Die Milch-Krise

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Immer mehr Milchbauern geben auf, seit Jahren sinkt die Zahl der Betriebe deutschlandweit. Auch auf dem Hof von Sabine und Rudolf Müller in Bretten sind die Tage die Milchkühe gezählt.

von Stephan Gilliar

Lassen wir zunächst die harten Zahlen sprechen: Etwa 120.000 Milchbetriebe gab es vor 20 Jahren in Deutschland, heute ist deren Zahl auf nur noch etwa 50.000 gesunken. Das sind keine statistischen Schwankungen mehr, keine unwesentlichen Veränderungen, sondern Symptome eines grundlegenden Paradigmenwechsels. Das Image der Milch ist längst nicht mehr so schneeweiß, wie die Werbung es über Jahrzehnte hinweg zu forcieren versucht hat. Um den bekannten Slogan heranzuziehen: Die Milch macht’s … eben nicht mehr. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen boomen vegane Alternativen wie Hafermilch oder Mandelmilch, zum anderen ist aber auch der Preis, den Milchbauern erhalten, nach wie vor so niedrig, dass sich für viel zu viele eine Weiterentwicklung der Betrieb nicht mehr wirklich lohnt.

Auch Sabine und Rudolf Müller werden über kurz oder lang Abschied von ihren Milchkühen auf ihrem Hof im Brettener Salzofen nehmen. Keine leichte Entscheidung, betreibt die Familie doch die Milchwirtschaft bereits in der sechsten Generation. Doch all die Jahre, in denen dieses Geschäft immer schwieriger wurde, sind nicht spurlos an dem Landwirt-Ehepaar vorbeigegangen. Rudolf erinnert sich nur zu gut an die große Milchkrise Anfang des Jahrtausends, als für den Liter Milch nur noch rund 0,23 € gezahlt wurden, obwohl mindestens 0,40 € nötig gewesen wären, um zumindest ohne Verluste wirtschaften zu können. Zwischenzeitlich sind die Preise zwar wieder etwas gestiegen, doch das ganze Drumherum ist teurer geworden. Alleine die Energiepreise lassen kaum noch genug Luft zum Atmen, geschweige denn für die allmählich dringend notwendigen Sanierungen und Modernisierungen. Im Bereich der Aussiedlerhöfe Salzhofen ist hier ohnehin nichts mehr zu machen, den Neubau einer modernen Stallanlage musste die Stadt Bretten vor einigen Jahren aufgrund der Hochwassergefährdung ablehnen. Tochter Jessica wird den elterlichen Betrieb zwar fortführen, jedoch nicht mehr hier in Bretten, sondern im Nordschwarzwald in der Gegend von Calw.

Die Entscheidung der Müllers, die Milchviehhaltung in Bretten auslaufen zu lassen, kann nicht nur an einem einzigen Grund festgemacht werden… es ist eine Mischung vieler Faktoren, die hier zusammenkommen. Neben dem am Standort nicht umsetzbaren Modernisierungsdruck und der schwierigen Preissituation, ist auch das gesellschaftliche Ansehen der Milchviehhaltung für Sabine und Rudolf ein gewichtiger Grund. Es gibt keine echte Achtung mehr vor der Landwirtschaft, erläutert Rudolf den Eindruck, der sich über all die Jahre stetig verfestigt hat. “Satte Menschen satt zu machen ist nicht einfach” bringt er sein Dilemma auf den Punkt, dass der neue “Hypermoralismus”, der sich zunehmend in der Gesellschaft breitmacht, für ihn bedeutet. Rudolf ist durch und durch Pragmatiker, für ihn gilt es das zu tun, was eben getan werden muss. Traumtänzerei ist seine Sache nicht, ein Betrieb kann für ihn nur dann funktionieren, wenn er sich an realen Notwendigkeiten und Gegebenheiten orientiert. Für ihn ist zudem ein Mensch ein Mensch und ein Tier ein Tier.

Obwohl er jede einzelne seiner Milchkühe liebt, ihnen die Köpfe krault, mit ihnen spricht, ist sein Umgang mit Ihnen althergebrachter, landwirtschaftlich-rationaler Natur. Konkret bedeutet das, um genügend Milch zu erhalten und für den Fortbestand des Betriebes vermarkten zu können, werden die Kälbchen nach einigen Tagen von ihren Müttern getrennt. Die weiblichen Kälbchen verbleiben im Stall und wachsen ihrerseits zur Milchkühen heran, die männlichen Kälbchen werden an andere Betriebe weiter verkauft und landen später meist als Schlachtvieh beim Metzger. Wer das das erste Mal hört, sich die Abläufe der konventionellen Milchviehhaltung das erste Mal bewusst macht, fällt nicht selten aus allen Wolken. Immerhin suggeriert die TV-Werbung beständig glückliche Kühe auf Almwiesen, dass aber eben nur dann Milch fließt, wenn zuvor ein Kälbchen geboren wurde, ist vielen offenbar nicht klar. Das Leben einer Milchkuh besteht folgerichtig aus möglichst vielen Schwangerschaften und endet meist dann, wenn das nicht mehr möglich ist.

Ginge es nach Sabine und Rudolf, würden Sie den Muttertieren gerne mehr Zeit mit den Kälbern einräumen, einen neuen Stall bauen, um eine solche Voraussetzungen überhaupt erst räumlich schaffen zu können, doch wirtschaftliche und räumliche Zwänge stehen dem im Weg. Es ist leicht diese Form der Milchviehhaltung zu verurteilen und ihr aus der Ferne jegliche Empathie abzusprechen, doch Familie Müller muss eben den Spagat zwischen dem Wohl ihrer Tiere und einem funktionierenden Betrieb, der sich an den Notwendigkeiten des Marktes orientiert, irgendwie hinbekommen. Das geht nur mit Pragmatismus, doch auch die Müllers sind nur Menschen. An eine ihrer Milchkühe, die cremebraune Adele, haben sie sich über die Jahre hinweg so gewöhnt, dass sie ihren Lebensabend auf dem Hof verbringen darf, auch wenn sie schon lange keine Milch mehr gibt. Eine solche Ausnahme kann aber eben nicht für alle Tiere gewährt werden, da ihre Haltung tagtäglich Geld und Ressourcen verbraucht, die irgendwie wieder reinkommen müssen.

Es wäre nicht fair ausschließlich die Landwirtschaft für die Rahmenbedingungen der Milchviehhaltung verantwortlich zu machen, gerade wir Verbraucherinnen und Verbraucher haben über Jahrzehnte hinweg durch unsere Weigerung angemessene Preise für tierische Produkte zu bezahlen, ein System begünstigt, dass auch auf Hochleistung setzen muss um zu funktionieren. Das Ausweichen auf Bioprodukte ist hier übrigens kein echter “Gamechanger”, denn das Prinzip bleibt im Grunde das gleiche: Ohne Schwangerschaft keine Milch und die Frage nach dem Verbleib der männlichen Kälbchen muss auch in der ökologischen Landwirtschaft irgendwie beantwortet werden.

Vielleicht wird sich die Problematik aber auch ganz von selbst irgendwann erledigen. Wie das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (BZL) vor einer Weile mitteilte, sank die hergestellte Menge an Konsummilch im letzten Jahr um mehr als sechs Prozent auf rund 4,2 Millionen Tonnen. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Konsummilch erreichte zudem ein erneutes Rekordtief.

Auf dem Hof der Familie Müller wird in jedem Fall in absehbarer Zeit das Muhen der Milchkühe verstummen, das steht heute schon fest. Wie als Bestätigung für diese Entscheidung und als kleiner Fingerzeig des Schicksals, musste kürzlich auch ihr perfekt funktionierende Milchautomat stillgelegt werden, weil er keine Kassenzettel ausgeben kann und damit nicht mehr den derzeit geltenden Normen und Regeln entspricht. Bürokratie…. auch eine Möglichkeit den einen oder anderen Stecker zu ziehen.

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9 Gedanken zu „Die Milch-Krise“

  1. Unsere Gesellschaft macht sich leider kein Bild mehr, woher die Milch,oder das Fleisch kommt. Die Werbung oder nichtsahnende Politiker suggerierten einen falschen Weg. Der Gastronomie geht es ähnlich. Wir zählten auch zu dennen, die aufgegeben haben

    • Das Essen kommt aus dem Supermarkt und der Strom aus der Steckdose wozu da noch eine Landwirtschaft die nur die Natur zerstörrt und ein Kraftwerk das nur die Umwelt Verpestet

    • Gerade weil sich die Gesellschaft ein Bild darüber macht woher die Milch kommt geht der Absatzmarkt zurück.
      Kälber werden von der Mutterkuh getrennt um ihre Milch zu Klauen.
      Deswegen bin ich auch umgestiegen.
      Keiner mag Tierquälerei.

  2. Was soll daran schlimm sein wenn eine Kuh jedes Jahr ein Kalb bekommt ..ist bei Wildtieren ganz normal…Übrigens der gut gemanagte Wellnesstall ist die bessere Weide

  3. Ich kann jeden Milchviehhalter verstehen wenn er sich diese miesen Machenschaften von Politikern und denn sogenannten Tierschützern nicht mehr antut. Ich habe auch die Viehhaltung aufgegeben. Sollen doch die sogenannten Besserwisser unser Land ernähren. Armes Deutschland

  4. Statt Deutschland zu stärken , bezieht man lieber Produkte aus dem Ausland. Mandeln werden hauptsächlich aus USA importiert. Bravo 👍

  5. Das Problem in der Urlandwirtschaft ist weltweit das gleiche Problem. Die Erzeugerpreise werden global gesehen immer hinterherhinken. Wachsen oder weichen funktioniert in der Landwirtschaft kaum mehr. Der Kapitaleinsatz im Gegensatz zum Erzeugerpreis klafft immer mehr auseinander. Der Strukturwandel wird sich noch rasant beschleunigen.

  6. Ein sehr guter Bericht von Herrn Stephan Gilliar! Vielen Dank ;-)
    Ich bin selbst auch Landwirtin mit Milchkühe und lese selten so gute Artikel über unsere Branche.

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