Jürgen Conrad ist Franke, 40 Jahre jung, Polizist aus Leidenschaft und seit 500 Tagen Bruchsals oberster Ordnungshüter. Zeit für ein Kennenlernen
von Stephan Gilliar
Ein paar Mal sind wir uns schon über den Weg gelaufen, zum Beispiel am Rande einer der zahlreichen Demonstrationen in den heißen Tagen der Pandemie. Ganz leise und unaufgeregt hat Jürgen Conrad vor rund 500 Tagen im Herbst 2021 das Ruder als Leiter im Bruchsaler Polizeirevier übernommen – so leise, dass er mir danach einfach vom Radar gerutscht ist. Ein aufrichtiges Mea culpa für diesen Fauxpas.Doch Jürgen Conrad ist eben niemand, der sich nur durch seine physische Präsenz Geltung verschafft. Sein zurückhaltendes Wesen und seine Aura lassen vermutlich beim Betreten eines Raumes erst einmal keine Gespräche verstummen, niemanden unwillkürlich Haltung annehmen. Anders als sein Vorgänger Wolfgang Ams oder beispielsweise Kollege Gerald Gack aus dem benachbarten Revier in Bad Schönborn, fehlt es ihm dafür vielleicht noch an Jahren und der kantig-herben Schrotigkeit, die mit selbigen einhergehen.
Doch wie es immer – wirklich immer ein Fehler ist, vom Äußeren auf das Innere zu schließen – ist es das auch im Falle Jürgen Conrads. Im persönlichen Gespräch im rückwärtig gelegenen Teil des alten Bruchsaler Reviers am Barockschloss treffe ich auf einen Mann, der genau weiß woher er kommt, was er will und wo er hin möchte. Mit klarem Blick und wachem Verstand hat er eine gut umrissene Vorstellung davon, wer er ist und was ihn ausmacht. Diese Abgeklärtheit und die daraus resultierende Ruhe, kann zusammen mit seinen junggebliebenen Gesichtszügen leicht fehlinterpretiert werden. Für einen Polizisten gewissermaßen auch ein taktischer Vorteil.
Jürgen Conrad wurde 1983 im fränkischen Ochsenfurt geboren. Er ist das mittlere von drei Kindern, seine Mutter war Hausfrau, sein Vater Handwerker. Nach der Schule stellte sich ihm die große Frage, was er mit seinem Leben anfangen möchte. So bewarb sich Jürgen bei der Polizei, zusammen mit seinem Bruder. Zu jenem Zeitpunkt allerdings eher aus einem Mangel an konkreten Zukunftsvisionen, als aus echter Leidenschaft heraus. Während die Bewerbung seines Bruders wegen einer Nichtigkeit abgelehnt wurde – heute eingedenk des Personalmangels kaum noch vorstellbar – wurde Jürgen sofort akzeptiert und begann seine Ausbildung bei der Bereitschaftspolizei im nahegelegenen Würzburg. Was anfänglich noch eine aus der jugendlichen Ratlosigkeit geborene Behelfslösung war, entwickelte sich schnell zu einem echten Volltreffer. “Es hat gepasst wie Arsch auf Eimer” lacht Jürgen Conrad, der schon in den ersten Tagen lichterloh für den neuen Job in Flammen stand. Das erste Mal in seinem Leben lernte er begierig, anders als während seiner Schulzeit, mit der er so gar nichts anfangen konnte. Das Miteinander, die täglich wechselnden Herausforderungen, das Praxisnahe nahmen ihn voll und ganz für den Beruf des Polizisten ein. Die ersten Stationen seiner Karriere durchlief er in Würzburg, war nach der Ausbildung zunächst bei der Einsatzhundertschaft beschäftigt. Wo immer es damals zur Sache ging, Jürgen war mittendrin. Auf Großdemonstrationen, am Rande von Risiko-Fußballspielen oder beim Besuch des Papstes.
Durch eine Versetzung stieß er danach zum Team der Autobahnpolizei Würzburg. Den ganzen Tag waren Jürgen und seine Kollegen auf den vielbefahrenen Routen der A7 und der A3 unterwegs, wurden Zeugen von mitunter grausigen und haarsträubenden Unfällen. Schon sein erstes Erlebnis als frischgebackener Autobahnpolizist warf Jürgen unbarmherzig ins kalte Wasser. An jenen Tag, an dem ein LKW auf einen Reisebus auffuhr, kann er sich noch bis ins kleinste Detail erinnern. “Als wir die Szene umrundet hatten, mussten wir feststellen, dass zwischen dem LKW und dem Bus noch ein PKW eingeklemmt war. Ein Astra, der am Ende so groß wie ein kleiner Smart war” erinnert sich Jürgen an diesen Unfall, der gleich mehrere Menschenleben forderte. Niemals vergessen wird er auch die Kollision eines mit 180 km/h schnellen Sportwagens, der ungebremst in den stehenden Verkehr hinein raste. “Das waren zwei junge Leute, der Fahrer hat vor Schmerzen geschrien, der Beifahrer saß zusammengesunken in seinem Sitz”. Am Ende haben es beide wie durch ein Wunder überlebt. Bei weitem nicht jede dieser Geschichten, hat aber ein Happy End.
Das es Jürgen Conrad aus Bayern (pardon aus Franken – korrigiert er mich feixend) nach Baden-Württemberg verschlagen hat, war aber weniger der Karriere, als vielmehr der Liebe geschuldet. Schon 1999 hat Jürgen auf einer Jugendreise nach Frankreich seine spätere Ehefrau kennengelernt. So richtig gefunkt hat es aber erst einige Zeit danach. Die beiden entschlossen sich schlussendlich zusammenzuziehen und Jürgen wechselte vom Fränkischen ins Badische, genauer – in die Hauptstadt Karlsruhe. Hierdurch lief Jürgen mehrere Abteilungen, lernte die unterschiedlichsten Bereiche der Polizeiarbeit kennen. So schubsten ihn seine Vorgesetzten wohlwissend um Jürgens Fähigkeiten und Potentiale in Richtung einer Führungsposition. Er nahm am Umlaufverfahren für den höheren Dienst teil, studierte dafür erneut in Villingen. “Ich habe auch einen Master in irgendwas” lacht er und biegt mit seiner Erzählung schließlich auf die Zielgerade ein. Die Frage, wie er nach Bruchsal gekommen ist, beantwortet er dabei reichlich unspektakulär. “Der Job war ausgeschrieben, ich habe mich beworben und wurde genommen”.
Seither ist er Bruchsaler, kannte die Gegend vorher nur durch seine Streifzüge mit dem Motorrad. Mittlerweile wohnt er zur Miete in der Bahnstadt und es gefällt ihm ausnehmend gut in Brusl. “Ich bin hier total angekommen, hier kann man es sich gut gehen lassen“, schwärmt er. Doch Jürgen Conrad kennt die Stadt natürlich auch aus einer anderen Perspektive, aus einer, mit der wir Otto-Normalbürger nur bedingt in Verbindung kommen. So sei Bruchsal weder ein Hotspot für Kriminalität, aber auch längst keine ländliche Idylle. Menschen in psychischen Ausnahmezuständen belasten zunehmend die Beamtinnen und Beamten mit Einsätzen, die fordern und deren Ausgang immer völlig offen ist. Dazu kommen die üblichen Delikte, rund um Gewalt, Übergriffigkeiten und Drogenmissbrauch. Klar zu beobachten ist auch eine Enthemmung vieler Menschen gegenüber den Einsatzkräften der Polizei. “Wir müssen vieles hinnehmen, herbe Beleidigungen aber nicht” weiß Jürgen Conrad seine persönlichen, roten Linien genau zu ziehen. Ob “Bulle” für ihn schon eine solche Beleidigung sei, möchte ich etwas flapsig von ihm wissen und Jürgen entgegnet schlagkräftig: “Besser als Ochse, der Bulle hat seine Eier schließlich noch”. Touché!
Wie es für ihn weitergeht, frage ich am Ende des Gespräches – Brusl forever? Privat – vielleicht ja, aber festlegen möchte er sich nicht. Beruflich – mit Sicherheit nein. In ein paar Jahren wird er weiterziehen, das Ende seiner Karriereleiter ist für ihn hier in Bruchsal noch nicht in Sicht. Bis dahin ist er da, mit seinem 80-köpfigen Team als Ansprechpartner für alle Menschen der Stadt. Zu finden in der Schönbornstraße, direkt am Bruchsaler Schloss. Oder – wenn echte Not am Mann ist – unter der altbekannten, dreistelligen Telefonnummer.