Vor zehn Jahren hielt die größte Chaos-Baustelle in Ubstadt und Unteröwisheim die Region in Atem.
von Stephan Gilliar
Den Sommer 2015 würde ich am liebsten komplett vergessen, und ich bin mir sicher, vielen Menschen in Ubstadt und Kraichtal geht es nach wie vor genauso. Für mich war es der erste Sommerurlaub nach zwei Jahren Stress und Dauerarbeit, der sich am Ende aber als die arbeitsreichste Zeit des Jahres überhaupt herausstellen sollte. Grund dafür war eine lange im Vorfeld gefürchtete Großbaustelle entlang der Landesstraße 554 – genauer: monatelange und umfangreiche Sanierungsarbeiten in Ubstadt und im Kraichtaler Stadtteil Unteröwisheim. Im Letzteren sollte die durch den niemals endenden Dauerverkehr schadhaft gewordene Fahrbahnoberfläche ausgetauscht werden und – wenn man schon dabei war – gleich noch das darunterliegende Kanalnetz. Eine solche Maßnahme war natürlich nur mit einer Vollsperrung möglich, und so beschloss man auch in Ubstadt, die Gunst der Stunde zu nutzen und ebenfalls den überholungsbedürftigen Fahrbahnbelag der L554 zu erneuern.
Soweit, so gut. Wo viel gefahren wird, muss eben irgendwann auch saniert werden, da beißt die Maus keinen Faden ab. Was die Verantwortlichen der Planungsbehörden aber offenbar unterschätzt hatten, waren die massiven Auswirkungen einer solchen Sperrung auf die ohnehin schon angespannte Verkehrslage auf diesem Streckenabschnitt ins Kraichgauer Hinterland. Weiträumig sollte der Verkehr während der Vollsperrung über den Sommer umgeleitet werden, doch diese offizielle Umleitung wurde von vielen – tatsächlich sehr, sehr vielen – Menschen nur als unverbindliche Empfehlung wahrgenommen. Die Realität sah dann am Ende so aus, dass sich über Schleichwege, z. B. über die Kläranlage oder den Russgraben, zu Stoßzeiten die Autos in endlosen Kolonnen drängten. Feldwege, Wirtschaftswege, ganz egal – überall zwischen Ubstadt und Unteröwisheim sickerte zäh der Fahrzeugverkehr durch alle Poren der Landschaft. Da besagte Wege eben zum Großteil nur einspurig sind, verwandelte sich das Grün rund um diese improvisierten Ausweichstrecken in braunes Brachland – sehr zum Missfallen vieler Landwirte, deren Feldfrüchte zu dieser Zeit in voller Blüte standen. Trotz gesteigerter Kontrollen durch Ordnungsämter und Polizei war diesem Treiben nicht beizukommen, und so entschloss man sich schließlich seitens der Behörden, einzulenken und (vermutlich zähneknirschend) jeweils eine Einbahnregelung einzurichten. Der Verkehr Richtung Ubstadt wurde über die Kläranlage geleitet, die Gegenrichtung lief über den Russgraben.
Besonders schön wurde das an einigen regnerischen Tagen, wenn Lkw-Fahrer, für die diese Sonderregelung explizit nicht galt, dennoch über die Wirtschaftswege abkürzten und sich im matschigen Morast festfuhren. Dann ging eine ganze Weile lang gar nichts mehr, und das kollektive Knurren, Grollen und Murren hing wie ein Nebel über der Region.
Ein Aspekt dieser Tragikomödie in mehreren Akten – heute eine nette Anekdote, damals ein regelrechtes Politikum – ist schon fast etwas für die Geschichtsbücher: Denn ganz pragmatisch dachten die Planer, wenn in Ubstadt voll gesperrt ist und in Unteröwisheim ebenso, können wir ja auch gleich die dazwischenliegende L554 komplett dicht machen. Ein naheliegender Gedanke, doch schließlich war in Unteröwisheim nicht die komplette Fahrbahn auf gesamter Länge gesperrt, sodass es durchaus noch die Möglichkeit gab, mit dem Fahrzeug Richtung Ubstadt zu rollen, wenn man sich bis zum Ortsausgang über die Seitenstraßen vorgearbeitet hatte. Es kam zum Eklat. Die Vollsperrung der L554 zwischen Unteröwisheim und Ubstadt versetzte viele Menschen damals regelrecht in Wut. In Kraichtal gründete sich über die sozialen Netzwerke sogar eine Widerstandsbewegung, deren lauter und langanhaltender Protest schließlich tatsächlich dazu führte, dass die eigentlich überhaupt nicht von den Baumaßnahmen betroffene Landstraße teilweise freigegeben wurde.
Der eigentliche Clou dieser Freigabe, die es den Menschen aus Unteröwisheim ermöglichen sollte, wieder die Verbrauchermärkte Aldi und dm in Ubstadt anzufahren, bestand aber in der Teilung des Einkaufszentrums in zwei Zonen, quasi in Ost und West. Die Einfahrt und der Parkplatz selbst wurden durch mobile Barrieren in zwei Bereiche aufgespalten. Der eine Bereich war quasi den Kraichtalern vorbehalten, der andere den Ubstädtern. Hintergrund war einfach der, dass man verhindern wollte, die L554 wieder zu einer regulären Abkürzung aufzuwerten; daher sollte die Öffnung nur für die reine Anfahrt zum Einkaufen gelten.
Sie können sich in etwa vorstellen, wie das Ganze tatsächlich lief: Immer wieder mutwillig weggeräumte Barrieren, Abkürzungen durch die Walachei, über Grünstreifen und Blumenbeete, kleine und große Unfälle, Blechschäden, Kratzer, reichlich heiße Luft und ein ganzes Potpourri schönsten Kraichgauer Premium-Gebruddels obendrauf.
Doch irgendwann war auch dieser schwierige Sommer zu Ende, irgendwann waren die Bauarbeiten abgeschlossen, und der Verkehr konnte wieder freigegeben werden. Mauerfall auf dem Aldi-Parkplatz in Ubstadt, Menschen, die sich weinend in den Armen liegen. So oder so ähnlich mag es sich zugetragen haben. Noch heute erzählen jene, die dabei gewesen waren, ihren Kindern und Enkeln davon – berichten von einem Sommer, der im Kraichgau immer unvergessen bleiben wird.
Und wenn Sie jetzt sagen: Ach, es war doch auch irgendwie witzig, dann haben wir gute Nachrichten. Nach der Baustelle ist schließlich vor der Baustelle. Wenn Ubstadt in absehbarer Zeit anfängt, das Baugebiet Tiefenweg gegenüber Aldi zu erschließen, dafür einen ganz neuen Kreisverkehr an der L554 installiert, und Kraichtal seinerseits das Gewerbegebiet Lügerwiesen in Unteröwisheim aufschlägt – ebenso inklusive Kreisverkehr und allem Zipp und Zapp –, ja, dann ist es endlich wieder 2015. Dann kommt er zurück: der Sommer der Liebe, der Sommer, als die Mauer fiel.
Wohngebiet erschließen , Freizeitangebote reduzieren , Gastro und Innenstadtkern verarmt , ganz mein Humor 😉👍
Es wird hier noch viele Sommer geben, die man am liebsten vergessen würde.
Und Winter auch…siehe aktuelle Sperrung in Münzesheim.
Folgen jahrzehntelanger Untätigkeit und verkehrstechnischer Konzeptlosigkeit.
Nur weiter so!
Shaka! Als die Mauern fielen!
Temba, seine Arme weit
Sokath! Seine Augen offen!
..zwischen dem zur Historie erhobenen Jahr 2015 und dem Beginn der nächsten Baustelle an dieser Strecke liegen also 10+x Jahre, in denen der Verkehr auf einer rundum sanierten Straße rollt – behindert lediglich durch das hohe Verkehrsaufkommen – also durch sich selbst. Man könnte fast meinen, es läuft „zu gut“, wenn man denn unbedingt Kritik üben will..
Also ich find die Baustelle in Münzesheim super.
Endlich mal Ruhe!
Und bei den Mautprellern spricht sich das langsam auch rum.