Wie ein kleiner Meinungsbeitrag zu einem Lehrstück über die hiesige “Diskussionskultur” wird
von Stephan Gilliar
Ich hab ihn mir jetzt bestimmt 20 Mal durchgelesen, den Artikel über die motorisierten Gefährte auf den Faschingsumzügen unserer Region. Ein kleiner, nachdenklich formulierter Meinungsbeitrag, als solcher klar gekennzeichnet und immer sorgsam aus der Ich-Perspektive heraus geschrieben. Der Autor beschreibt darin sein persönliches Unwohlsein in Gegenwart der schweren Zugmaschinen auf engen Umzugsstrecken, stellt offene Fragen nach Sinn und Sicherheit und fordert…nichts!
Was danach kam, damit hätten wir nicht gerechnet… wahrlich nicht. Die Vehemenz der Resonanz auf diesen Beitrag war erstaunlich. Jeder Journalist freut sich im Grunde darüber, wenn die eigenen Worte zum Nachdenken anregen, aber scheinbar ist genau das bei vielen gar nicht erst passiert. Neben einer kleinen Zahl um Objektivität bemühter Antworten, war viel davon einfach nur siedend heiße Abneigung ungefiltert in Worte gepresst. Nahezu jede gespickt mit haltlosen Unterstellungen und vor allem intensiven Bemühungen, den Autor herabzusetzen und zu diskreditieren. Übergriffig, geladen und ohne jedes erkennbare Maß.
In der Redaktion haben wir in den letzten Tagen häufig einfach nur den Kopf schütteln können, wegen der abstrusen Intensität der eintrudelnden Kommentare, von denen wir einen Teil überhaupt nicht erst veröffentlicht haben – so sehr gingen die Inhalte teilweise unter die Gürtellinie. Himmel, wir haben nicht über Rechtsextremismus, Antisemitismus, den Ukrainekrieg oder kirchlichen Missbrauch geschrieben, sondern über motorisierte Faschingswägen. Es wurde nicht deren Abschaffung gefordert, sondern einfach nur die Hand gehoben und ein keineswegs zu lautes “Ich fühle mich nicht wohl damit” formuliert.
Dass ein solches bisschen Meinung nicht stehen bleiben darf, bereits eine solch geballte Druckwelle an Gegenreaktion bei manchen hervorzurufen weiß, ist erschreckend. Kaum jemand hat sich inhaltlich mit der Meinung beschäftigt, kaum jemand hat sie überhaupt zur Kenntnis genommen. Stattdessen wurde nur gelesen, was gelesen werden wollte. Schnell wurde aus unserer ganzen Redaktion ein negativer Haufen Nichtsnutze, der alles in den Dreck schreibt, der doch besser ins autoritäre Ausland abwandern möge. Es wurde von Schlägen in die Magengrube geschrieben, von Hetze und von fehlendem Scham unsererseits.
Kaum jemand hat überhaupt versucht, den Standpunkt des Autors nachzuvollziehen, bei seiner eigenen Argumentation darauf einzugehen. Stattdessen wurde einfach nur versucht, das Gegenüber abzuwerten und die eigene Position lautstark als unverhandelbare Wahrheit in den Fokus zu rücken.
Aber das ist offenbar der neue Goldstandard zahlreicher, heutiger Diskussionen im Netz: Die eigene Meinung laut und ungefiltert hinaus zu brüllen und keinerlei kritische Stimmen oder abweichende Argumente zu akzeptieren. Leider wird dabei allzu oft vergessen: Meinungsfreiheit ist nicht das Recht, seine Meinung überall und vor allem unwidersprochen auszudrücken. Innerhalb des zulässigen Rahmens können Sie natürlich sagen, was immer sie wollen, aber sie können es nicht überall dort sagen, wo sie wollen, noch haben Sie ein Anrecht darauf, es unwidersprochen zu sagen.
Als so ziemlich einziges Nachrichtenmedium in der Region und übrigens auch eines der wenigen bundesweit, das noch eine Kommentarfunktion unter den Artikeln bereitstellt, möchten wir an dieser Stelle noch einmal kurz die Regeln hierfür in Erinnerung rufen:
Es sind uns alle Kommentare willkommen, die erkennen lassen, dass sich ihr/e Verfasser/in mit dem Thema beschäftigt und den zugrunde liegenden Artikel auch wirklich gelesen hat. Wenn dann noch auf unbelegte Behauptungen, überzogene Polemik, Herabsetzung anderer und substanzloses Gebruddel verzichtet wird, steht einer friedlichen Diskussionen unter Erwachsenen nichts mehr im Wege.