BR statt KA – Eine Liebeserklärung an das Früher

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Die Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“

Leute, ich kann Euch verstehen. Je älter ich werde, desto schöner kommt mir das „Früher“ vor. Die Zeit in der es gefühlt keine Kriminalität gab, das Bier noch ne Mark und fuffzich kostete und alles in gebleachten Pastell-Farben leuchtete. Das „Früher“ war Freiheit, Jugend, Aufbruch und das was Tom Petty mit „The great wide open“ besang. Anders liebe Brusler kann ich mir Euren Wunsch nach dem alten BR-Kennzeichen – abgeschafft anno 1973 – wirklich nicht erklären. Es erinnert Euch an eine Zeit, die vermeintlich besser und schöner für Euch war. Ihr wollt Euch etwas vom verloren gegangenen Paradies zurückholen, etwas das der unbarmherzige Sog der Zeit schon längst verschluckt hat. Doch mit den Gedanken und Gefühlen verhält es sich wie mit einem Foto-Album – man klebt nur die schönen Momente hinein und vergisst, das auch früher „Shit happens“ ein unumstößliches Naturgesetz war. So ist es doch auch ein Gefühl das hinter dem Wunsch nach zwei einfachen Buchstaben auf einem Blechschild steckt , denn die praktischen Auswirkungen sind gleich null.

Mehr heimatliche Identität wünscht sich die Bruchsaler Oberbürgermeisterin und kämpft für diese kleine Reminiszenz, die angesichts der wirklich drängenden Probleme so unendlich unbedeutend erscheint. Dabei geht es im Grunde doch gar nicht um das kleine BR auf der Stoßstange…. Es geht vielmehr um das Gefühl „Zuhause zu sein“, dass uns irgendwie verloren gegangen ist.

In meinen Gedanken und Erinnerungen war die Heimat von einst viel kleiner und weniger kompliziert. Mein Kosmos beschränkte sich damals auf das Dorf in dem ich aufgewachsen bin und alle Schaltjahre mal ein Ausflug in die nächste Stadt – entweder Karlsruhe oder Heilbronn. Von der großen weiten Welt habe ich soviel mitbekommen, wie die Tagesschau in den 15 Minuten pro Tag unterbringen konnte und das war mir auch recht so. Man registrierte kurz irgendwelche Diskussionen in Bonn oder Scharmützel in Gegenden der Erde, von denen man nur aus dem Fernsehen wusste…danach war man wieder im Hier und Jetzt. Keine bekackten „Breaking News“, Tweets, Emails oder Whatsapps im Sekundentakt auf ein kleines, allgegenwärtiges Gerät in der Hosentasche…Nein, die Vergangenheit war im Vergleich zu heute, unfassbar leise…. so leise, dass ich sie heute kaum ertragen könnte. Das meine ich ganz ernst. Heute reicht mir am Abend schon der Input der Glotze kaum noch aus – ich muss zusätzlich noch auf dem Smartphone rumspielen. Nichts produktives, einfach nur um meine Hände und meinen unruhigen Geist zu füttern.

Die Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“
Die Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“

Ich hasse so vieles daran und bin doch unfähig es zu ändern. Ich sehne mich regelmäßig zurück in diese Zeit, als das Fernsehen noch drei Programme hatte und um Mitternacht abschaltete…. als nicht alles immer und jederzeit verfügbar war… als der Supermarkt Abends um 18 Uhr und am Samstag um 12 Uhr schloss….als ich noch gelesen, gelacht und geliebt habe – nicht nebenbei, sondern mit meiner ganzen Aufmerksamkeit.

Seit dieser Zeit ist viel geschehen! Die große weite Welt ist auch in unseren ländliche Mikrokosmos eingedrungen und macht sich dort breit und breiter. Die Uhren ticken schneller und schneller, treiben uns an und ignorieren zu viel von dem was den Menschen menschlich und das Leben lebenswert macht. Unsere Kinder werden in der Schule auf Höchstleistung getrimmt um zu effizienten Zahnrädchen in dieser effizienten Welt zu werden. Wir werden trauriger, müder, ausgebrannter, kränker und verlieren jedwedes Gefühl noch etwas an unseren Lebensumständen geschweige denn am großen Weltenlauf ändern zu können. Die Welt ist über uns hereingebrochen wie eine Flut, Google, Amazon, Trump, Putin, … fremde Menschen mit fremden Sitten aus aller Herren Länder machen uns Angst, weil auch sie für die Entfremdung von der Heimat stehen. Dabei versuchen auch Sie nur ihren Platz und ihren Weg in den Wirren dieser Zeit zu finden.

Der Gedanke an Früher lässt in uns eine unstillbare Sehnsucht aufsteigen, die ob ihrer Unerreichbarkeit oft traurig macht. Das Gestern ist vergangen und kommt nicht wieder, auch nicht wenn wir uns ein Nummernschild mit vertrauten Buchstaben aufs Auto schrauben…. Himmel, klingt das alles deprimierend, oder nicht? Doch verzagt nicht, der Krug geht bekanntlich nur so lange zum Brunnen bis er bricht. Irgendwann sind wir es leid nur noch zu funktionieren… irgendwann sind wir es leid immer und überall für die Welt erreichbar zu sein…irgendwann wollen wir nicht mehr nur leisten, sondern wieder leben… Dann konzentrieren wir uns wieder auf das auf was es ankommt: Auf Freunde, Familie, das Zuhause und die Heimat! Wenn wir diesen Weg mit zwei kleinen Buchstaben beginnen wollen, erscheint mir das als eine verdammt gute Idee.

Eine Kolumne von Philipp Martin

Dieser Beitrag erschien erstmals im November 2017

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