kraichgauer würden ihn vielleicht einen “Hans guck in die Luft”, einen Traumtänzer oder einen Hallodri nennen, mein Urteil würde deutlich milder ausfallen: Amri ist ein Freigeist und ein Suchender und wie ein jeder weiß: Suchende darf man nicht aufhalten.
Wir suchen niemals die Dinge, sondern das Suchen nach ihnen. Blaise Pascal
Ich kenne Amri aus den Fussball Zeiten. Seine Eltern fleißig und er auch.Er hat recht und passt sich dieser unbeständigen Zeit an.Mit dem Wasser fließen, mit den Vögel fliegen. Bleib so wie du bist.