Keine Arbeit wie jede andere – Als Bestatter in Kraichtal begleiten Wilfried und Martina die Verstorbenen auf ihrem letzten Wegstück
Manchmal ist es so, als ob Wilfried und Martina unsichtbar wären… sie sind da und dann doch wieder nicht. Die Gründe dafür sind nicht in irgendeinem obskuren physischen Phänomen zu suchen, sondern in der Psychologie des Menschen. Sie beherrscht das verblüffende Kunststück auszublenden, was gerade nicht gesehen, gerade nicht wahrgenommen werden möchte. Wenn Wilfried und Martina erzählen, dass sie als Bestatter Verstorbene auf ihrem letzten Wegstück begleiten, führt das nicht selten zu paradoxen Reaktionen bei ihren Gegenübern. Da wäre einerseits die brennende Neugier alles über diesen Beruf in Erfahrungen bringen zu wollen, andererseits ist da nicht selten ein reflexartiges Ausblenden von allem, das an die eigene Sterblichkeit erinnert. “Manche sagen, ach Gott jetzt treffe ich dich, hoffentlich ist das kein schlechtes Omen” erzählt Martina lachend, weiß aber auch dass in diesen Worten, die als humorvolle Bemerkung daher kommen sollen, nicht selten auch ein kleines Quäntchen Wahrheit steckt.
Das ist zutiefst menschlich, aber im Grunde eigentlich unsinnig, denn alles was auf die Welt kommt, wird diese unweigerlich irgendwann wieder einmal verlassen. Das betrifft Sie, das betrifft mich, das betrifft uns alle – völlig unabhängig von Stand, Herkunft, Reichtum oder was auch immer. Wilhelm Busch hat das einmal sehr schön auf den Punkt gebracht: Kein Leugnen hilft, kein Widerstreben, wir müssen sterben, weil wir leben.
Wenn wir auf die Welt kommen, tun wir das nicht ohne Hilfestellung. Da ist oft eine Hebamme, vielleicht ein Arzt, ein paar Familienmitglieder und nicht zuletzt natürlich die eigene Mutter. Wenn wir diese Welt irgendwann wieder verlassen, brauchen wir erneut Hilfe. Nicht beim Sterben selbst, aber bei dem, was danach kommt. Schließlich verbleibt unsere physische Hülle, unser Körper noch eine Weile auf dieser Erde. Die Hilfe, die auf diesem letzten Wegabschnitt, jenseits des Horizont von Nöten ist, bieten Wilfried und Martina. Sie holen die Verstorbenen ab, waschen sie, kleiden sie, betten sie in einen Sarg und sorgen für einen würdevollen, letzten Gang. “Wir machen ebbe des, was sie nicht mehr machen können”, sagt Wilfried in seinem fröhlichen Minze-Dialekt.
Wilfried ist mit dem Tod schon sehr früh in Berührung gekommen. Sein Vater Walter arbeitete damals als Totengräber bei der Gemeinde Münzesheim. Mit purer Muskelkraft und nur einem Spaten ausgestattet, hob er auf den Friedhöfen in Münzesheim und ein paar umliegenden Gemeinden täglich die knapp zweieinhalb Meter tiefen Gräber aus. Je nach Boden und Jahreszeit ein echter Knochenjob, stundenlang hat das Graben oft gedauert. Sein Sohn Wilfried half ihm dabei bereits in jungen Jahren. Seine Aufgabe war es, die geschaufelte Erde aus dem Grab zu befördern, je tiefer es wurde, desto schwieriger war dieses Unterfangen. Belastet hat Wilfried diese Form der Kindheit nicht, der Tod war für ihn etwas Normales, etwas Alltägliches – gemeinsam mit seinem Vater verbrachte er viel Zeit auf den verschiedenen Friedhöfen seiner Heimat.
Dass er später einmal selbst Bestatter werden sollte, war dem jungen Wilfried damals allerdings noch nicht klar. Er durchlief zunächste eine Lehre zum Kfz-Mechaniker, arbeitete danach in vielen unterschiedlichen Branchen, bis er schließlich als Angestellter bei der damals noch jungen Stadt Kraichtal landete. Vermutlich inspiriert durch die Arbeit des Vaters, begann Wilfried jedoch nebenher, ein eigenes Beerdigungsinstitut aufzubauen. Um die entsprechende Qualifikation zu erlangen, ließ er sich in Hannover zu einem verbandsgeprüften Bestatter ausbilden, nahm dafür jedes Wochenende die lange Fahrt von Kraichtal nach Hannover in Kauf. Im ersten Jahr sollten es gerade einmal drei Bestattungen werden, für die er als Jungunternehmer den Auftrag bekam. Gemeinsam mit seinem Vater holte er die Verstorbenen mit einem kleinen Anhänger ab, wusch und kleidete die Toten in einem Hinterzimmer im eigenen Wohnhaus an, brachte sie danach zur Aufbahrung in die örtliche Leichenhalle. Aller Anfang ist schwer, der eines Bestatters bestimmt in besonderem Maße. Hier gilt es nicht nur das eigene Handwerkszeug zu beherrschen, sondern auch die psychisch fordernden Anforderungen an sich selbst und den Kontakt mit den Hinterbliebenen souverän zu bewältigen. “Da habe ich schon etwas gezittert”, erzählt Wilfried, “am Anfang war ich eher vorsichtig und zaghaft, wollte nur keinen falschen Ton riskieren”.
Doch wie bei allem im Leben, braucht es erst viel Erfahrung, um den souveränen Umgang mit dem eigenen Beruf zu erlernen. Nach über 30 Jahren ist Wilfried die Ruhe selbst, kennt jedes mögliche Szenario und weiß wie er in unterschiedlichen Situationen reagieren muss. Natürlich ist nicht jeder Sterbefall wie der andere, das fängt bei den Umständen an, reicht über das Alter des Verstorbenen bis hin zu den Reaktionen der Hinterbliebenen. Manche sind angespannt und verletzlich, andere die Ruhe selbst – mit denen könnte man quasi ein Bier trinken gehen, erzählt Wilfried, stellt aber klar: Die Wünsche der Angehörigen sind ausschlaggebend, um sie dreht sich alles. Diese Wünsche klären Wilfried und Martina in einem persönlichen Gespräch ab. Nicht selten sind Angehörige damit im ersten Moment überfordert. Deswegen ist es auch wichtig, sich zeitlebens Gedanken um den eigenen Tod und die Wünsche für die eigene Beerdigung zu machen, damit die eigene Familie auf etwas aufbauen kann und nicht komplett improvisieren muss. Je klarer sie das heute entscheiden, desto weniger muten sie ihren Nachfahren im Falle des Falles zu, so einfach ist das.
Es geht tatsächlich nur um die eigenen Wünsche, bestätigt auch Martina, weiß aber auch um den gesellschaftlichen Druck, der gerade auf dem Dorf auf die Hinterbliebenen wirken kann. “Muss es jetzt nicht ein sehr teurer Sarg sein, damit die Leute nicht zu reden anfangen”, wäre ein solcher dörflicher Klassiker. “Das muss die Oma dir doch wert sein”, bestätigt auch Wilfried ein solch gängiges und Druck erzeugendes Stereotyp, “sowas kann ich überhaupt nicht leiden”. Deswegen legen beide Wert darauf, nicht als Verkäufer aufzutreten, sondern als Begleiter, als Verbündete auf diesen letzten Metern. “Menschen sind so verletzlich in diesem Moment, man könnte ihnen alles verkaufen, es ist eine große Verantwortung das nicht auszunutzen und verbietet sich komplett“, stellt Martina klar. Die Menzingerin arbeitet seit einigen Jahren in Wilfried Lasts Bestattungsinstitut, beide haben sich mehr oder minder zufällig an Silvester über diese Möglichkeit unterhalten, aus einer vagen Idee wurde eine konkrete und schließlich ein Arbeitsverhältnis, dass beide nicht mehr missen wollen. “Ohne sie käme ich gar nicht mehr zurecht”, erzählt Wilfried, der vorher im Grunde die ganze Arbeit alleine erledigen musste, damit oft am Rande der Überarbeitung rangierte.
Eine Arbeit wie keine andere
Jeder von uns hat viele Klischees und aus Film und Fernsehen vorgegebene Vorstellungen vor Augen, wenn es um die Arbeit mit Verstorbenen geht. Tatsächlich ist vieles davon übertrieben, manches schlicht unwahr. Zum Beispiel werden die Körper der Verstorbenen nicht regelmäßig präpariert oder gar konserviert, das passiert in der Praxis so gut wie niemals, erzählt Wilfried. Es wird auch kein Blut ausgetauscht, kein dickes Make-up aufgetragen… in Wahrheit ist das, was im Arbeitsbereich von Wilfried Last passiert, sehr viel ruhiger, zudem durchdrungen von Würde und Pietät. Gemeinsam waschen Wilfried und Martina die gestorbenen Menschen, legen Ihnen die Kleidung an, die sie sich selbst oder ihre Angehörigen dafür ausgesucht haben, betten Sie danach in den Sarg.
Während ihrer Arbeit reden Wilfried und Martina miteinander, aber auch mit den Verstorbenen, um die sie sich in diesem Moment kümmern. Für Sie liegt da ein Mensch vor ihnen auf dem Tisch, kein Objekt, kein anonymer Gegenstand. “Wir wissen doch überhaupt nicht, was noch mitbekommen oder wahrgenommen wird” sagt Martina und ehrt damit unzählige Traditionen in unzähligen Kulturen, die den Übergang zwischen Leben und Tod nicht als etwas abruptes und plötzliches, sondern als etwas fließendes begreifen.
Manchmal verlangt das Leben oder eben der Tod den beiden jedoch viel ab, auf diesem letzten Stück, auf dem sie die Verstorbenen begleiten. Nicht jeder Tod ist gleich, nicht immer trifft es friedlich einen alten Menschen am Ende seiner natürlichen Lebensspanne. Immer wieder müssen sich beide mit Todesfällen befassen, die zum Beispiel auf nicht natürlichem Wege eingetreten sind. Da wären zum Beispiel Unfälle oder auch Selbstmorde, in denen die Körper teilweise richtig schlimm zugerichtet in Münzesheim eintreffen. “Viel können wir dann nicht mehr ausrichten”, erzählt Wilfried, “den Angehörigen können wir nur sanft dazu raten, den Verstorbenen so nicht noch einmal zu sehen.”. Einmal habe er einer Familie auf deren Wunsch hin nur noch anbieten zu können, die Hand des Verstorbenen zu halten, denn sehr viel mehr gab es schlicht nicht mehr.
Zu den schrecklichsten Herausforderungen für die beiden erfahrenen Bestatter zählt der Tod von Kindern. Das passiert Gott sei Dank nur sehr sehr selten, doch wenn es passiert, ist es eine immense Belastung, selbst nach all den vielen Jahren. Vor einer Weile musste Martina den Körper eines jungen Mädchens, noch nicht einmal zehn Jahre alt, waschen und ankleiden Schon bei der Erinnerung daran fließen ein paar Tränen, so viele mehr flossen damals, als dieser kleine, viel zu junge Mensch leblos vor ihr lag. Wer könnte das der mehrfachen Mutter verübeln?!
Was am Ende bleibt? Die Trauer. Sie ist mit der Beerdigung nicht abgeschlossen, nimmt hier erst ihren Anfang. Es ist ein Prozess, ein Weg, der für jeden Menschen unterschiedlich lang ausfällt. Doch um der Trauer den nötigen Raum zu bereiten, braucht es einen guten, einen würdigen Abschluss. Ein sorgsamer Umgang mit dem Verstorbenen und eine würdevolle Beerdigung ganz in dessen Sinne. Hier so viel Unterstützung und Begleitung wie möglich zu ermöglichen, sehen Wilfried und Martina als ihre wesentlichste Aufgabe an. Dennoch haben auch die beiden nur bedingt Antworten auf die großen Fragen, die sich viele am Ende des Lebens stellen. Eine schöne Tafel im Schauraum der unterschiedlichen Särge und Urnen gibt das in versöhnlichen Worten wieder:
Es ist nie…. der richtige Zeitpunkt.
Es ist nie…. alles gesagt.
Es ist immer…… zu früh.
So ungerecht sich das auf den ersten Moment auch anhören mag, ist doch das Gegenteil der Fall. Es gibt nichts Gerechteres als den Tod, denn er kommt zu jedem von uns. Oder um es mit Goethe zu halten: “Der Tod ist gewissermaßen eine Unmöglichkeit, die plötzlich zur Wirklichkeit wird”.
Das trifft es auf den Punkt. Besonders die Haltung von Wilfried und Martina überzeugen mich. Da ist man gut aufgehoben. Ich bin Trauerbegleiterin und höre da andere Geschichten… Dabei ist beim Thema Tod eines geliebten Angehörigen, das Vertrauen immens wichtig. Bricht doch in dieser Zeit so einiges weg und will dennoch gewürdigt werden. Und auch Bestatter als Begleiter zu sehen ist ein schöner Ansatz. Gefällt mir. Beate Schenk, Trauerbegleitung Östringen
Ich bedanke mich ausdrücklich beim Autor mit wie viel Fingerspitzengefühl die Arbeit des Bestatters beschrieben wurde. Sicher erfordert die nicht immer einfache Arbeit – ich denke dabei gerade an Kinder die verstorben sind sind auch eine große Herausforderung. Vor allem, wenn die Kinder persönlich bekannt waren.
Nach all den Jahren bin ich Wilfried immer noch dankbar für seinen Einsatz. Er saß in der
Karlsruher Fahnenfabrik und wartete am Tag der Beerdigung auf die Fertigstellung der rot—weiß—roten Fahne , um meinem Mann den letzten Wunsch zu erfüllen mit der österreichischen Flagge beerdigt zu werden. Nochmals Danke !