“Es gibt nur Aufgaben, keine Probleme” – Wie aus der Vision eines einzelnen Mannes, Stück für Stück der Asiatische Garten Münzesheim erwuchs
von Stephan Gilliar
Wer ihn das erste Mal sieht, dem verschlägt es die Sprache… ganz unweigerlich. In erster Linie wegen seiner unbeschreiblichen Schönheit, aber auch, weil man mit einem solchen Ort an dieser Stelle nie im Leben rechnen würde. Der asiatische Garten in Münzesheim ist eine Ausnahmeerscheinung, eine Anomalie im ländlichen Kraichgau von einem Ausmaß, das problemlos mit Attributen wie mystisch oder märchenhaft belegt werden darf. Im Nordosten flankiert vom üblichen bunten Flickenteppich der Felder und im Süden von der grünen Kraichbach- und Weiherbachaue, liegt hier verborgen eine liebevoll ausgestaltete Hommage an die Gartenbaukunst aus dem fernen Osten. Brücken, Wege, ein Wasserfall, Pagoden und in der Mitte, in einem eigens dafür angelegten Teich, das filigrane Teehaus mit seinen geschwungenen Giebeln. Überall dazwischen: Pflanzen und Bäume, farbenfroh und harmonisch ineinander fließend, wie ein natürlich gewachsenes Aquarell.
Die Vision und die Idee für diesen außergewöhnlichen Garten entstammen dem umtriebigen Wesen des damaligen Chefarztes der Suchtklinik Kraichtal, Dr. Jürgen Schwarz. Als weit gereister und welterfahrener Mann beschrieb er vor rund 40 Jahren das erste Mal in Skizzen seine Idee eines japanischen Gartens auf dem Gelände der Klinik in Münzesheim. Die älteren Münzesheimer können sich vielleicht noch an das Areal der Klinik zu jener Zeit erinnern. Das Gebäude stand abseits des Ortes umgeben von Wald, Wiesen und teilweise isoliert durch ein regelrechtes Dickicht von Büschen und Gehölzen. Genau in dieser Wildnis sah Dr. Schwarz seinen japanischen Garten. Er sollte Recht behalten.
Mit viel Überzeugungsarbeit, zweifelsohne unterstützt durch sein einnehmendes und charismatisches Wesen, zog er die Belegschaft – aber vor allem die Patienten der Klinik – Stück für Stück in den Bann dieses Vorhabens. Nach anfänglicher Skepsis brannte die gesamte Klinik lichterloh für diese Idee. Jeder brachte sich ein, jeder steuerte etwas bei. Der heute immer noch auf dem Gelände der Klinik lebende Gärtnermeister Klaus Paetsch organisierte zehntausende Pflanzensetzlinge, der Bruder des Verwaltungsleiters karrte unzählige Tonnen an Sandsteinen per LKW von der Schwäbischen Alb heran, Patienten, die teilweise ausgebildete und erfahrene Handwerker waren, packten nach Kräften mit an. Die Brennerei erschuf Ziegel, Skulpturen und Ornamente, die Haustechnik verlegte Kabel und Rohre, die Quelle auf dem Gelände wurde mittels Ringgleitung zur Speisung des Wasserfalls und des Sees ertüchtigt. Bilder aus der damaligen Zeit zeigen Dutzende von Menschen, die gemeinsam ein unglaubliches – bis heute unerreichtes – Klinikprojekt auf wildem Brachland erstehen lassen.
Auch aus therapeutischer Sicht war die Entstehung des Gartens ein voller Erfolg. Patienten konnten sich nicht nur mit ihren Fähigkeiten einbringen und dadurch echte Selbstwirksamkeit erfahren, sondern Geist und Hände beschäftigen, neue Ziele und Antriebe entwickeln. Noch heute, rund 40 Jahre später, wird das zwischenzeitlich zum “Asiatischen Garten” umbenannte Refugium für die Therapiearbeit genutzt. Als der therapeutische Leiter Daniel Nakhla den Garten das erste Mal sah, ließ ihn dieser fortan nicht mehr los. Seit seiner Fertigstellung ist die Instandhaltung der rund 5000 Quadratmeter eines der großen und ständigen Projekte des Therapiezentrums. Die Arbeitstherapie tut ihr Bestes um den Ort als solchen zu erhalten und das ist nicht leicht. Ständig muss etwas repariert, irgendetwas ausgetauscht werden. Vor einigen Monaten drohte beispielsweise beinahe die Insel mit dem Teehaus aufgrund des hohen Gewichtes seiner Architektur im See zu versinken. Gemeinsam mit dem ehemaligen Chefarzt steuerte das Team der Arbeitstherapie dagegen, konstruierte in Wathosen und Taucheranzügen ein stabilisierendes neues Fundament, um das Ensemble in dieser Form zu bewahren.
“Es ist ständig etwas zu tun, der Frost ist unser größter Feind“, erzählt Daniel, der vor zehn Jahren zum Team in Münzesheim stieß. Er wollte mehr über den Garten wissen, doch kaum jemand im Haus konnte darüber wirklich Auskunft geben. Wie auch?! Seit seiner Fertigstellung sind schließlich mehrere Jahrzehnte vergangen, in der Belegschaft hat längst ein Generationenwechsel stattgefunden. Also recherchierte Daniel, wälzte Unterlagen, sprach mit Zeitzeugen, kontaktierte sogar die Witwe des zwischenzeitlich verstorbenen Chefarztes und Gartengründers Dr. Schwarz. Stück für Stück trug er Informationen über den Garten und dessen Entstehungsgeschichte zusammen. Über die Jahre hinweg schoss er viele Fotos im Park, den er während der zwangsweisen Schließung über die Pandemie hinweg quasi für sich alleine hatte.
So entstand am Ende ein Buch, das vor wenigen Wochen im Verlag Regionalkultur erschienen ist. Es trägt den Titel “Der asiatische Garten im Kraichtal-Münzesheim – Über die Vision, Umsetzung und den Erhalt eines einzigartigen Klinikprojektes”. Darin schildert Daniel nicht nur die bewegte Geschichte des einstigen “Japanischen Garten” sondern auch seine Bedeutung für die therapeutische Arbeit, Gut recherchiert erläutert er auch die vielen asiatischen Elemente und Symbole, die an den unzähligen im Garten versteckten Kleinoden zu finden sind. Jedes einzelne davon wurde von Hand geformt und von Menschen in der Klinik ersonnen und erdacht. Nicht alle hier zu findenden Artefakte sind historisch und kulturell authentisch – darum soll es auch gar nicht gehen. Vielmehr ist der Garten eine Liebeserklärung an jene Art von Frieden und Harmonie, für die die asiatische Gartenkultur einsteht.
Geld verdienen möchte Daniel mit diesem Buch nicht, jeder dadurch verdiente Cent soll ausschließlich in den Garten und dessen Erhalt fließen. Was er sich wünschen würde, wäre ein bürgerschaftliches Engagement, das einerseits zum Erhalt des Gartens beitragen, aber auch mehr Leben hineinbringen soll. Dabei will er auch ganz bewusst die einschränkenden Klischees, die sich rund um einen solchen Garten ranken, teilweise hinter sich lassen. Es soll hier nicht ausschließlich um Ruhe und Einkehr gehen, um exotische Klänge von Koto oder Shamisen zur Imitation einer Teezeremonie… Tatsächlich schätzen die Patienten den Trubel, wenn es lebendig im Garten zugeht, erzählt er. Ihn als Ort der Begegnung weiterzuentwickeln, das würde dem 45-Jährigen daher sehr gefallen. Über jede Rückmeldung, jeden Impuls und jeden, der sich hier einbringen möchte, würde sich Daniel daher sehr freuen.
Unterstützen können Sie das Projekt mit dem Kauf des Buches. Das geht über die gängigen Online-Marktplätze wie Amazon oder Medimops, aber auch vor Ort in Metzlers Futtermühle oder an der Pforte der Klinik selbst.
Dankeschön für den wunderbar recherchierten Bericht über einen Garten, der es verdient hat, am Leben erhalten und gepflegt zu werden. Ich fahre ein bis zwei Mal im Jahr dort hin, um einen schönen Nachmittag zu verleben. Immer mit anderen Freundinnen und Bekannten. Meist mit welchen, denen es gerade nicht so gut geht. Denn der Münzesheimer Garten ist heilsam, macht glücklich und hallt nach. Das Buch werde ich mir in jedem Fall kaufen. Gottseidank gibt es dort einen Menschen, der für das Projekt brennt und es am Leben erhält. Dankeschön dafür!